Aktivistin trifft Passivistin

Beim Klimagipfel der Vereinten Nationen steht die Wut der Jugend in Gestalt von Greta Thunberg in starkem Kontrast zur Routine der Politik, repräsentiert von Angela Merkel

Die wohl einflussreichsten Frauen derzeit: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Aktivistin Greta Thunberg am 23.9. in New York Foto: Bundesregierung/dpa

Aus New York Malte Kreutzfeldt

Es gibt nur ein einziges Bild von diesem Treffen: Angela Merkel und Greta Thunberg sitzen nebeneinander in dunklen Ledersesseln. Beide haben ihre Redemanuskripte auf dem Schoß, denn wenige Minuten später sollen sie zu den Staats- und Regierungschefs der Welt sprechen, die zum UN-Klimagipfel nach New York gekommen sind. Die Bundeskanzlerin beugt sich in Richtung der schwedischen Klimaaktivistin, die scheint etwas zurückzuweichen. Journalisten waren bei dem angeblich zuvor nicht geplanten Treffen in einem Raum hinter der Bühne des Auditoriums der Vereinten Nationen in New York nicht dabei, aufgenommen wurde das Foto vom einem Mitglied der offiziellen deutschen Delegation. Was die beiden besprochen haben, ist bisher nicht bekannt.

Wenn man sich die Reden anhört, die Merkel und Thunberg anschließend im Abstand von wenigen Minuten halten, steht fest: Eine gemeinsame Ebene dürften sie bei ihrer kurzen Begegnung kaum gefunden haben. Beide reden in New York über den Kampf gegen den Klimawandel, doch zwischen ihnen liegen Welten.

Merkel hat schon auf vielen Klimagipfeln gesprochen, sie ist es gewohnt, auf der internationalen Bühne zu glänzen. Deutschland gibt traditionell viel Geld für den internationalen Klimaschutz, und die deutsche Klimapolitik galt trotz ihrer zahlreichen Defizite weltweit lange als vorbildlich. Die Reise nach New York hätte ein letzter Höhepunkt von Merkels Amtszeit werden können, die späte Rückkehr der Klimakanzlerin. Schließlich muss sie keine Rücksichten mehr nehmen, will keine Wahl mehr gewinnen, sondern arbeitet nur noch für die Geschichtsbücher.

Doch bereits bevor die Kanzlerin zum UN-Klimagipfel aufgebrochen ist, war klar, dass daraus nichts werden würde. Was die Große Koalition nach dem langen Verhandlungsmarathon am Freitag in Berlin als „Klimaschutzprogramm 2030“ präsentiert hatte, war nicht nur bei Umweltverbänden und Opposition durchgefallen, sondern auch bei jenen Wissenschaftlern, die vorab diverse Gutachten für die Regierung verfasst hatten.

Drei Tage danach in New York wirkt die Kanzlerin müde. Nicht unbedingt mehr von der langen Verhandlungsnacht von Donnerstag auf Freitag, als sie die vollen 18 Stunden im Kanzleramt dabei blieb. Sondern ermüdet vom Klimathema insgesamt, mit dem sie glaubt, nichts mehr gewinnen zu können. Das zeigt sich schon bei der Tagesordnung ihrer zweitägigen New-York-Reise. Der Klimagipfel ist zwar offizieller Anlass, doch einen großen Teil der Zeit widmet sie sich anderen Themen – vor allem der Krise im Iran, zu der während des zweieinhalbtägigen Aufenthalts mehrere bi- und trilaterale Treffen angesetzt worden sind.

Der Klimagipfel findet am Tag vor der eigentlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen statt. Reden lässt UN-Generalsekretär António Guterres dort nur jene Staats- und Regierungschefs, die echte Fortschritte zu verkünden haben. Merkel darf gleich als Vierte im voll besetzten Sitzungssaal der Generalversammlung sprechen. Und überraschend ist zu diesem Zeitpunkt auch US-Präsident Donald Trump anwesend, der den Gipfel eigentlich boykottieren wollte und am selben Tag auf dem UN-Gelände eine eigene Veranstaltung zur Religionsfreiheit organisiert hat. Doch Merkels Rede fällt wenig ambitioniert aus.

„Wir werden unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zu einem nachhaltigen Leben weltweit leisten“, sagt sie – und referiert als Beleg ein paar Passagen aus dem gerade beschlossenen Klimaschutzprogramm: Milliardeninvestitionen in ökologische Technik, ein CO2-Preis auch im Bereich Verkehr und Wohnen – die als völlig unzureichend kritisierte Höhe von zunächst nur 10 Euro pro Tonne verschweigt sie lieber. Positiv fällt auf, dass Merkel sich erstmals ohne Bedingungen zum 1,5-Grad-Ziel bekennt und zusagt, das Land bis 2050 komplett klimaneutral zu machen. Doch ein schärferes Ziel für 2030, das daraus eigentlich folgen müsste, nennt sie zur Enttäuschung vieler Beobachter nicht.

Dass Merkels Rede so uninspiriert wirkt, hat auch mit Greta Thunberg zu tun. Die kommt kurz vor der Kanzlerin zu Wort. Für die Schwedin, die mit ihrem Schulstreik vor gut einem Jahr die weltweiten Schüler*innenproteste ausgelöst hat, ist der Auftritt in New York die bisher größte Rede ihres Lebens. Um hier zu den Staats- und Regierungschefs der Welt zu sprechen, ist sie unter großen Strapazen zwei Wochen lang über den Atlantik gesegelt.

Die Rede, so war schon im Vorfeld zu hören, werde schärfer sein als alles, was sie zuvor gesagt hat. Und tatsächlich bricht die Wut nur so heraus aus der zart wirkenden Person, die zusammen mit Guterres und zwei weiteren Jugendlichen zum Beginn des Gipfels zunächst etwas verloren auf der Bühne des riesigen Saales sitzt.

„Das hier ist alles falsch“, ruft sie ohne Begrüßung – um dann mit teils tränenerstickter Stimme Anklage zu erheben. „Menschen leiden, Menschen sterben, ganze Ökosysteme kollabieren“, prangert Thunberg an, die Fäuste geballt. „Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens – und alles, worüber ihr redet, ist Geld und das Märchen vom ewigen Wirtschaftswachstum. Wie könnt ihr es wagen!“

„Wir werden unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zu einem nachhaltigen Leben weltweit leisten“

Angela Merkel

Diesen Satz wiederholt sie noch mehrmals. „Wie könnt ihr es wagen so zu tun, als könne das mit ‚Business as usual‘ und ein paar technischen Lösungen gelöst werden?“, sagt sie in Bezug auf das geringe CO2-Budget, das der Welt noch bleibt, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

„Wie könnt ihr es wagen, wegzusehen und trotzdem hierherzukommen und zu sagen, ihr tut genug?“ Und dass sich die Politiker auf die Jugendlichen beziehen, die weltweit auf die Straße gehen, findet Thunberg unglaubwürdig. „Ihr sagt, dass ihr uns ‚hört‘ und die Dringlichkeit versteht. Aber ich weigere mich, das zu glauben.“

Fast scheint es, als hätte die Schwedin Merkels Rede bereits gekannt, als sie ihre kurz zuvor hielt. Denn „Business as usual“ ist genau der Eindruck, den Merkels Klimapaket auf viele Menschen vermittelt. Und viele der Sätze, die Thunberg so wütend machten, kommen bei Merkel anschließend fast wörtlich vor: „Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört“, erklärt sie. Und versichert mit Verweis auf die klaren Aussagen der Klimaforschung: „Deshalb müssen wir dem Ratschlag der Wissenschaft folgen.“

Tatsächlich ist Merkel selbst Naturwissenschaftlerin und versteht den Klimawandel so gut wie wenig andere Politiker*innen. Doch ihr Handeln ist davon überhaupt nicht mehr geprägt. Mit der Entscheidung für einen CO2-Preis von nur 10 Euro hat sie sich maximal von den Forderungen ihrer wissenschaftlichen Berater distanziert, die einen Preis in fünffacher Höhe gefordert hatten. „Politik ist das, was möglich ist“ – so hat Merkel am Freitag den Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik erklärt. Die Naturwissenschaftlerin Merkel, so zeigt sich, ist in den letzten 30 Jahren immer mehr von der Politikerin Merkel verdrängt worden.

Und die fürchtet sich, anders als Greta Thunberg, nicht primär vor den Folgen des Klimawandels. Und auch nicht vor den jungen Menschen, die in Deutschland für ernsthaften Klimaschutz protestieren. Dass sie deren Stimme ohnehin nicht bekommt, dürfte der CDU-Kanzlerin klar sein. Wirklich an sich heran lässt sie deren Argumente darum nicht.

