Tütenpflicht für Hundekot in Berlin: Kacke ohne Ende
Mitgeführte Tüten sollten der neue Kniff im ewigen Kampf gegen den Hundekot auf Berlins Straßen werden. Doch das Gesetz läuft offenbar ins Leere.
Neben Leinen und Maulkorb geht es dabei in vielen Fällen um die Wurst. In der Verwaltung weiß man darüber Bescheid. Verschiedene Paragrafen sollen deshalb die friedliche Koexistenz von Hund und Mensch sichern. Einer aus dem Straßenreinigungsgesetz sieht unter anderem seit Juli 2016 vor, dass Hunde stets in mit Kottüten ausgestatteter Begleitung sein müssen. Dafür zieren in der Hauptstadt etliche Straßenlaternen mit schwarzen Beuteln befüllte Tütenspender. Wer die nicht mit sich führt, muss zahlen.
Es ist die Antwort auf ein Dilemma: Multipliziert man die 100.000 angemeldeten Hunde plus Dunkelziffer mit ungefährer Ausscheidung in Gramm, bekommt man einen groben Eindruck davon, wie viele Tonnen der übelriechenden Tretminen täglich auf der Straße landen. Doch auf Patrouille ertappen die uniformierten Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes die Hunde nur selten in flagranti beim Geschäft. Mit Einsetzen der Tütenpflicht sollte alles anders werden.
Joschka Langenbrinck (SPD), Bezirksabgeordneter in Neukölln und engagiert gegen Hundekot, stellte dazu Anfang April eine kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus mit dem martialischen Titel „Kampfansage an Hundehaufen: Durchsetzung der Tütenpflicht“. Er wollte wissen, wie es denn nun in den zwölf Berliner Bezirken bestellt ist um die Beutelpflicht.
„Das Gesetz ist ein stumpfes Schwert“
Die Antwort umfasst eine fast ironisch anmutende Tabelle, deren Spalten leer oder mit Nullen gefüllt sind. Durchgeführte Kontrollen seit Inkrafttreten: null. Verhängte Buß- und Verwarngelder: null. In acht der zwölf Bezirke fehlen die Zahlen komplett. „Bei den Bezirksämtern scheint es keine Priorität zu haben, Bürgersteige von Hundekot freizuhalten“, interpretiert Langenbrinck die Ergebnisse. Dabei definiere der Gesetzestext unmissverständlich: „Wer den Hundehaufen liegen lässt und keine geeigneten Mittel mit sich führt, handelt ordnungswidrig“, attestiert Langenbrinck.
Doch gerade bei der Feststellung solcher Ordnungswidrigkeiten läge die Schwierigkeit, heißt es beispielsweise aus Neukölln: „Vom Prinzip her spricht nichts dagegen, Hundehalter per Gesetz aufzufordern, die Hinterlassenschaften der Vierbeiner aufzusammeln. Aber das Gesetz ist ein stumpfes Schwert und kaum kontrollierbar“, erklärt Susanne Wein, Sprecherin des Bezirksamtes Neukölln. Niemand könne gezwungen werden, das Hilfsmittel ohne konkreten Verdacht vorzuzeigen. „Wir können die ‚Tütenpflicht‘ damit faktisch nicht kontrollieren.“
Berlinweit regeln das Straßenreinigungsgesetz und das Grünanlagengesetz den Umgang mit dem Hundekot. Besitzer*innen kann es laut Bußgeldkatalog 35 Euro kosten, wenn sie die Hinterlassenschaften ihrer Hunde nicht unverzüglich entsorgen. Wegen geringer Aufklärungsquote wird diese Vorschrift seit dem 22. Juli 2016 durch die sogenannte Tütenpflicht ergänzt. Seitdem kann – theoretisch – auch zur Kasse gebeten werden, wer keine geeigneten Hilfsmittel zur Beseitigung des Hundehaufens mit sich führt. (apo)
Probleme bereiten auch die Formulierung „geeignetes Hilfsmittel“ und die damit verbundene Frage, wessen Ekelempfinden das schlussendlich beurteilt.
Kontrolliert wurde auch das Herrchen von Mucho noch nie. Doch an die Leine des Mischlingsrüden sind mehrere Tüten geknotet: „Die habe ich immer dabei. Also seit einem Dreivierteljahr. Vorher hab ich das nicht gemacht, bin ich ganz ehrlich“, gibt der Hundehalter zu. Ein paar unglückliche Schritte mit neuen Sneakers hätten ihn dann aber umgestimmt, erklärt der junge Mann und zeigt sich reumütig: „Ist schon assi, den Haufen liegen zu lassen. Das ist ja mein Hund, meiner Tochter musste ich auch die Windeln wechseln.“
Joschka Langenbrinck beharrt auf seiner Forderung: „Wir wollen saubere Gehwege.“ Für ihn ist klar: Dafür müssten die Ordnungsämter die Tütenpflicht durchsetzen und Hundehalter, die den Haufen nicht sofort wegmachen, häufiger als bisher bestrafen. „Sollten findige Juristen der Meinung sein, dass das beschlossene Gesetz nicht klar genug ist, dann muss es sofort geändert werden.“
Die Tütenpflicht dürfte also nicht die letzte Episode der Tragikomödie „Berlin und der Hundekot“ sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann