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Panter Stiftung

Türkei-Wahl am 14. Mai In allen Bereichen Bankrott

Präsident Erdoğan könnte die Wahlen verlieren. Anlässlich von Panter Veranstaltungen beim taz lab gibt die Journalistin Banu Güven Einblick in die politische Situation.

Illustration: Zeynep Oezatalay

VON BANU GÜVEN

taz Panter Stiftung, 17.04.2023 | Die ganze Türkei wartet mit angehaltenem Atem auf die kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Denn die Wahlen am 14. Mai werden das Schicksal der 100 Jahre alten Republik bestimmen. Die Frage lautet: Wird das Wahlergebnis das Land vor dem Abgrund bewahren oder es in die Tiefe stürzen? Die Umfragen und die Stimmung deuten auf die erste Option.

Recep Tayyip Erdoğans Hauptgegner, der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kılıçdaroğlu, betritt die Wahlkampfarena als gemeinsamer Kandidat eines Sechserbündnisses. Das zweitgrößte Bündnis, in dem sich linke Parteien befinden, verzichtete auf einen eigenen Kandidaten und bot dadurch Kılıçdaroğlu indirekte Unterstützung an. Laut den letzten Umfragen soll Kılıçdaroğlu seinen Gegner in der ersten Runde mit Abstand besiegen.

Veranstaltungshinweis

Zum taz lab am 22. April gibt es um 18.30 Uhr zwei Debatten mit Expert:innen über die Türkei. Sie sind öffentlich und ohne Ticket zugänglich (Anmeldung: kismet@taz.de) und werden zudem im Internet übertragen.

Erdoğans System ist in allen Bereichen bankrottgegangen. Bis zum 6. Februar dachten alle, der Absturz der Türkischen Lira wäre das Allerschlimmste. Sie ärgerten sich über Erdoğans eigensinnige, dogmatische Finanzpolitik und die Rekordinflation. Dann erschütterten zwei schwere Erdbeben das Land. Unter den Trümmern eingestürzter Häuser kamen Menschen nach tagelangem Ausharren ums Leben, weil niemand rechtzeitig zu Hilfe kam.

Die Unfähigkeit der Erdoğan unterstellten Behörden, insbesondere des Katastrophenschutzes, brachte das Fass auch für Erdoğan-Anhänger zum Überlaufen. Statt auf Kompetenz beruht sein System auf Loyalität und Korruption.

Erdoğan versucht jetzt alles Mögliche, um mehr Stimmen zu bekommen. Neben der nationalistischen MHP verbündete er sich unlängst mit zwei islamisch-konservativen Parteien. Diese Parteien waren die treibenden Kräfte hinter dem Ausstieg der Regierung aus der Istanbul-Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie fordern jetzt auch die Abschaffung des nationalen Gesetzes gegen häusliche Gewalt, was sogar Aufsehen innerhalb Erdoğans AKP erregte.

Weitere Türkei-Projekte

Am 3. Mai folgt zum Tag der Pressefreiheit eine taz Beilage mit einem Türkei-Schwerpunkt. Und Ende Mai laden wir in der taz-Kantine zu einem Abend anlässlich des 10. Jahrestages der Gezi-Proteste ein.

Sendeverbote für Medien

Erdoğans wichtigstes Propagandamittel im Wahlkampf sind die Medien. Die Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK verhängt ständig Geldstrafen und Sendeverbote für oppositionelle Sender. Mal wegen kritischer Berichterstattung aus dem Erdbebengebiet, mal wegen der Vorstellung des neuen Buchs des inhaftierten kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş. Bei mehreren Strafen droht diesen Sendern ein permanente Sendeverbot.

Soziale Medien stellen für Erdoğan auch ein Risiko dar. Durch das Desinformationsgesetz versucht er dieses Risiko abzuschaffen. Wenn in sozialen Medien Nachrichten auftauchen, die Erdoğan nicht gefallen, wird das Internet so lange gedrosselt, bis der Inhalt von dem Dienstleister entfernt wird. Das könnte auch am Wahlabend geschehen, falls über angeblichen Wahlbetrug berichtet werden sollte.

Trotz seiner Bemühungen wird Erdoğan die Präsidentschaftswahl höchstwahrscheinlich verlieren. Seine Hoffnung ist aber, im Parlament genug Sitze zu bekommen, damit der Opposition die Mehrheit dafür fehlt, die Verfassung in Richtung eines verbesserten parlamentarischen Systems zu ändern.

Banu Güven ist eine preisgekrönte türkische Journalistin und TV-Moderatorin. Aufgrund der Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei arbeitet sie seit 2019 von Deutschland aus.