Tunesische TV-Kommentatorin freigelassen: Ein Funken Hoffnung für die Pressefreiheit
In Tunesien ist die Rechtsanwältin Sonia Dahmani vorzeitig wieder auf freiem Fuß. Sie war wegen Verbreitung von Falschinformationen verurteilt worden.
Mit Freudentränen in den Augen empfingen am Donnerstagnachmittag dutzende Mitstreiter:innen die Rechtsanwältin Sonia Dahmani in Tunesiens Hauptstadt Tunis. Die durch ihre scharfzüngigen TV-Kommentare bekannt gewordene Tunesierin war überraschend vor Ablauf ihrer Haftstrafe nach 18 Monaten aus dem Gefängnis in Manouba entlassen worden. Ob gerichtliche Auflagen erlassen wurden, ist unbekannt.
Damit ist Dahmani, nach der Freilassung von zwei für die Rechte von Migrant:innen eintretenden Aktivist:innen, die dritte prominente Gefangene, die innerhalb einer Woche begnadigt wurde.
Dahmani war mit ihrem ruhigen und intellektuellen Auftreten zu einer Symbolfigur für ziviles Engagement geworden. Sie wandte sich stets gegen religiösen Extremismus und den Rückfall in autokratische Strukturen. Im Mai 2024 war sie wegen einer eigentlich harmlosen TV-Äußerung verhaftet und aufgrund eines 2022 eingeführten Gesetzesparagrafen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.
In einer Fernseh-Talkshow, in der es um Migration ging, hatte ein Gesprächspartner von Dahmani den nach Tunesien kommenden Migranten vorgeworfen, die Schätze des Landes plündern zu wollen. „Von welchem Paradies sprechen sie denn“, entgegnete sie, „das, aus dem die Jugend flieht?“ Auch andere regierungskritische Kommentare flossen in das Urteil ein.
Einschränkung der Pressefreiheit durch Paragraf 54
Die Richter hatten der 60-Jährigen das Verbreiten von Falschinformationen vorgeworfen. Der sogenannte Paragraf 54 soll laut Tunesiens Präsident Kais Saied Bürgern als Schutz vor Hasskampagnen auf sozialen Medien dienen und wird dazu auch genutzt. Gleichzeitig wurde der vage formulierte Gesetzestext zu einem Instrument gegen Journalist:innen, Aktivist:innen oder Kritiker:innen wie Dahmani.
Die tunesischen Bürger:innen verstanden die unmissverständliche Botschaft. Wer die verzweifelte Lage der Migrant:innen im Land, Korruption oder soziale Missstände zu offen kritisiert, riskiert den Arbeitsplatz oder die Freiheit.
Der tunesische Journalistenverband SNJT fordert die Abschaffung von Paragraf 54, der mindestens ein Dutzend Journalist:innen hinter Gittern gebracht hat. Während einer Demonstration am 20. November kritisierte SNJT-Chef Zied Dabbar auch die zunehmenden Beschränkungen bei der Vergabe von Pressekarten und beklagte den Druck auf freie Berichterstattung. Tunesiens Medienschaffende und Aktivist:innen galten bisher als die aktivsten in der arabischen Welt.
Im Oktober waren die Behörden auch gegen zahlreiche NGOs vorgegangen, die Gelder aus dem Ausland empfangen hatten. Die Menschenrechtsinitiative FTDES und die unabhängige Medienplattform Nawaat wurden für einen Monat geschlossen, offiziell um deren finanzielle Situation zu prüfen.
Eklat zwischen Tunesien und EU
Nach der Vergiftung mehrerer Schüler durch ein Gasleck bei einer Phosphatfabrik in der Hafenstadt Gabes war in den letzten Wochen der Kampfgeist der tunesischen Zivilgesellschaft wiedererwacht. Aktivistinnen und Bürger aus allen Gesellschaftsschichten gingen auf die Straße. Gerüchte, auch die Armee fordere die Einhaltung der 2011 errungenen Meinungsfreiheit, kommen immer wieder auf.
Die EU hatte den Demokratieprozess Tunesiens ein Jahrzehnt lang intensiv gefördert, blieb jedoch im Fall Dahmani lange auffällig still. Kritiker unkten, dass Brüssel es sich nicht mit Präsident Saied verscherzen wolle, auf dessen Unterstützung Europa in seiner Anti-Migrationsstrategie setzt.
Am Montag kam es dann jedoch zu Eklat. EU-Botschafter Guiseppe Perrone hatte die Führungsriege der tunesischen Gewerkschaft UGGT getroffen, Saids letztem mächtigen Konkurrenten. Daraufhin wurde der italienische Diplomat wegen Verletzung der Gepflogenheiten zu Said zitiert. Beobachter fragten sich: Hat mit Perrone erstmals ein EU-Vertreter wutentbrannt auf die Einhaltung von Standards gepocht? Wenige Stunden später war Sonia Dahmani zumindest frei.
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