UN-Klimakonferenz in Kattowitz: Morgenluft im Kohleland
Ausgerechnet im Kohlerevier um Kattowitz richtet der Gastgeber Polen die UN-Klimakonferenz aus. Gelingt dort der Strukturwandel?
Aber die Silos unter dem grauen Himmel glänzen sauber. Zu sauber. Der rot-weiße Schornstein ist still. Zu still. Am Hochofen Huta Pokój, einst die größte Eisenschmelze Polens, wird nicht mehr gearbeitet. Das Werk in Nowy Bytom, 15 Kilometer westlich von Kattowitz, hat nur noch eine Zukunft: als Industriedenkmal.
Einen Kilometer weiter wehren sie sich noch gegen dieses Schicksal. Es ist 14 Uhr, Schichtwechsel an der Kohlegrube Pokój. Mit müden Schritten verlassen die Bergleute das Gelände, in fleckigen Overalls, leuchtende Grubenlampen vor dem Bauch. Noch haben sie Arbeit in dem Schacht, dessen Förderturm die Gegend überragt. Aber nebenan sind schon Bulldozer dabei, leerstehende Gebäude abzureißen. Es entsteht eine riesige Grube voller Schrott, eine Brachfläche, schwarz vom Kohlestaub, auf der sich Wasser in riesigen Pfützen sammelt. Die Gleise der ehemaligen Grubenbahn sind überwuchert und von Plastiktüten und alten Autoreifen bedeckt.
30 Kilometer weiter östlich, auf der anderen Seite von Kattowitz, präsentiert Patryk Białas, was er für die Zukunft des „polnischen Ruhrgebiets“ in Oberschlesien hält: Sein „Euro-Zentrum“ im Gewerbepark von Kattowitz ist eine Provokation aus Stahl, Beton und Solarpaneelen. Das Gebäude produziert Sonnenstrom auf dem Dach und heizt seine Büros mit Erdwärme, während in seiner Nachbarschaft dicker schwarzer Qualm aus den Kaminen steigt.
„Die Menschen brauchen eine Vision“
Eine Zumutung für die polnische Kohleregion ist diese Denkfabrik für Öko-Technologie und Energieeffizienz auch, weil sie mit EU-Mitteln und privatem Kapital errichtet wurde und keine Staatsindustrie ist wie Kohle und Stahl. Die größte Herausforderung für die polnische Politik aber ist Białas selbst, ein schmaler Mann mit leiser Stimme, der im „Euro-Zentrum“ Gäste empfängt und sagt: „Wir zeigen den Menschen, dass es Alternativen zu den Arbeitsplätzen in der Kohle gibt.“
Aber wie sehen die aus?
Darüber wurde jetzt zwei Wochen lang in einem Gebäude diskutiert, das ziemlich genau in der Mitte zwischen der Kohlegrube Pokój und dem „Euro-Zentrum“ in Kattowitz liegt und aussieht, als habe ein Ufo eine Bruchlandung hingelegt: Auf der 24. UN-Klimakonferenz im Kongresszentrum von Kattowitz geht es für die meisten Delegierten darum, neue Regeln für den Klimaschutz zu finden. Aber es gibt auch Leute, die ihr Land und speziell Oberschlesien vor dem Klimaschutz schützen wollen.
Einer davon ist Michał Kurtyka. Der Mann mit Glatze und grauem Dreitagebart ist Staatssekretär im polnischen Energieministerium und Präsident der UN-Konferenz. „Wie sagt man fünf Millionen Menschen in siebzig schlesischen Städten: Verschwindet, eure Zeit ist vorbei?“, fragte Kurtyka in seiner Eröffnungsrede. „Die Menschen brauchen eine Vision, sie brauchen die Zusicherung, dass wir sie nicht alleinlassen. Und sie brauchen Unterstützung.“
Der 45-Jährige ist das freundliche Gesicht der nationalistischen PiS-Regierung. Er ist zugänglich und offen, führt die Verhandlungen im Plenum der Konferenz mit ruhiger Stimme und breitem Lächeln. Er spricht ausgezeichnet Englisch, ist sicher auf dem internationalen Parkett und gilt als einer der wenigen Energieexperten der PiS. Kurtyka hat auch unter den Machern der deutschen Energiewende viele Freunde. Bei der Konferenz ist er allgegenwärtig: auf dem Podium, beim Interview, beim Fototermin, als Leiter der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen.
Kurtykas Ernennung zum Chef der Konferenz ist ein kleiner Sieg der Reformer über die Hardliner in der polnischen Regierung. Viermal leitete ein Pole die Konferenz. Beim letzten Mal, 2013 in Warschau, organisierte die Regierung noch parallel zur Konferenz demonstrativ einen „Kohle-Gipfel“ mit der Industrie. Heute redet sie über den „gerechten Übergang“ zu neuer Energie. Für viele Umweltschützer ist das schon ein riesiger Fortschritt.
Im UN-Sprech heißt diese Idee „Just Transition“. Soll heißen: Bei einem politisch gewollten Strukturwandel muss es gerecht zugehen, Arbeiter müssen für verlorene Jobs entschädigt werden. Eine gute Idee, finden auch viele Umweltschützer. Sie könnte aber zu einem Sprengsatz für die Klimapolitik werden, wenn Bergleute und Ölstaaten ihre Interessen durchsetzen und sich zu Opfern des Klimawandels stilisieren. Das könnte dazu führen, dass das knappe Geld in die Regionen fließt, die die Probleme verursacht haben. Aus diesem Grund wurde auf der Konferenz die „Schlesien-Deklaration zu Solidarität und gerechtem Übergang“ der polnischen Regierung nur mit spitzen Fingern angenommen. Der Text erwähnt die Probleme der Kohleregionen und verspricht neue, grüne Jobs. Vor allem aber konstatiert er, ein gerechter Übergang und gute Arbeitsplätze seien für die Akzeptanz der Energiewende nötig.
Nichts wird in Kattowitz beim Pausenkaffee so heiß debattiert wie die Proteste der Gelbwesten in Frankreich. Was tun, wenn sich die Bevölkerung gegen höhere Belastungen wehrt, die mit Öko-Argumenten verkauft werden?
Patryk Białas, der Chef des Euro-Zentrums, hat gelernt, sich auf die eigenen Ideen zu konzentrieren. Mit seiner Gruppe „Kattowice Smog Alarm“ hat er der Stadt mit 300.000 Einwohnern in den letzten Jahren klargemacht, dass sie ein Problem hat: Die Atemluft ist so schlecht für die Gesundheit, als würden alle, auch Babys und alte Leute, fünf Zigaretten am Tag rauchen. Von den 50 dreckigsten Orten in der Europäischen Union liegen 36 in Polen. Und weil die Grenzwerte für die Luftverschmutzung in Polen deutlich höher liegen als im Rest Europas, sprechen Umweltschützer sarkastisch von den „polnischen Eisenlungen“, die angeblich mehr aushalten: „Es gibt Werte, da herrscht in Paris Smogalarm“, kommentieren die Aktivisten von „Krakau Smog Alarm“, „in Krakau gehen wir da joggen.“
Kohleförderung ist unrentabel geworden
Białas hat mit anderen Aktivisten die dreckige Luft zum Thema gemacht, hat demonstriert, aufgeklärt und nachgebohrt. Jetzt haben sie ihn im Oktober in den Stadtrat gewählt. Zum Treffen kommt er ganz seriös im dunklen Anzug, vor lauter Erzählen und Gestikulieren schafft er es kaum, sein Pilzrisotto zu essen. Der Aktivist, dessen Großvater noch in den heimischen Kohlegruben arbeitete, hat Angst davor, dass die Regierung auf der Konferenz ihre eigene Agenda durchsetzt: „Ich fürchte, Polen wird versuchen, der Welt beizubringen, wie ökologisch wir Kohle verbrennen.“
Die Auftritte des polnischen Umweltministers und des Präsidenten, die die Kohle lobten, geben ihm recht. Tatsächlich ist kaum ein Land so abhängig von der dreckigen Energie wie der Gastgeber der diesjährigen Klimakonferenz. Rund 80 Prozent des Stroms in Polen kommt immer noch aus der Kohle. Die Steinkohle in Oberschlesien und die Braunkohle im Westen des Landes haben die Industrialisierung befeuert. Atomkraft ließ die Sowjetunion nicht zu, Gas gibt es kaum, und abhängig von russischem Gas wollen die Polen nicht sein. Erneuerbare Energien galten lange als unzuverlässige Öko-Spinnerei.
Aber der Abbau des „schwarzen Goldes“ ist inzwischen so teuer, dass die Industrie trotz hoher Subventionen vor der Pleite steht. Ein Großteil des Brennstoffs wird importiert – ausgerechnet aus Russland. Zwar wurde gerade wieder, rechtzeitig zur Klimakonferenz, die Eröffnung einer neuen Mine angekündigt. Aber solche Projekte können nur laufen, wenn die EU ihnen staatliche Hilfen garantiert. Ohnehin gehen gerade die letzten neuen Kohlekraftwerke nur deshalb ans Netz, weil es noch teurer wäre, die Baustellen als Investitionsruinen stillzulegen. Das gibt der größte Energiekonzern, Polska Grupa Energetyczna (PGE) ganz offen zu.
Mit der Kohle geht es lange schon bergab. Allein zwischen 1990 und 1999 verlor Schlesien ein Drittel seiner Kohleproduktion und 230.000 Kohlejobs. Die Region reagierte: In der „Sonderwirtschaftszone Kattowitz“ wurden nach offiziellen polnischen Angaben seit Mitte der 90er Jahre 350 Firmen mit 76.000 Jobs angesiedelt und knapp 8 Milliarden Euro investiert. Der Stromkonzern PGE sagt, man habe „Verantwortung für Zehntausende von Arbeitsplätzen und Familien“. Aber das Unternehmen kann auch rechnen. Kohle ist nicht mehr sicher und nicht mehr billig.
Die Regierung hat im November mit zwei Jahren Verzögerung ihren Energieplan vorgelegt. Von einer „Netto-Null“, dem Abschied von den fossilen Brennstoffen, den gerade die EU-Kommission gefordert hat, ist da nicht die Rede. Auch 2040 sollen noch 60 Prozent des Stroms aus der Kohle kommen. Und das auch nur, wenn bis dahin neue Atomkraftwerke am Netz sind. Viele Experten sagen allerdings voraus, dass das Aus für die Kohle schneller kommt, als es die Regierung den Bergleuten versprechen möchte.
Die alte Welt ist noch da, die neue zeigt sich an manchen Orten schon. Manche Straßen in Nowy Bytom werden von braungrauen Häusern gesäumt, an denen der Putz bröckelt und die Balkone wackeln, in anderen Gegenden sind die roten Backsteinhäuser liebevoll restauriert und Plattenbauten wärmegedämmt. Neben dem Hochofen von Huta Pokój ist ein schöner Park angelegt worden, mit Kinderspielplatz und Hundegebiet; gleich dahinter beginnt eine Brachfläche mit Betontrümmern und wilden Müllkippen. In den Außenbezirken von Kattowitz reihen sich Trümmergrundstücke an verwahrloste Siedlungen, im Stadtzentrum glitzern die Hochhäuser.
Schlesien hat eigentlich kein Problem mit der Arbeitslosigkeit. Im polnischen Kohlerevier herrscht praktisch Vollbeschäftigung, weil die polnische Wirtschaft auch jenseits der Kohle brummt. „In der Minenindustrie arbeiten nur noch 52.000 Menschen, aber es gibt vielleicht 100.000 neue, moderne Jobs“, wirbt Patryk Białas für einen Umstieg.
Für ihn ist der Abschied von der Kohle rund um Kattowitz in vollem Gang – und erfolgreich. Viele Betriebe, etwa Autozulieferer, suchten nach Arbeitskräften. Man müsse die Leute qualifizieren und ihnen reinen Wein einschenken. „Wenn wir auf der Straße mit den Menschen reden, wollen sie vor allem, dass ihnen jemand sagt, in welche Richtung es geht“, sagt der neugewählte Stadtrat. Ein „gerechter Übergang“ müsse fair für alle sein: für die Menschen, aber auch für die Gemeinden und die Umwelt.
Kunst und Kohle in Kattowitz
Gerechter Übergang? Wenn man Izabela Zygmunt nach dem bisherigen Strukturwandel fragt, hört man ein bitteres Lachen. Die Aktivistin der Gruppe „Bankwatch“ sagt: „Der Übergang war keine planvolle Politik. Es war Glück, weil die Wirtschaft läuft und die Menschen bei uns in Polen sehr viele Ideen für neue Geschäfte haben.“ Zygmunt nennt die Schattenseiten der Entwicklung: „In Kattowitz gibt es kaum Arbeitslose. Aber schon 20 Minuten entfernt sind es 25 Prozent.“ Dazu komme: Viele junge Leute hätten die Gegend verlassen. Und keiner wisse, was komme. „Es gibt keinen offenen Dialog mit den Betroffenen“.
Von den 60 Milliarden Euro Staatshilfen, die die ostdeutschen Länder für den Ausstieg aus der Braunkohle fordern, können die polnischen Kommunen nicht einmal träumen. „Die Regierung traut sich nicht, von diesem Übergang zu sprechen, dabei sind wir schon mittendrin“, sagt Zygmunt. „Von den fünf Gruben in Kattowitz gibt es nur noch zwei. Die Leute suchen sich andere, schlechter bezahlte Jobs oder wandern ab.“ Amazon hat ein Logistikzentrum mit 6.000 Jobs aus dem Boden gestampft. Aber es sind eben Amazon-Jobs, keine Rede von gutem Lohn und Stolz wie in den Kohlegruben. Auch andere Studien, etwa aus Großbritannien, zeigen: Ein Kohleausstieg führt nicht zu blühenden Landschaften, neue Arbeitsplätze sind oft geringer bezahlt.
Der stillgelegte Hochofen von Huta Pokój hat bereits seinen Platz in der Geschichte. Ein Schwarz-Weiß-Bild zeigt die Anlage mit einer Hakenkreuzfahne. Das Bild hängt im „Schlesischen Museum“ in Kattowitz, in der Ausstellung über die wechselvolle Geschichte der Region, die unter den Nazis wichtiger Lieferant für Kohle, Stahl und Soldaten war. Das Museum liegt im vierten Stock unter der Erde, mitten in der Innenstadt von Kattowitz. Bis 1999 hackten die Bergleute in der „Ferdinandgrube“ in 400 Meter Tiefe insgesamt 120 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Erde. Jetzt tagt hier die Klimakonferenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag