Türkisch-Armenische Versöhnung: Widerstand der Behörde
Im türkischen Kars, an der Grenze zu Armenien, darf der bekannte Bildhauer Mehmet Aksoy sein Versöhnungsdenkmal nicht zu Ende bauen. Ein Bericht von einem symbolischen Desaster.
Als Orhan Pamuk der Welt einmal die Türkei erklären wollte, schrieb er den Roman Schnee. Die Geschichte des Dichters Ka, der geheimnisvollen Selbstmorden in der Provinz nachgeht, spielt in der nordostanatolischen Stadt Kars, 45 Kilometer von der Grenze nach Armenien und 65 Kilometer von der zu Georgien entfernt. Das Drama zwischen Reform und Reaktion, die Mischung aus Fanatismus und Verzweiflung in die Ka dort gerät, wiederholt sich dieser Tage in der Realität. Denn in der tristen kleinen Grenz- und Garnisonsstadt ist ein Streit entbrannt, der den fiktiven politischen Querelen aus Pamuks Buch zum Verwechseln ähnelt.
In Kars hat nämlich der türkische Bildhauer Mehmet Aksoy ein sogenanntes „Versöhnungsdenkmal“ gebaut. 35 Meter hoch ist es geworden und 1.500 Tonnen schwer. Es zeigt eine stilisierte menschliche Figur, die in zwei Hälften gespalten ist. Auf beiden Seiten ruht eine Hand auf der nächsten Schulter. Im unteren Bereich weint das Auge der Weltweisheit, auf dem die Statuen stehen, Tränen, die sich in einem Wasserbecken sammeln. Wenn es denn endlich eingeweiht würde, wäre das „Denkmal der Humanität“, so sein offizieller Titel, das größte Denkmal der Türkei.
Sein Standort ist kein Zufall. 1915 erfroren in der Stadt 90.000 türkische Soldaten in einem eisigen Winter wegen der Nachlässigkeit ihrer Vorgesetzten. 1928 gerieten in der zwischen Persern, Osmanen, Russen und Armeniern ewig umkämpften Stadt 11.000 Türken in Kriegsgefangenschaft. Doch es ging Naif Alibeyoglu, dem Bürgermeister von Kars, im Jahr 2004 bewusst darum, ein allgemeines Zeichen des Friedens zu setzen, als er bei Aksoy ein Denkmal in Auftrag gab, das auf einem Hügel direkt gegenüber der alten Kriegsburg von Kars stehen sollte: “In unserer Region, die sehr viel unter Hass, Krieg und Inhumanität gelittet hat, soll ein Licht der Versöhnung aufgehen“ sagte der AKP-Politiker damals. Doch kurz vor der für Mitte Oktober 2008 geplanten Einweihung des Denkmals, wurde der Bau plötzlich gestoppt. Seitdem tobt ein heftiger Kulturkampf um das Kunstwerk.
Die offizielle Begründung des Amtes für den Kultur- und Naturschutz der Provinz Erzurum: Auf dem Gelände des Denkmals seien „Kulturschätze“ gefunden worden. Das Denkmal müsse abgerissen werden. Merkwürdig nur, dass diese Kehrtwende der Behörde, die das Projekt zuvor noch genehmigt hatte, just zu einem Zeitpunkt kam, als von Alibeyoglus Nachfolger als Bürgermeister, Nevkat Bozkus, plötzlich kritische Töne gegen Mehmet Aksoy zu hören waren. Die faschistische MH-Partei im Stadtrat argwöhnte sogar, Aksoy spiele mit seinem Denkmal den Nachbarn in die Hände, die seit Jahren davon von einem Großarmenien mit der Hauptstadt Kars träumten. Im 2015 jährt sich der Tag des türkischen Genozids an den Armeniern zum 100. Mal.
Der MHP-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat von Kars erklärte öffentlich: "Wir haben beim Künstler angefragt, warum das Denkmal per Laser beleuchtet wird. Damit es auch in Armenien gesehen werden soll? Bis jetzt haben wir keine befriedigende Antwort erhalten. Was symbolisiert dieses Denkmal? Umarmen sich der Armenier und der Türke? Umarmt der Armenier die Erde, nach der er Sehnsucht hat? Oder ist es die Umarmung des Ostarmeniens mit dem Westarmenien? Wir werden alles tun, damit das Denkmal abgerissen wird.“
Seit zwei Jahren schieben sich nun die türkischen Behörden gegenseitig die Verantwortung für den Bau oder Nicht-Bau zu. Der Karser Bürgermeisters ließ erklären, die ganze Sache habe „mit Kars nichts zu tun“. Beim Amt für den Schutz des Kultur- und Naturerbes in Erzurum sind alle Verantwortlichen für Wochen, wie es heißt, „auf Feldforschung“. Das Kulturministerium in Ankara gab sich besorgt, wollte aber von dem Desaster noch nichts gehört haben.
Und das ihm unterstellte, nationale Hohe Amt für Denkmalpflege redet sich damit heraus, so lange eine Entscheidung über Aksoys Denkmal noch nicht gefallen sei, dürfe niemand informiert werden. Auch eine Intervention von Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, brachte kein Licht in das Denkmals-Dunkel. Und Mehmet Aksoy kann nicht weiterbauen. Eine der großen Marmorhände für das Denkmal liegt verwaist auf dem gerodeten Boden davor.
Aksoy ist nicht irgendwer. Der 1939 in einem kleinen Dorf in der südöstlichen Provinz Hatay geborene Humanist und Kommunist ist mit seinen monumentalen Skulpturen eine Art Alfred Hrdlicka der Türkei. Von 1972 bis 1989 lebte er in Berlin, wo er einen Künstlerverein gründete. Am Schlesischen Tor steht heute noch seine 9-teilige Skulptur Arbeitsemigranten aus weißem Carrara-Marmor. Im benachbarten Potsdam steht ein Deserteursdenkmal, dessen Aufstellung die Stadt Bonn 1989 verwehrte.
Der türkische Schauspieler Tarik Akan nannte Aksoy einmal einen „Magier des Lichts“, so wie er dem Stein eine Dialektik zwischen Masse und Transparenz, Licht und Schatten, Gut und Böse zu entlocken vermöge. „Es ist nicht nur meine Aufgabe, den Stein zu formen“, umriss Aksoy einmal sein ästhetisches Ziel,“sondern auch das Licht“. Ein Credo, das an den Buchtitel erinnert, den der frühere, sozialdemokratische Premierminister der Türkei, Bülent Ecevit einmal einem von ihm verfassten Gedichtband gab: „Ich meißelte Licht aus Stein“.
Tausende von Besuchern pilgern jedes Jahr zu Mehmet Aksoys Denkmal des Türkischen Unabhängigkeitskrieges in Selcuk bei Izmir. Drei Jahre hat er für das Mal die Umlaufbahn der Sonne recherchiert. Genau am 26. August um 12.30 Uhr, dem Tag und der Stunde seines Beginns im Jahr 1922, wenn sie in einem bestimmten Winkel über dem neun Meter langen und zweieinhalb Meter hohen Mal steht, schält sich aus dem monumentalen Werk der Schattenriss des Kopfes des legendären Republikgründers.
Aksoy hat Erfahrung mit abgelehnten Denkmälern. Seit einem Jahr verweigern die Behörden des Istanbulers Stadtteil Sisli den Bau von Aksoys Mahnmals für den ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink. Es soll an der Stelle platziert werden, an der Hrant Dink 2007 in der Stadt erschossen wurde. In 75 Zentimeter Tiefe soll eine erschossene weiße Taube auf schwarzem Granit zu sehen sein. Auf die Scheibe soll das Wort "Dink" sowie das Geburtsdatum des Ermordeten graviert werden. Die Bezirksverwaltung von Şişli hatte die Baugenehmigung jedoch verweigert, da das Abdeckglas angeblich nicht rutschfest sei.
So war es oft im Leben des Künstlers. Als Mehmet Aksoy 1989 aus Berlin in die Türkei zurückkehrte, „verhafteten“ die Grenzsoldaten am Zoll von Edirne eine Statue des Kopfes von Nazim Hikmet, die Aksoy während eines Berliner Skulptur-Workshops geschaffen hatte. Damals war der Kommunist, der ins Exil nach Moskau verbannt worden war, offiziell noch eine Unperson im eigenen Land. Aksoys Mahnmal zur Erinnerung an die 36 jungen Männer, die bei den Mai-Unruhen 1975 auf Istanbuls zentralem Taksim-Platz ums Leben kamen, durfte nicht aufgestellt werden.
Und mit einem Federstrich machte der Putsch-General des Jahres 1980, Kenan Evren,viele Jahre Staatspräsident der Türkei, seinen siegreichen Entwurf für den Wettbewerb zu einem Denkmal am Parlament von Ankara zunichte. Jemand, der den Republikgründer wie einen Sozialisten mit Fellmütze dargestellt habe, knurrte Evren im Preisgericht, könne nicht der Sieger des Bewerbs sein.
Aksoys Erfahrungen scheinen sich nun in Kars zu wiederholen. Ein bereits gebautes Denkmal dieses Künstlers in einem Augenblick abzureißen, in dem selbst die islamische Staatsführung der Türkei den Ausgleich mit ihren östlichen Nachbarn anstrebt, käme einem symbolischen Desaster gleich.
Hören wir noch einmal Ex-Bürgermeister Alibeyoglu, der aus Verzweiflung über die Zustände in Kars inzwischen aus der AKP aus- und zur republikanischen Oppositionspartei CHP übergetreten ist: „Es sollte ein Symbol werden in der Türkei: auf der einen Seite die Burg, die den Krieg versinnbildlicht, und auf der anderen Seite das Denkmal, das für den Frieden steht. Dem Abrissplan liegt sicherlich eine politische Entscheidung zugrunde. Das wird eine Schande für die Türkei.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“