Türkische Nationalisten in Bremen: Erdoğan-Lobbyisten an der Arbeit
Die Union europäisch-türkischer Demokraten will in den Bremer Senat. Sie ist mit Erdoğans AKP und den „Osmanen“-Rockern verquickt.
Die sogenannte Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) plane spätestens seit 2016 recht ungeniert, „bei den nächsten Bürgerschaftswahlen Kandidaten aus den eigenen Reihen aufzustellen“, heißt es in dem Papier. Unklar sei dem Senat, wie dies konkret geschehen solle – ob durch die Beeinflussung von KandidatInnen bei etablierten Parteien oder im Rahmen von Parteineugründungen.
Die UETD gilt als politische Lobbyorganisation der Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Sie hat hierzulande Wahlkampfauftritte von AKP-PolitikerInnen oder etwa eine große Demo am Brandenburger Tor gegen die Anerkennung des Genozids an den Armeniern organisiert.
Cindi Tuncel, Abgeordneter der Linken, der die Kleine Anfrage an den Senat gestellt hat, glaubt nicht, dass die UETD eine eigene Partei gründen werde. Er sagt: „Erdoğans AKP versucht, hierzulande Einfluss in bestehenden politischen Parteien zu gewinnen.“ Wie sie das genau machen will? „Indem sie Abgeordnete unterstützt“, sagt Tuncel. Namen will er nicht nennen.
In Bremen werden insbesondere zwei SPD-Abgeordneten Kontakte zur UETD nachgesagt: Mustafa Güngör, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft und Mitglied im SPD-Landesvorstand, und Mehmet Acar. Damit konfrontiert, bestreiten die beiden Abgeordneten vehement eine Beeinflussung durch die UETD. Und wirklich erhärten lassen sich diese schwerwiegenden Vorwürfe auch nicht.
Die Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) ist nach eigenen Angaben eine „NGO“ mit Sitz in Köln, die bestrebt sei, das „Geschehen in der Gesellschaft zu formen“. Im Norden hat der Verein Büros in Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Lübeck. In Bremen organisierte die UETD diverse politische Veranstaltungen:
April 2016: Demonstration „Schulter an Schulter für unser Vaterland“
Dezember 2016: Bildungs- und Wirtschaftstreffen der türkischen Handels- und Industriekammer
Frühjahr 2017: Einladung diverser AKP-Politiker, Einrichtung einer Wahlkoordinierungsstelle, kostenlose Bustransfers zum Wahllokal nach Hannover
Mai 2017: Erdoğan empfängt eine Bremer UETD-Delegation beim Nato-Gipfel in Brüssel
August 2017: Teilnahme am Gröpelinger Stadtfest
Dezember 2017: Empfang des Chefberaters des türkischen Ministerpräsidenten Mustafa Sen
Richtig ist: Beide hatten mindestens zweimal Kontakt zur UETD. Der taz liegen Fotos der beiden beim Besuch einer UETD-Veranstaltung im Oktober 2016 vor. Als Gast und Redner war dort ebenfalls geladen: Metin Külünk, der als AKP-Abgeordneter und Beauftragter für die TürkInnen in Europa so etwas wie Erdoğans internationaler Cheflobbyist ist. Damals sollte er eine Rede halten, um den „Sieg der Demokratie“ bei der Bremer UETD zu feiern, wie im AKP-Sprech euphemistisch der gescheiterte Putschversuch vom 15. Juli 2016 heißt.
Auf den Fotos sind die beiden bremischen Abgeordneten an einem Tisch mit Külünk und dem Regionalvorsitzenden des UETD-Bremen, Burak Çaylı, zu sehen. Der Saal ist festlich hergerichtet, das Konterfei Erdoğans blickt von einem Bild auf weiße Tischdecken mit Wasser-Flaschen, Fanta und Uludağ-Brause.
Für Güngör und Acar war der Besuch der Veranstaltung ein Termin wie jeder andere. Güngör sagt: „Ich bin SPD-Abgeordneter und gehe da auch mit diesem Selbstbewusstsein hin. Da vertrete ich meine Partei, nichts anderes wird von mir erwartet.“
In dieser Funktion träfe er nicht nur AKP-Abgeordnete, sondern auch türkische Sozialdemokraten von der CHP. „Gerade in Zeiten, die schwierig sind, muss man reden“, sagt Güngör. Er nehme auch jede Gelegenheit wahr, um mit WählerInnen zu reden. „Dabei geht’s mir nicht darum, wer das organisiert“, so Güngör. „Wenn es eine Einladung gibt, prüft man den Terminkalender und dann geht man dahin“, sagt er.
Es gibt kaum Berührungsängste
Auch in anderen Fraktionen gibt es kaum Berührungsängste mit türkischen NationalistInnen: Am Samstagnachmittag haben in Bremerhaven rund 700 Menschen für Erdoğans Offensive gegen Kurden in Nordsyrien demonstriert, unter ihnen der Ex-Grüne und heutige CDU-Abgeordnete Turhal Özdal. Auf Fotos ist eindeutig zu erkennen, wie er eine Türkei-Fahne mit sich trägt.
Mustafa Öztürk aus der Grünen-Fraktion hatte wie Güngör und Acar 2015 das Forum der UETD für einen türkischen Wahlaufruf an potenzielle WählerInnen genutzt. Öztürk allerdings sagt: „Heute würde ich das nicht mehr machen. Die UETD war zu der Zeit anders ausgerichtet als danach.“ Nach den Gezi-Protesten habe man zunehmend beobachten können, wo die Organisation stehe: „Wer unkritisch zu Missständen in der Türkei schweigt und nur nacherzählt, was aus AKP-Kreisen kommt, ist nicht reflektiert genug.“
Auch Bremens Senat bewertet mittlerweile den türkischen Einfluss in Bremen deutlich anders als noch im August 2017, als er noch angab, weder von türkischen Spionagetätigkeiten noch von Bespitzelungen in Moscheevereinen in Bremen etwas zu wissen.
Werbung für Erdoğan
Klarer zu fassen sind nach Angaben des Senats die Tätigkeiten der UETD. Im Frühjahr 2017 habe diese systematisch Erdoğans Wahlkampf für dessen Referendum unterstützt. Der Verein habe Webeflyer verteilt und kostenlose Bustransfers zum Wahllokal nach Hannover organisiert. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei 2016 habe der Verein eine breitere Präsenz, betreibe mehrere Standorte in Bremen und umzu und stehe mit der türkischen Regierung im regen Austausch.
Doch das ist noch nicht alles: Dem Senat liegen auch Hinweise darauf vor, dass sich in Bremen ein Chapter der nationalistischen Rockergruppierung „Osmanen Germania BC“ gegründet hat. Neben einem Treffen von 70 Mitgliedern in Kutten im Juli 2017, das die Polizei auflöste, soll es Hinweise auf eine Gründung in sozialen Medien geben. Erkenntnisse zur konkreten Mitgliederanzahl oder einem Vereinsheim hat der Senat jedoch nicht.
Unter Berufung auf die Landeskriminalämter anderer Länder geht der Bremer Senat davon aus, dass „Teile der Gruppierung ‚Osmanen Germania BC‘ mit dem türkischen Geheimdienst zusammenarbeiten“. Gleichzeitig geben Osmanen häufig den Sicherheitsdienst bei Kundgebungen der UETD.
Gewalt gegen KurdInnen
Die Stuttgarter Nachrichten hatten gemeinsam mit dem ZDF-Magazin Frontal 21 unter Berufung auf Abhörprotokolle kürzlich über Verquickungen zwischen AKPlern, den Osmanen-Rockern und der UETD berichtet. Dort heißt es, der Erdoğan-Vertraute Külünk sei eine Art Mittelsmann, der den Rockern zu Geld und Waffen verholfen haben soll. Von Külünk gibt es beides: Fotos mit Erdoğan und Fotos mit den Chefs der Osmanen Germania. Der Verfassungsschutz interpretiert letztere Treffen als öffentliches Bekenntnis der Erdoğan-Politik zum gewalttätigen Rockerklub.
Külunk hat laut Frontal21 sogar konkret dazu aufgefordert, Gewalt gegen hier lebende KurdInnen auszuüben, davon Filmaufnahmen zu machen und diese in die Türkei zu schicken. Um „jedem zu zeigen, was mit denen passiert, die sich gegen die Politik Erdoğans erheben“, so der Mitschnitt eines Külünk-Telefonats.
Güngör sagt, er kenne diese Berichte genauso wenig wie die Senatsvorlage. Aber, wenn das alles stimmen sollte, wäre das fatal: „Wenn Külünk demnächst nach Bremen kommen würde, würde ich ihn auf diese Vorwürfe direkt ansprechen.“
Tuncel besorgt, dass UETD-Anhänger Menschen mit abweichenden Meinungen einschüchterten: „Viele Türken, die eigentlich gegen das Referendum waren, hatten Angst, sich gegen Erdoğans Politik auszusprechen.“ Er selbst bekomme täglich Drohanrufe. Im Hintergrund laufe dann oft militärische Musik, die Anrufer beschimpften ihn auf Türkisch und Deutsch, ohne jedoch konkrete und justiziable Drohungen auszusprechen. Er sagt: „Die wissen genau, was sie tun.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin