Türkische Menschenrechtlerin verurteilt: Sechs Jahre Haft für Eren Keskin
Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe. Neben der bekannten Menschenrechtlerin sind in der Türkei drei weitere Personen verurteilt worden.
Auf Twitter schrieb Keskin am Montag, sie sei oft angeklagt worden und habe wegen ihrer Ansichten im Gefängnis gesessen. Es sei jedoch das erste Mal, dass sie wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt werde.
Keskin war wie viele andere demokratisch engagierte Personen in der Türkei in einem Prozess gegen die frühere kurdische Tageszeitung Özgür Gündem angeklagt, weil sie sich aktiv für die bedrohte Zeitung engagiert hatte. Weil diese 2015 immer stärker unter staatlichen Druck geriet, hatte sich eine Gruppe bekannter Schriftsteller*innen, Journalisten*innen, Künstler*innen und Menschenrechtsaktivist*innen zu einer Solidaritätsaktion zusammengeschlossen. Jeden Tag abwechselnd übernahm eine/r der Prominenten symbolisch die Chefredaktion von Özgür Gündem.
Nachdem die Zeitung nach dem Putschversuch 2016 wie viele andere auch verboten wurde, zimmerte die Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen die damaligen Teilnehmer*innen der Solidaritätsaktion zusammen. Allen wurde Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.
Die Anklage war einer der ersten Schritte der Erdoğan-Regierung, mit der die Verfolgung von Kritikern über den Kreis der Putschverdächtigen im Umfeld der Sekte von Fethullah Gülen ausgedehnt wurde. Zu den Angeklagten zählten unter anderen die Schriftstellerin Aslı Erdoğan, die mittlerweile in Deutschland lebt, der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, die Menschenrechtsaktivistin und heutige Vorsitzende der türkischen Ärztekammer Şebnem Korur Fincancı und eben Eren Keskin.
Furchtlos und ausdauernd
Während Aslı Erdoğan auf internationalen Druck aus der U-Haft entlassen wurde und die Türkei verlassen konnte und Önderoğlu und Fincancı in erster Instanz freigesprochen wurden, blieb Keskin zusammen mit mehreren Redakteuren von Özgür Gündem im Hauptverfahren weiter angeklagt.
Der Hauptgrund dafür dürfte gewesen sein, dass Keskin schon seit Jahrzehnten für die Rechte der Kurd*innen, für Pressefreiheit und speziell gegen sexuelle Belästigung im Gefängnis kämpft. Sie ist seit der Gründung des türkischen Menschenrechtsvereins IHD in den achtziger Jahren an führender Stelle in dem Verein engagiert und hat sich in dieser Zeit zahllose Verfahren eingehandelt.
In den neunziger Jahren saß sie bereits für mehrere Jahre im Gefängnis. Ende des Jahrzehnts gehörte sie zu der Anwaltsgruppe, die den PKK-Führer Abdullah Öcalan nach dessen Verhaftung vertrat. Wer mit Keskin spricht, auf den macht sie einen furchtlosen Eindruck. Offenbar hat sie sich all die Jahre nicht einschüchtern lassen; auch aus der der Menschenrechtsarbeit zog sie sich nicht zurück.
Wie die Organisation Amnesty International, die Keskin 2001 den Menschenrechtspreis verlieh, vorrechnete, summieren sich die erstinstanzlichen Haftstrafen gegen sie, einschließlich des Urteils von Montag, mittlerweile auf 24 Jahre. Der deutsche AI-Vorsitzende Markus Beeko verurteilte den Prozess gegen Keskin als politisch motivierte juristische Farce, in dem die türkische Justiz sich erneut zur Handlangerin der Politik gemacht hat.
Auch gegen Önderoğlu und Fincancı geht die Justiz weiter vor. Einem Einspruch der Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche in erster Instanz wurde kürzlich von einem Berufungsgericht stattgegeben. Beide stehen deshalb erneut vor Gericht. Nach der Schließung von Özgür Gündem gibt es in der Türkei keine legalen kurdischen Zeitungen mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“