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Turboentzug

Der schmerzvolle Versuch eines Ausstiegs aus der Drogensucht. Erfahrungsbericht einer Jugendlichen ■ Von Antje

Erst mal was zu meinem bisherigen Leben: Ich bin mit 13 von zu Hause abgehauen, weil ich die Situation dort nicht mehr ertragen habe. Nachdem ich ein halbes Jahr auf der Straße gelebt hatte, ließ ich mir meinen ersten Druck setzen, weil ich völlig verzweifelt und natürlich auch neugierig war. Ich war mir sicher, dass ich jederzeit wieder aufhören könnte, doch schon kurze Zeit später musste ich feststellen, dass das Heroin stärker als mein Wille war. Aber da war es schon zu spät, ich war schon voll drauf.

Das Geld für die Drogen beschaffte ich mir durchs Betteln. Im Sommer 1994, mit vierzehn, landete ich dann in Berlin. Nach einiger Zeit bekam ich dort eine Wohnung und wollte endlich ein cleanes Leben führen. Ich ging wieder zur Schule. Doch meine Drogenabhängigkeit machte mir einen Strich durch die Rechnung.

Ich hatte einen arabischen Dealer als Freund, der mich täglich mit Drogen eindeckte und mich so von ihm abhängig machte. Er behandelte mich wie den letzten Dreck. Wahrscheinlich sah er in mir nur eine dreckige Junkiebraut. Bisher hatte ich nur Heroin genommen, nun fing ich auch an, Kokain zu spritzen. Kokain ist die schlimmste Droge derWelt, denn wo man sich bei Heroin einen fetten Druck setzt und den ganzen Tag breit ist, hält der Kokainkick (intravenös) nur einige Minuten, und man braucht danach unbedingt neues Zeug, und zwar immer die doppelte Menge, um wieder die gleiche Wirkung zu erzielen.

Ich lebte nur noch von einem Schuss zum nächsten. Zum Schluss lag ich nur noch im Bett und wartete auf meinen Dealer-Freund. Ich wurde blass und dünn, und in meinem Gesicht platzte plötzlich die Haut auf. Ich wurde so kokageil, dass ich Heroin nur noch nahm, um schlafen zu können. Es interessierte mich einfach nicht mehr, denn ein Kokainkick ist unvergleichlich schöner.

Zur Schule konnte ich gar nicht mehr gehen. Ich merkte, dass ich nur noch kurze Zeit zu leben hatte, wenn es so weiterginge, aber ändern konnte ich den Zerfall nicht. Doch dann nahm ich meine letzte Kraft zusammen und schleppte mich zu einem Sozialarbeiter, der mich sofort zu einem Arzt brachte, der mich dann mit Methadon substituierte.

Eigentlich wollte ich nie ins Methadonprogramm, weil ich gehört hatte, dass dieser Ersatzstoff körperlich schlimmer als Heroin abhängig machen sollte, aber mir blieb keine Wahl, wenn ich den nächsten Monat überleben wollte, und war sehr dankbar, dass der Arzt mich schon mit 15 Jahren aufnahm. (Normalerweise muss man schon 10 Jahre drauf oder HIV-positiv sein).

Im ersten Jahr klappte alles super. Ich holte auf der Abendschule meinen Hauptschulabschluss nach. Doch dann bekam ich plötzlich chronische Müdigkeit, ganz schlimme Kopfschmerzattacken und Schwindelanfälle. Ich schlief 16 Stunden täglich und war trotzdem den ganzen Tag müde. Ich war ja noch im Wachstum, und auch Methadon ist eine Droge, die den Körper zerstört.

Da hörte ich von einer ganz neuen Entzugsmethode aus Israel, bei der man in Narkose versetzt wird und dann praktisch im Schlaf entzieht. Ich dachte, dass, wenn man aufwacht, es einem sofort gut geht. Es dauerte lange, bis ich endlich einen Entzugsplatz bekam, und ich war überglücklich, denn mittlerweile war ich fast schon drei Jahre im Methadonprogramm.

Ich ging voller Optimismus in die Narkose. Etwa fünf Stunden später wachte ich auf. Oh Gott, die Schmerzen, die ich hatte, waren unbeschreiblich! Meine Beine taten sooo weh! Es war wie ein einziger anhaltenderWadenkrampf! Auch alle anderen Muskeln und Knochen schmerzten. Ich hatte unheimlichen Schüttelfrost und überall im Körper kribbelte es. Dann hatte ich fast 41 Grad Fieber und dadurch auch Halluzinationen.

Die ersten drei Tage blieb mein Zustand absolut unverändert. Ich lag nur im Bett und kotzte. Außerdem hatte ich ganz schlimmen Durchfall, so dass mir bald alle Gedärme weh taten. Dann waren meine Pupillen so stark vergrößert, dass man fast nicht mehr meine Augenfarbe erkennen konnte. Ich hatte mir für meinen Krankenhausaufenthalt mehrere Bücher und meinen Walkman mitgenommen, aber erst nach einer Woche konnte ich Musik hören und erst nach einem Monat lesen.

Die Nächte waren die Hölle, da war man den Schmerzen völlig ausgeliefert, denn auf Methadonentzug ist Schlafen so gut wie unmöglich. Auch aß ich im Krankenhaus nichts, denn ich ekelte mich davor. Ich nahm innerhalb von zehn Tagen 9,5 Kilo ab. Das war wohl das einzig Positive an diesem Entzug. Obwohl ich noch kaum laufen konnte und immer noch höllische Schmerzen hatte, wurde ich nach zehn Tagen entlassen, weil die zuständige Ärztin meinte, es würde reichen und ich müsse nun endlich wieder auf die Beine kommen.

Nach der Entlassung fuhr ich erst mal zu meiner Mutter, um mich dort aufpäppeln zu lassen. Ganz langsam ging’s mir wieder besser. Nun ist der Entzug schon einige Monate her, und ich leide immer noch unter leichten Entzugserscheinungen (Durchfall, Niesen und Schlappheit). Aber das wird auch noch besser! Manchmal habe ich tierischen Suchtdruck und drehe fast durch, aber bisher bin ich standhaft geblieben. Vor einem Rückfall habe ich unheimliche Angst. Leider kann ich nicht hundertprozentig versprechen, dass ich clean bleibe, aber ich werde kämpfen. Eins steht jedenfalls fest: NIE WIEDER METHADON, denn ich verrecke lieber als Junkie, als noch mal die Methadon-Hölle durchzumachen.Antje (19) lebt heute in Berlin. Zuvor lebte sie mehrere Jahre auf der Straße, unter anderem in Köln.Die Zeichnung stammt von der 19-jährigen Würfel.

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