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Türkei Die Koalitionsgespräche zwischen CHP und AKP sind gescheitert. An einem Erfolg hatte Präsident Tayyip Erdoğan ohnehin nie InteresseSchon wieder an die Urne

aus ISTANBUL Jürgen Gottschlich

Theater beendet, Neuwahlen stehen vor der Tür“, titelte am Freitag die kurdische Tageszeitung Özgür Gündem und liegt damit auf einer Linie mit den großen türkischen Oppositionszeitungen wie Hürriyet oder Milliyet. Die sogenannten Koalitionsverhandlungen mit der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP waren sowieso „nur eine Farce“, befand auch der Kommentator der Hürriyet, Burak Bekdil. Präsident Tayyip Erdoğan sei von Anfang an nicht gewillt gewesen, die Wahlniederlage vom 7. Juni hinzunehmen. Deshalb werde jetzt erneut gewählt.

Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der CHP, bestätigte nach dem Spitzentreffen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu am Donnerstagnachmittag die Vermutungen der Journalisten. „Die AKP“, sagte er, „hat uns in den ganzen Wochen nach der Wahl nie ein echtes Koalitionsangebot gemacht. Sie wollten lediglich eine kurze Übergangsregierung, die Neuwahlen vorbereiten sollte.“ Dafür wollte sich aber die CHP nicht hergeben. „Wir wollten eine echte Reformregierung für die gesamte Legislaturperiode, mit dem Ziel, den Konflikt mit den Kurden zu lösen, eine neue demokratische Verfassung zu verabschieden und der Außenpolitik des Landes wieder eine europäische Perspektive zu geben.“

Doch dazu war die AKP nicht bereit. Nicht nur Präsident Erdoğan, auch die meisten AKP-Mitglieder halten die Stimmeneinbußen von 9 Prozent und den damit verbundenen Verlust einer eigenen Mehrheit im Parlament für einen Betriebsunfall, der schnell korrigiert werden muss.

Das Hauptproblem für Erdoğan und die AKP ist dabei die kurdisch-linke HDP. Ihr Einzug ins Parlament hat die Sitzverteilung im türkischen Abgeordnetenhaus so verändert, dass die AKP eine absolute Mehrheit der Sitze nicht mehr erreichte. Doch statt die Konsequenzen daraus zu ziehen und eine Koalition zu bilden, soll jetzt bei Neuwahlen die HDP wieder unter die 10-Prozent Hürde gedrückt werden. Seit vor zwei Wochen nach dem Terrorattentat in Suruç der Waffenstillstand zwischen der PKK und Erdoğan im Bombenhagel türkischer Kampfflugzeuge beendet wurde, lässt Erdoğan keine Gelegenheit aus, die HDP als Teil der „Terrororganisation PKK“ zu denunzieren.

„Die HDP ist von der PKK gesteuert“, erklärte Erdoğan noch am Mittwoch vor Kommunalbeamten und forderte die Bürgermeister von Dörfern und Kommunen auf, die Sicherheitskräfte bei der Überwachung von Kurden und türkischen HDP-Sympathisanten zu unterstützen. „Melden Sie verdächtige Bewegungen der Polizei“, rief Erdoğan zu massenhafter Bespitzelung der Nachbarn auf.

Mit solchen Reden und Anklagen gegen führende HDP Politiker wegen angeblichen Kontakte zu Terrororganisationen, will Erdoğan erreichen, dass von den sechs Millionen HDP-Wählern mindestens eine Million wieder abspringt. Das würde reichen, damit die HDP einen neuen Einzug ins Parlament verfehlt. Legt die AKP dann noch um ein oder zwei Prozent zu, kann sie wieder eine absolute Mehrheit erreichen.

Die meisten Umfragen sehen die HDP nach wie vor bei über 10 Prozent

Doch die meisten Umfragen sehen die HDP trotz der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Armee und PKK sowie der hysterischen Beschuldigungen durch Erdoğan und Davutoğlu bei über 10 Prozent. Fast alle kurdischen, aber auch etliche türkische Wähler im Westen des Landes machen nicht die PKK, sondern Erdoğan für den neuen Gewaltausbruch verantwortlich.

Die meisten HDP-Politiker gehen sogar davon aus, dass sie ihren Stimmanteil bei Neuwahlen noch steigern können, gerade weil Erdoğans Strategie der Stigmatisierung der HDP so durchsichtig ist und auch viele liberale Türken jetzt erst recht HDP wählen würden.

Was passiert, wenn die Wähler im November das Ergebnis vom Juni bestätigen? Wieder wählen, bis das Ergebnis stimmt? „Am Ende“, schreibt der Kolumnist Burak Bekdil, „wird Präsident Erdoğan lernen müssen, mit mehr als sechs Millionen Wählern von „Terroristen“ und etlichen weiteren Millionen atheistischer, säkularer, linker und liberaler Wähler zu leben, die Nein zu seiner „Neuen Türkei“ sagen. Schließlich kann er nicht mehr als die Hälfte der türkischen Wähler ins Gefängnis stecken, töten oder aus dem Land treiben“.

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