US-Gesundheitsreform: Obama-Care hilft allen
Massachusetts ist die Vorlage für die Gesundheitsreform von Obama. In diesem Fall ist das Vorbild der frühere Gouverneur des Bundesstaats: Mitt Romney.
BOSTON taz | „Romney-Care“ ist ein Wort, das der republikanische Präsidentschaftskandidat am liebsten vergessen würde. In Massachusetts ist das schwer. Denn es war unter Gouverneur Mitt Romney im Jahr 2006, als der Staat mit der Reform seines Gesundheitssystems zum Vorbild für das wurde, woran sich die amerikanische Gesellschaft spaltet: Obama-Care, Barack Obamas Gesundheitsreform.
Ihr Kernelement ist eine obligatorische Krankenversicherung für alle Amerikaner, so wie Massachusetts es seit sechs Jahren vorlebt. Romney hat angekündigt, die Reform von Obama im Falle eines Wahlsiegs auf jeden Fall zu kippen. Und damit seine eigene Politik als Gouverneur zu negieren. Ist Massachusetts also nichts als ein schlechtes Beispiel für eine verfehlte Gesundheitspolitik? Ein Fehler, den Romney wieder gutmachen muss?
Sitzt man bei Brian Rosman im Büro im Zentrum von Boston hat man nicht unbedingt den Eindruck, in einem schlechten System gelandet zu sein. Nur in einem wahnsinnig komplexen. Das aber, so sagt Rosman, Forschungsdirektor bei der gemeinnützigen Organisation Health Care for All, sei durch die Reform von 2006 schon viel besser geworden.
„Früher konnten wir Leuten, die bei uns anriefen, weil sie keine Versicherung hatten, nicht weiterhelfen“, erinnert sich Rosman. Heute können die Mitarbeiter den Menschen Alternativen aufzeigen. Weil Massachusetts seine Bürger verpflichtet, eine Krankenversicherung abzuschließen, gibt es Hilfe für Geringverdiener, für chronisch Kranke, für jeden. Ein Sicherheitsnetz.
Versicherungsschutz für alle
Laut Zahlen des Massachusetts Budget and Poliy Center waren im vergangenen Jahr lediglich 4,3 Prozent der Bevölkerung nicht versichert – bundesweit sind 15,1 Prozent der Amerikaner ohne Versicherungsschutz. Rosman zitiert Zahlen, nachdem gar 98 Prozent der Menschen in Massachusetts mittlerweile versichert sind.
Versicherungspflicht: Etwa 32 Millionen Menschen, die bisher unversichert waren, sollen eine Krankenversicherung erhalten. Am Ende sollen 95 Prozent der rund 310 Millionen US-Amerikaner versichert sein. Vor der Reform waren es 83 Prozent.
Grundversicherung: Für die allermeisten US-Amerikaner soll eine Grundversicherung zur Pflicht werden. Wer sich eine leisten kann, aber keine will, muss mit Geldstrafen rechnen.
Krankenkasse: Eine staatliche Krankenkasse wird es nicht geben. Stattdessen sollen die US-Staaten ab 2014 sogenannte Gesundheitsbörsen einrichten, an der Policen verglichen und verkauft werden können.
Vorerkrankungen: Versicherungen dürfen US-Amerikaner mit existierenden Erkrankungen nicht mehr abweisen.
Die, die nach wie vor durchs Raster fallen, kommen aus der Mittelklasse mit etwa 40.000 Dollar Jahreseinkommen. „Hart arbeitende Menschen, die sich die Versicherungen, die ihre Firmen anbieten, nicht leisten können“, sagt Rosman. Die aber für eine vom Staat geförderte Versicherung zu viel verdienen.
Für sie wird es besser, wenn Obama bei der Wahl gewinnt und Präsident bleibt. Sie werden ab 2014 krank werden können, ohne sich finanziell Sorgen machen zu müssen. Denn die untere Einkommensgrenze, bis zu der der Staat mit der Versicherung hilft, soll nach Obamas Plänen von 33.000 Dollar auf 43.000 Dollar steigen.
Doch trotz aller Vorteile: Die Organisation Health Care for All, die seit 1984 gemeinnützig für eine flächendeckende Krankenversicherung in den USA arbeitet, bemängelt die Fehler im US-Gesundheitswesen. Die Koppelung der Krankenversicherung an den Arbeitgeber. Die viel zu vielen verschiedenen Pläne. Die mangelnde Prävention. Die hohen Kosten.
Unbezahlbares System
Ein System, das die USA an den Rand des finanziellen Kollapses treibt. Laut Regierungszahlen betrugen die Kosten für das Gesundheitssystem im Jahr 2012 insgesamt etwa 2,6 Billionen Dollar. Das waren etwas mehr als 8.000 Dollar pro Person. Und 17,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Durch Obamas Reform werden die Kosten nicht sinken, die Überbehandlungen und auch andere Probleme werden nicht direkt angegangen. Andere Probleme, das ist etwa das ewige „Papiere hin- und herschieben“, wie Rosman es nennt. Jede Behandlung wird dem Patienten individuell in Rechnung gestellt.
Ideen zur Vereinfachung gibt es viele, Health Care for All arbeitet mit anderen Organisationen daran, im Krankenhauswesen Dinge zu bewegen. Weg von den überteuren Spezialkliniken hin zu mehr Gemeindekrankenhäusern.
Trotz allem, Rosman hofft auf Obama-Care – und dass die Reform bleibt. Er kennt beide Welten, ohne und mit Pflichtversicherung. „Obama-Care wird dem Land helfen“, ist er überzeugt. In sechs Jahren Romney-Care gab es in Massachusetts noch nicht einen ernsthaften Versuch, das Gesetz wieder zu kippen.
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