US-Beschluss zu Kabuls Auslandsreserven: Biden eint zerstrittene Af­gha­nen

In Afghanistan lehnen alle politischen Lager den Beschluss des US-Präsidenten ab, die Hälfte der eingefrorenen afghanischen Gelder nicht zurückzugeben.

Mensch mit Transparent vor Bewaffneten.

Protest unter Talibanaufsicht: Afghane protestiert gegen die Einbehaltung des Staatsvermögens Foto: Hussein Malla/ap/dpa

Berlin taz | Das sei „die jüngste Ungerechtigkeit der US-Intervention in Afghanistan, die von Ungerechtigkeiten und Missachtung für afghanische Leben gespickt war“, twitterte Schaharsad Akbar, Ex-Chefin der afghanischen Menschenrechtskommission. Sie spielt damit auf die vielen zivilen Toten des „Kriegs gegen den Terror“ und das Fallenlassen der afghanischen Regierung durch Washington an. Das empfanden viele als Verrat. Jetzt sei sie einfach nur „wütend“ über die Entscheidung des US-Präsidenten vom Freitag, die Hälfte der sieben Milliarden Dollar in den USA gelagerten und nach der Taliban-Machtübernahme eingefrorenen afghanischen Auslandsreserven für Angehörige von 9/11-Terroropfern freizugeben.

Und das ausgerechnet dann, wenn Afghanistan gerade dringend jeden Dollar braucht, weil laut UNO neun Millionen Menschen „nur einen Schritt vom Hunger entfernt“ sind. „Leute verkaufen ihre Organe. Leute verkaufen ihre Kinder. Sie sind verzweifelt“, sagt der UN-Hilfskoordinator Ramiz Alakbarov in Kabul.

Selten war sich die afghanische Öffentlichkeit im Land wie im Exil so einig wie in der Bewertung von Bidens Verfügung. Chalid Pajenda, letzter afghanischer Finanzminister vor der Machtübernahme der Taliban an diesem Dienstag vor genau einem halben Jahr, spricht vom „schwersten und irreparablen Schlag für Afghanistans Wirtschaft“.

Eine Gruppe von über 100 exilierten afghanischen Frauenrechtlerinnen schreibt in einem Brief an Biden, sie betrachteten dessen Maßnahme als „extrem unfair“. Selbst die in Kabul immer wieder mutig gegen die Taliban protestierenden Frauen fordern: „Beendet das Einfrieren!“

„Rache der USA für den verlorenen Krieg

Ähnlich äußern sich Beobachter und humanitäre Helfer. „Das ist nicht das Geld der USA, sondern der hungernden Afghan:innen“, sagt Jan Egeland vom Norwegischen Flüchtlingsrat, einer großen Hilfsorganisation in Afghanistan.

Die Londoner Terrorismusforscherin Ashley Jackson spricht von „ökonomischer Kriegführung gegen Afghanistan“. Für Anders Fänge (Schwedisches Afghanistan-Komitee) ist es „nicht schwer, die Gefühle vieler Af­gha­n:in­nen zu verstehen, die sagen, die USA haben den Krieg verloren und rächen sich jetzt dafür an ihnen“.

Der New Yorker Professor Barnett R. Rubin, Afghanistan-Berater mehrerer US-Regierungen, meint, das reichste Land der Erde beraube jetzt das ärmste im Namen der Gerechtigkeit. Selbst Bidens Botschafterin für Frauen- und Menschenrechte in Afghanistan, die dort geborene Rina Amiri, kritisiert den Präsidenten und spricht von „einem schlechten Tag für Afghan:innen“.

Biden verspielt gerade den letzten Rest von Hoffnung unter den Afghan:innen, dass sie vom Westen Hilfe erwarten können. Die Taliban wird’s freuen.

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