So empfindet das zumindest Rebecca Freitag. Die 27-jährige Berlinerin, die eine internationale Petition zum Einhalten des 1,5-Grad-Ziels gestartet hat, ist bei dem UN-Gipfel als sogenannte Jugenddelegierte dabei – und trifft in dieser Funktion auch kurz mit der Kanzlerin zusammen. „Sie sagt, sie hat uns gehört“, erzählt Freitag anschließend im deutschen Delegationsbüro, direkt am Rand des UN-Geländes. „Aber mein Eindruck ist, sie hat uns nicht wirklich zugehört.“ Merkels Versprechen, das Klimaziel für 2030 auf jeden Fall zu erreichen, sieht sie skeptisch. „Das hat sie für 2020 schließlich auch schon versprochen.“

Was Angela Merkel offensichtlich weitaus mehr fürchtet als die Enttäuschung der Jugend, sind die Wähler*innen auf dem Land, die zur AfD abwandern könnten, wenn die Kosten für das Pendeln und Heizen zu schnell steigen. „Wir müssen die Menschen mitnehmen“, hatte sie schon bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin gesagt. In New York führt sie den Gedanken weiter aus. „Es gibt diejenigen, die aktiv sind, die demonstrieren, uns Druck machen. Aber es gibt auch die Zweifler“, sagt die Kanzlerin. „Und Aufgabe jeder Regierung ist es, alle Menschen mitzunehmen.“

„Wie könnt ihr es wagen, wegzusehen und trotzdem hierherzukommen und zu sagen, ihr tut genug“

Greta Thunberg

Tatsächlich ist das eine Leerstelle bei Thunberg und den anderen Klima-Aktivist*innen: Wie lassen sich die objektiv notwendigen Maßnahmen umsetzen in einer Demokratie, in der ein relevanter Teil der Menschen allzu große Veränderungen ablehnt? Merkels Antwort lautet schlicht: gar nicht. Eine große Erzählung, die auch die zweifelnden Menschen überzeugen, mitnehmen könnte, bietet sie weder in Berlin noch in New York. Dabei sind die Chancen so gut wie nie. Doch den Umfragen, die breite Mehrheiten für entschlossenen Klimaschutz zeigen, misstraut die Kanzlerin. Und zumindest Teile der Wirtschaft erkennen immer stärker die Chancen, die der Kampf gegen den Klimawandel bieten kann. Doch auch das taucht in Merkels Rede nicht auf.

Tatsächlich kommt die Hoffnung, die in New York bisweilen auch aufblitzt, weniger von den Staats- und Regierungschefs, sondern eher von Vertreter*innen großer Firmen. Über 90 von ihnen kündigen in New York an, ihre Unternehmenspolitik künftig konsequent am 1,5-Grad-Ziel auszurichten.

Ein Bündnis von Versicherungen und Pensionsfonds, das nach eigenen Angaben mehr als 2,4 Billionen Dollar Anlagevermögen verwaltet, sagt beim Gipfel außerdem zu, bis 2050 keine klimaschädlichen Unternehmen und Projekte mehr zu finanzieren. Aus Deutschland ist der Versicherungsriese Allianz dabei. „Den Klimawandel zu begrenzen, ist die Herausforderung unserer Zeit“, sagte deren Chef Oliver Bäte, der in New York kurz nach Merkel ebenfalls reden darf. „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen gemeinsam handeln, um Klimagase schnell zu reduzieren.“ Das kommt auch bei Umweltverbänden gut an. „Die Investoren senden damit ein starkes Signal“, meint Christoph Bals von der Organisation Germanwatch, der den Gipfel vor Ort verfolgt.

Greta Thunberg hat die UN-Versammlung zu diesem Zeitpunkt schon wieder verlassen. Doch örtlich und thematisch blieb sie in der Nähe: Auf dem benachbarten Gelände des UN-Kinderhilfswerks Unicef reichte sie zusammen mit 15 weiteren Kindern und Jugendlichen eine offizielle Beschwerde beim Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen ein (siehe Text unten). „Die Staats- und Regierungschefs der Welt versagen dabei, die Rechte der Kinder zu beschützen, indem sie weiter nichts gegen die Klimakrise unternehmen“, sagte sie.

Auch Merkel hat den Gipfel kurz nach ihrer Rede verlassen. Nacheinander trifft sie die Präsidenten von Serbien, Irak und der Türkei, um außenpolitische Fragen zu erörtern. Ums Klima geht es ihr – auch hier – nur noch am Rande.