Die Wochenvorschau von Alke Wierth: Typisch Hauptstadt: Vielfalt trotz(t) Einfalt
Kamen Ihnen die Herbstferien in diesem Jahr auch so viel länger vor als sonst? Wie auch immer: Sie sind nun vorbei, die Schule beginnt wieder und damit auch der Normalbetrieb in unserer hippen Weltstadt.
Die tut sich ja gern und in vieler Hinsicht als Trendsetterin hervor, und so beginnt auch diese Woche. Die SPD, als hippste aller hippen Parteien natürlich stärkste Kraft in der Landesregierung Berlin, will sich auch im Bundestagswahlkampf als absolut auf der Höhe der Zeit präsentieren, nämlich als „Partei der Vielfalt“ und absolute Vorreiterin in Sachen Toleranz – dafür sollen auf Wahlplakaten sogar Slogans in fremden Sprachen stehen!
Warum die Sozis als Motto für ein solches Thema allerdings ausgerechnet auf den Slogan „Eine für alle“ gekommen sind, der ja eher nach Einheitspartei und damit nach dem Gegenteil von Vielfalt klingt, bleibt ihr Geheimnis – zumindest bis zur offiziellen Vorstellung der Kampagne am Montagmorgen.
Wollen wir hoffen, dass es mit diesem Vorstoß für Vielfalt dennoch besser läuft als mit der „Ehe für alle“, die zwar PR-technisch ein Riesending war, mit der es aber praktisch nicht so gut klappt. Das liegt nicht nur daran, dass die Software der Standesämter auch in Berlin denn doch einfach noch nicht so auf Vielfalt eingestellt ist und sich deshalb rein technisch außerstande sieht, eine Ehe zu akzeptieren, bei der nicht eineR Mann und eineR Frau ist. Sondern schlicht auch daran, dass es in Berlins Standesämtern (wie den meisten anderen Behörden, die Bürgerkontakte haben) scheinbar einen solchen Mangel an MitarbeiterInnen gibt, dass die wenigen, die da sind, gar nicht mehr dazu kommen, willige BerlinerInnen miteinander zu verheiraten.
Wer in Berlin eine Ehe schließen will, muss schon mal ein paar Monate auf einen Termin warten – Zeit, die Sache noch einmal zu überdenken? Nachgedacht über das Problem hat jedenfalls die Senatsinnenverwaltung und will die Ergebnisse ihres Nachdenkens am Dienstag der Öffentlichkeit vorstellen.
Und auch am Donnerstag geht’s wieder um Berlins besondere Beziehung zur Vielfalt: Da wird am Magnus-Hirschfeld-Ufer in Mitte ein Denkmal für die „weltweit erste homosexuelle Emanzipationsbewegung“ (LSVD) eingeweiht. Die vier bis sechs Meter hohen bunten Blüten der Calla-Lilien sollen an die Bewegung um den jüdischen Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld erinnern, die sich vor 120 Jahren gegen antihomosexuelle Gesetze engagierte.
Da lässt sich die Woche dann ganz stimmig beim „Festival für Demokratie und Vielfalt“ auf dem Gutshof Britz in Neukölln beenden. Denn gerade in diesem Berliner Bezirk kann man doch immer wieder schön beobachten, wie real existierende Vielfalt politischer Einfalt trotzt. Der Herbst wird bunt!
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