Tunesien vor den Wahlen: Präsident bekommt Gegendruck
Zwei Oppositionskandidaten müssen laut dem Obersten Gericht wieder zugelassen werden. Am Freitag protestierten Tausende gegen die Regierung von Kais Saied.
Sie versammelten sich am Abend in der Hauptstadt Tunis und warfen Amtsinhaber Kais Saied einen autoritären Regierungsstil vor. „Keine Angst. Keine Einschüchterung. Die Macht liegt in den Händen des Volks“, riefen einige von ihnen laut Augenzeugen. Einige riefen Parolen der Proteste ab 2010, die zum Sturz von Langzeitherrscher Zine al-Abidine Ben Ali geführt hatten. Viele Gegner von Präsident Saled fürchten, dass die Wahlen manipuliert werden.
Die Wahlkommission hatte sich Anfang September geweigert, der Entscheidung des Obersten Gerichts Folge zu leisten und die Kandidaten Abdellaif Mekki, Mondher Znaidi und Imed Daimi wieder zuzulassen. Die Wahlkommission hatte die drei Gegenkandidaten von Saied wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten aus dem Rennen genommen. Der Wahlleiter Farouk Bouasker wies Vorwürfe zurück, die Wahlkommission diene dem Machterhalt von Saied und erklärte, nur die Wahlkommission garantiere den rechtmäßigen Ablauf der Präsidentenwahl.
Znaidi und Mekki hatten eine neue Beschwerde gegen die Kommissions-Entscheidung eingelegt, der das Oberste Gericht am Samstag stattgab. Die Richter erklärten, die von Präsident Saied handverlesene Kommission sei verpflichtet, ihre Anordnungen umzusetzen.
Saied wurde 2019 demokratisch gewählt. 2021 löste er das Parlament per Dekret auf und setzte eine Verfassung durch, die alle wesentlichen Befugnisse dem Präsidenten übertrug. Er begründete dies mit der jahrelangen Krise in Tunesien. Kritiker sprechen von einem Staatsstreich. In Tunesien nahm 2011 der Arabische Frühling seinen Anfang, der Hoffnung auf eine Demokratisierung der Region geweckt hatte.
Ennahda meldet Festnahmen von Parteimitgliedern
Unterdessen meldet die größte Oppositionspartei des Landes, die islamistische Partei Ennahda, dass mindestens 80 Parteimitglieder festgenommen worden seien – im Zuge landesweiter Razzien in der vergangenen Woche. Die Anwältin Latifa Habbechi sagte, möglicherweise belaufe sich die Zahl der Festgenommenen sogar auf 116.
Der ehemalige Sportminister Ahmed Gaaloul, ein Mitglied des Ennahda-Vorstands, sagte, auch mehrere hochrangige Parteifunktionäre seien in Gewahrsam genommen worden. Unter ihnen seien Mohammed Guelwi, ein weiteres Mitglied des Parteivorstands, und Mohammed Ali Boukhatim, ein regionaler Parteiführer aus Ben Arous, einem Vorort von Tunis. Was ihnen konkret vorgeworfen wird, war zunächst unklar. Anwältin Habbechi sagte, möglicherweise sollten sie wegen Verstößen gegen Anti-Terror-Gesetze angeklagt werden.
Die prominentesten Oppositionspolitiker des Landes, unter ihnen Ennahda-Parteichef Rached Ghannouchi, sitzen bereits im Gefängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen