piwik no script img

US-Bericht: Supreme Court will Abtreibungsfreiheit kippen

Laut einem jetzt geleakten Urteilsentwurf ist eine Mehrheit am Obersten Gerichtshof der USA dafür, das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ von 1973 umzuwerfen. Davor haben Ex­per­t*in­nen jahrelang gewarnt

Der Kampf hört wohl niemals auf. Demonstrierende für das Recht auf Abtreibung, Washington, D. C., 1971 Foto: Leif Skoogfors/Camera Press/laif

Aus New York Eva Oer

Es dauerte nur kurze Zeit, bis die Barrikaden vor dem Supreme Court in Washington, D. C. standen und sich die ersten Demonstrierenden am Montagabend vor den Absperrungen sammelten. Mit dem geleakten Entwurf eines Urteilstextes hatte das Nachrichtenportal Politico kurz zuvor schlimmste Befürchtungen vieler bestätigt: Demnach würde der Oberste Gerichtshof der USA demnächst die Abtreibungsfreiheit kippen, die das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ sichert.

„Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch“, schreibt der Richter Samuel Alito in dem durchgestochenen Text, der auf 98 Seiten die Mehrheitsmeinung der Rich­te­r*in­nen darstellen soll. Alito erklärt darin, ein Schwangerschaftsabbruch stelle „eine tiefgreifende moralische Frage dar“, und führt aus: „Die Verfassung verbietet es den Bürgern der jeweiligen Bundes­staaten nicht, die Abtreibung zu regeln oder zu verbieten.“

Das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ von 1973 sowie ein weiteres Urteil von 1992 sichern Schwangeren das verfassungsmäßige Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch – und zwar bis zu dem Zeitpunkt, ab dem der Fötus außerhalb des Körpers lebensfähig wäre. Das ist in etwa ab der 24. Woche der Fall. Nach dem Urteil von 1992 dürfen die einzelnen Bundesstaaten Abtreibungen nicht unangemessen erschweren.

Datiert ist der geleakte Entwurf auf den 10. Februar – eine tatsächliche Entscheidung wird für den Juni dieses Jahres erwartet. Der Supreme Court äußerte sich zunächst nicht zu dem Dokument. Ein Leak eines solchen Schriftstücks ist höchst außergewöhnlich. Ex­per­t*in­nen wie der ehemalige kommissarische Generalstaatsanwalt der USA, Neal Katyal, hielten die Echtheit der geleakten Mehrheitsmeinung aber für plausibel. „Diese Meinung besagt, dass Bundesstaaten Abtreibung kriminalisieren können, ohne Ausnahmen für Vergewaltigung oder Inzest. Das ist genau die Hardliner-Position, von der ich in den vergangenen drei Jahren gesagt habe, dass das Gericht sie durchsetzen würde“, erklärte er auf Twitter. Der Kongress müsse so schnell wie möglich handeln.

Selbst wenn das Dokument echt ist, bleibt unklar, wie die endgültige Fassung des Gerichtstextes aussehen wird. Aber sollte der Supreme Court tatsächlich wie beschrieben abstimmen, hätte das augenblicklich heftige Konsequenzen für ungewollt Schwangere: Die Bundesstaaten hätten dann die Handhabe, selbst zu entscheiden – und für diesen Fall haben sich viele republikanisch regierte Bundesstaaten wie etwa Missouri oder North Dakota bereits sogenannte „trigger laws“ zurechtgelegt, die in Kraft treten, sobald „Roe v. Wade“ gekippt wird. An anderen Orten steht immer noch oder zusätzlich die Gesetzgebung aus Zeiten vor dem Grundsatzurteil parat, etwa in Arizona oder dem Südstaat Mississippi.

Mississippi ist der Staat, der den jetzigen Status quo mit einem Vorstoß angefochten hatte. Auch in der Vergangenheit hatten Bundesstaaten so etwas immer wieder versucht. Doch dieses Mal konnte der Versuch auf fruchtbaren Boden fallen: Der Supreme Court ist mehrheitlich mit konservativen Rich­te­r*in­nen besetzt. Der frühere republikanische US-Präsident Donald Trump hatte allein drei von ihnen nominieren können. Die Ernannten haben über Jahrzehnte großen Einfluss auf die US-amerikanische Gesellschaft.

Ex­per­t*in­nen sehen in den Argumenten des Entwurfs den Einfluss der Arbeit von Ab­treibungsgegner*innen: Der Entwurf spiegele die Argumente wider, die sich die An­wäl­­t*in­­nen der selbsternannten „Lebensrechtler*innen“ seit Jahrzehnten zurechtfeilten, schrieb die Historikerin Mary Ziegler in einem Tweet.

In den USA stehen im November die Halbzeitwahlen an, bei denen ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt werden. In beiden Kammern des Kongresses hat die Demokratische Partei von US-Präsident Joe Biden nur eine dünne Mehrheit. „Machen wir uns nichts vor: Reproduktive Rechte werden auf dem Stimmzettel stehen, und diese Halbzeitwahlen sind nun wichtiger als je zuvor“, hieß es von Seiten des Democratic National Committee.

Im vergangenen Jahr hatte das Repräsentantenhaus ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch auf Bundesebene festgeschrieben werden sollte. Allerdings verfügen die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen wiederum im Senat über genügend Stimmen, um das Gesetz zu blockieren.

Bei den montäglichen Protesten in Washington, D. C. wird es sicher nicht bleiben. Für den Dienstag wurden Demos in vielen Orten der USA erwartet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen