UN-Menschenrechtsbeauftragte in China: Unwürdige Besuchsumstände
Erstmals seit 17 Jahren lässt China eine UN-Menschenrechtsbeauftragte ins Land. Doch sie wird in Xinjiang nur eine inszenierte Farce zu sehen bekommen.
Zum ersten Mal seit siebzehn Jahren lässt die Volksrepublik wieder eine UN-Menschenrechtsvertreterin ins Land. Bachelet wird bei ihrem mehrtägigen Besuch die abgelegene Region Xinjiang bereisen, wo der chinesische Staat ein flächendeckendes System an Umerziehungslagern aufgebaut hat, um die muslimische Minderheit der Uiguren mit brutaler Repression gefügig zu machen. Auf den ersten Blick ist es also durchaus erfreulich, dass die chinesische Regierung nach dreijährigen Verhandlungen endlich seine Pforten öffnet.
Von den Recherchen eines internationalen Medienkonsortiums, das am Dienstag die brutalen Menschenrechtsverletzungen im Nordwesten Chinas belegte, lässt sich Peking nicht aus dem Konzept bringen. Wer die Entwicklungen der letzten Jahre unter Staatschef Xi Jinping mitverfolgt hat, kann auf die kommenden Tage nur mit äußerster Skepsis blicken: Peking ist längst nicht mehr gewillt, sich mit Kritik aus dem Ausland überhaupt nur auseinanderzusetzen – weder im öffentlichen Diskurs noch hinter den Kulissen.
All dies wird auch durch die – einer UN-Vertreterin unwürdigen – Umstände des Besuchs unterstrichen: Internationale Medienvertreter sind generell nicht zugelassen, zudem darf sich die siebzigjährige Bachelet nicht frei bewegen. Ihre Reise werde in einem sogenannten closed loop stattfinden, heißt es. Das bedeutet im Klartext: Die Kommissarin wird vollständig abgeschirmt – offiziell, um das Coronavirus nicht zu verbreiten. Dabei muss die Pandemiebekämpfung erneut als Vorwand für politische Zensur herhalten. Für Korrespondenten im Land ist dies bereits ein alter Hut: Wer als westlicher Journalist nach Xinjiang reist, wird trotz negativem PCR-Test oftmals unter Androhung von „Zwangsquarantäne“ wieder nach Peking zurückgeschickt.
Ein abgekartetes Verfahren
In Xinjiang ist die Lage ohnehin längst nicht mehr mit dem bloßen Auge zu fassen: So war dort bis 2019 der dystopische Polizeistaat ganz offen sichtbar, etwa in Form von militärischen Checkpoints und omnipräsenten Stacheldrahtzäunen. Mittlerweile ist die Überwachung subtiler geworden. Doch verbessert hat sich die Lage für die Uiguren seither dennoch nicht: Viele Umerziehungslager wurden etwa zu „Fabriken“ umdeklariert, wo die Insassen mutmaßlich Zwangsarbeit verrichten.
Andere politisch Verfolgte wurden schlicht in gewöhnliche Gefängnisse transferiert. Parallelen gibt es auch zum Besuch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang 2021. Auch hier hat sich die chinesische Regierung zunächst quergestellt, ehe man den internationalen Wissenschaftlern eine Reise unter strengen Auflagen genehmigte. Dazu gehörte eine orchestrierte Pressekonferenz, bei der Peking die Suche nach dem Ursprung von Corona in der Volksrepublik offiziell für beendet erklärt hatte. Damals machte die WHO gute Miene zum bösen Spiel, da sie sich den Zugang zu den chinesischen Behörden nicht verscherzen wollte.
Die meisten westlichen Diplomaten vor Ort haben dieses abgekartete Verfahren durchschaut. Tatsächlich versucht die chinesische Regierung bereits seit Längerem, europäische Botschafter für eine Reise nach Xinjiang einzuladen. Doch diese lehnten stets ab, da grundsätzliche Bedingungen nicht erfüllt werden konnten – allen voran unbeobachtete Gespräche mit betroffenen Lagerinsassen. Stattdessen zielen solche Touren auf eine Propaganda ab, die so plump ist wie die in Nordkorea: Den Diplomaten werden lachende und tanzende Uiguren in volkstümlicher Tracht vorgezeigt. Ein reiner Zirkus, der mit der Realität rein gar nichts zu tun hat.
Und wer als Journalist nach Xinjiang reist, wird grundsätzlich auf Schritt und Tritt von Sicherheitspolizisten verfolgt. Seit einigen Monaten ist selbst dies nicht mehr nötig: Aufgrund der Pandemiebeschränkungen sind praktisch sämtliche Reisen außerhalb Pekings unmöglich.
Die Isolation geht so weit, dass selbst grundsätzliche Fakten nicht überprüft werden können: So hatte Anfang Mai das von der CIA finanzierte US-Medium Radio Free Asia berichtet, dass die Behörden in der historischen Altstadt von Kaschgar in Xinjiang den traditionellen Sonntagsbasar demolieren würden – offenbar, um die kulturelle Assimilation der Uiguren voranzutreiben. Doch bislang konnte sich noch kein Korrespondent ein eigenes Bild machen. Xinjiang ist längst ein abgesperrtes Gebiet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“