Türkische Regierung schikaniert Besetzer: 20 Jahre Knast für einen Tweet

Trickreich schikaniert die türkische Regierung die Unterstützer der Proteste. Die Hotelbetreiber etwa, die Demonstranten vor der Polizei schützten.

Fünf-Sterne-Schutz: Protestierende im Divan-Hotel. Bild: dpa

ISTANBUL taz | Vielen Geziparkbesetzern ist das Divan-Hotel, ein 5-Sterne Luxuskomplex am Rande des Taksimplatzes, noch in guter Erinnerung. Als die Polizei den Park unter Einsatz von enormen Mengen an Tränengas mehrmals räumte, konnten sie, oft verletzt, im Divan-Hotel Zuflucht finden.

Das Management des Hotels hielt die Tore für flüchtende Demonstranten offen, in der Lobby konnten Notärzte sogar eine Erste-Hilfe-Station einrichten.

Für diesen Dienst am Mitmenschen sollen die Eigentümer des Divan-Hotels, die türkische Koc-Gruppe, nun teuer bezahlen. Ministerpräsident Tayyip Erdogan setzte jetzt die Steuerfahndung auf die beiden größten Unternehmen der Koc-Holding an, zu deren Firmenkonglomerat auch die Divan-Hotelkette gehört. Schon während der laufenden Proteste hatten hohe AKP-Politiker kritisiert, das Divan-Hotel würde „Terroristen“ Unterschlupf bieten, doch die Justiz scheute davor zurück, gegen das Hotel-Management vorzugehen.

Stattdessen wählt die AKP-Regierung jetzt einen anderen Weg, um sich an dem Konzern zu rächen. Ende letzter Woche veranstaltete die Steuerfahndung Großrazzien bei Tüpras, der größten Ölraffinerie des Landes, und dem Erdgaskonzern Aygaz. Beide Firmen sind die Kronjuwelen der Koc-Gruppe, Tüpras wurde erst vor wenigen Tagen als wertvollster Konzern der Türkei gelistet.

Nicht das erste Mal

Außerdem überprüft das Verteidigungsministerium plötzlich eine milliardenschwere Ausschreibung für den Bau sechs neuer Kriegsschiffe, die die RMK Marine, ebenfalls eine Koc-Firma, gewonnen hatte. Der Konzern ist Erdogan schon länger ein Dorn im Auge. Es ist die größte türkische Firmengruppe, die in der frühen Phase der türkischen Republik groß geworden ist und das alte, säkulare Kapital des Landes repräsentiert.

Das Vorgehen der Regierung erinnert an einen anderen Fall, als der ebenfalls dem säkularen Lager zuzurechnende Dogan-Konzern, der unter anderem die Tageszeitung Hürriyet verlegt, plötzlich mit angeblichen Steuerschulden von mehr als zwei Milliarden Dollar konfrontiert wurde, nachdem Hürriyet über einen Fall schwerer Korruption innerhalb der AKP berichtet hatte.

Im Falle des Koc-Konzerns hat sich jetzt allerdings ein führender Geschäftsmann eingeschaltet, der zum AKP-Lager gehört. Mustafa Boydak, Eigentümer von Istikbal, einer der zehn größten Möbelhersteller der Welt und Sprecher der Geschäftsleute von Kayseri, der Hauptstadt des islamischen Kapitals in der Türkei, warnte davor, Geschäftsleute aus politischen Gründen anzugreifen. „Die Regierung soll Geschäft nicht mit Politik vermischen“, sagte er, „das schadet nur der Türkei.“ Boydak gilt als enger Vertrauter von Präsident Abdullah Gül, der ebenfalls aus Kayseri stammt.

Prominente Kritiker ärgern Erdogan

Doch nicht nur Unternehmer geraten ins Fadenkreuz der Justiz, auch Künstler. Der bekannte Schauspieler Memet Ali Alabora, der sich mit den Parkbesetzern schon früh solidarisiert hatte, soll jetzt für eine Twitternachricht für 20 Jahre ins Gefängnis. Weil er am 31. Mai tweetete, „Unterstützt die Besetzer, es geht nicht nur um einen Park“, will die Staatsanwaltschaft ihn jetzt wegen „bewaffneten Aufstands zum Sturz der Regierung“ anklagen. Auf einer seiner Kundgebungen gegen die Parkbesetzer hatte Erdogan Alabora bereits namentlich angegriffen, weshalb dieser schon länger um Leib und Leben fürchten muss.

Für große Verärgerung in Ankara sorgte ein offener Brief in der Londoner Times, in dem bekannte Hollywoodschauspieler wie Sean Penn, Ben Kingsley und andere Künstler die Repression gegen die Geziparkbewegung scharf kritisieren. Sie werfen Erdogan diktatorisches Verhalten vor und bezeichneten die von der Regierung organisierten Jubelkundgebungen für Erdogan als türkische „Reichsparteitage“. Europaminister Egeman Bagis warf den Hollywood-Größen deshalb „Volksverhetzung“ vor und kündigte an, die türkische Regierung werde die Initiatoren des Aufrufs verklagen.

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