piwik no script img

Türkei Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel befindet sich immer noch in Polizeigewahrsam in Istanbul. Ohne rechtliche Grundlage, meinen seine Anwälte„Deniz Yücel hätte längst freikommen müssen“

Interview Doris Akrap, Fatma Aydemir, Ali Celikkan

taz.am Wochenende: Herr Ok, Sie vertreten den Journalisten Deniz Yücel, der sich seit dem 14. Februar 2017 in Polizeigewahrsam in Istanbul befindet. Wie lauten die konkreten Beschuldigungen gegen ihn?

Veysel Ok: Wir sind nicht sicher. Als er sich bei den Behörden meldete, wurden ihm Fragen gestellt. Anhand derer nehmen wir an, dass ihm möglicherweise die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird sowie die illegale Beschaffung und Verbreitung persönlicher Daten. Die konkreten Beschuldigungen kennen wir aber nicht, weil Deniz Yücels Ermittlungsakte einem Geheimhaltungsbeschluss unterliegt. Allein das ist schon rechtswidrig. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) müssen alle Informatio­nen und Beweise aus einer Ermittlungsakte für die Anwälte des Verdächtigten zugänglich sein – sofern der Verdächtigte keine außerordentliche Gefahr darstellt. Und es ist offenkundig, dass ein Journalist wie Deniz Yücel keine außerordentliche Gefahr darstellt.

Welche Fragen wurden ihm auf dem Polizeirevier gestellt?

Yücel hat der Polizei gesagt, dass er lediglich vor einem Staatsanwalt aussagen wird. Aufgrund des Geheimhaltungsbefehls kann ich auf die Fragen nicht im Detail eingehen. Nur so viel: Die ihm von der Polizei gestellten Fragen sagen wenig über die Ermittlungen aus. Wenn wir allein nach den bisherigen Fragen urteilen, hätte Deniz Yücel bereits am ersten Tag wieder freigelassen werden müssen. Wir warten nur auf eine entsprechende Anweisung des Staatsanwalts. Rechtlich gesehen gibt es keinen Grund, Yücel in Gewahrsam zu behalten.

Das heißt, er könnte jederzeit frei kommen?

Nochmal: Deniz Yücel hätte längst freikommen müssen. Die Ermittlungen gegen ihn haben schon im Dezember begonnen. Es hätten Beweise vorgelegt werden müssen, die die Gewahrsahmnahme begründen. Es ist nicht so, dass mit ihm eine große Gruppe aufgrund derselben Anschuldigungen zusammen in Gewahrsam säße. Es geht nur um Yücel. Es gibt keine Prozedur mehr, die man abwarten müsste.

Wenn die Ermittlungen gegen Deniz Yücel bereits im Dezember begonnen haben, was ist denn dann seither passiert?

Yücel befand sich während dieser zwei Monate in Istanbul. Sobald er erfuhr, dass nach ihm gefahndet wird, begab er sich ins Polizeirevier, um auszusagen. Jedoch gab es keinen Haftbefehl gegen ihn. In den besagten zwei Monaten wurde nicht einmal seine Wohnung durchsucht. Sie wurde erst durchsucht, nachdem er in Gewahrsam genommen wurde. Es besteht auch keine Fluchtgefahr. Deniz Yücels Job ist bekannt, seine Adresse und sein Arbeitgeber auch. Es gibt also keine Unklarheiten.

Denken Sie, dass Yücel bald vor einem Staatsanwalt aussagen wird?

Wir haben bereits Widerspruch gegen den Polizeigewahrsam, gegen die Verlängerung des Gewahrsams und gegen den Geheimhaltungsbeschluss für Yücels Akte eingelegt. Wir warten auf Antwort vom Gericht. Wir haben alles getan, was uns rechtlich möglich ist. Sowohl Yücel als auch wir warten lediglich darauf, dass der Staatsanwalt ihn endlich vorlädt. Wie gesagt, es gibt überhaupt keine rechtliche Grundlage dafür, dass es so lange dauert. Dafür müssten Beweise vorliegen.

Was für Beweise?

Letztlich ist Deniz Yücel ein Journalist und nicht Mörder oder Drogendealer. Und er hat mit keiner Terrororganisation irgendetwas zu tun. Bei Ermittlungen gegen andere Journalisten wurden meist Tweets oder publizierte Artikel als Beweise vorgelegt. Höchstwahrscheinlich wird es auch im Fall von Yücel so sein.

Wie steht es um die weiteren sechs Journalisten, die schon im Dezember in Polizeigewahrsam kamen, weil sie, wie Yücel, über die RedHack-Leaks berichtet hatten?

Drei von sechs Personen befinden sich in Untersuchungshaft. Drei kamen nach 24 Tagen Polizeigewahrsam frei.

Veysel Ok

lebt und arbeitet als Anwalt für Presserecht und Meinungsfreiheit in Istanbul. Er ist im P24-Verein für Unabhängigen Journalismus tätig und hat unter anderem die Schriftstellerin Perihan Magden und den Journalisten Ahmet Altan vertreten

Wonach wurde entschieden, dass diese drei Personen in Untersuchungshaft kamen?

Da auch diese Ermittlungs­akten geheim gehalten werden, wissen wir es nicht. Doch es liegen keinerlei Beweise gegen sie vor. Keiner weiß, mit welcher Begründung der Richter die Untersuchungshaft anordnete.

Im Januar wurden die Notstandsdekrete überarbeitet. Demnach darf der Polizeigewahrsam nicht mehr bis zu 30 Tagen verlängert werden.

Das stimmt. Der Polizeigewahrsam darf laut dem aktuellen Notstandsdekret nach sieben Tagen maximal um sieben weitere Tage verlängert werden – wenn ein Terrorverdacht vorliegt. Deshalb gehen wir davon aus, dass Deniz Yücel die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Um welche Vereinigung es sich handelt, geht aus den ihm gestellten Fragen jedoch nicht hervor.

Macht es in der Türkei rechtlich gesehen einen Unterschied, dass Deniz Yücel die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt?

Nein, die deutsche Staatsbürgerschaft hat keine rechtlichen Folgen. Yücel ist hier ein türkischer Staatsbürger und wird auch vor Gericht als solcher behandelt.

Hat Deniz Yücel außer Ihnen noch weitere Anwälte? Ist ein deutscher Anwalt involviert?

Um seinen Fall kümmern sich insgesamt drei Anwälte. Keiner von ihnen ist Deutscher.

Wo befindet sich Deniz Yücel in Gewahrsam?

Auf dem Polizeihauptrevier in Istanbul-Fatih, zusammen mit zwei weiteren Personen in einer Zelle.

Reaktionen

Das Auswärtige Amt ließ am Freitag wissen: „Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass Herr Yücel seine Tätigkeit als Journalist in irgendeiner Weise missbraucht hätte, sondern er ist engagiert seiner Arbeit nachgegangen“, sagte Ministeriumssprecher Martin Schäfer in Berlin. „Und wir hoffen und erwarten, dass eine Entscheidung durch die zuständigen türkischen Justizbehörden gefällt wird, die dem Rechnung trägt, und zwar so schnell wie irgend möglich.“

160 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen haben in einem Brief an den türkischen Botschafter in Berlin, Ali Kemal Aydin, appelliert, sich für die Freilassung von Yücel einzusetzen. Initiatoren des Briefes sind Omid Nouripur (Grüne) und Niels Annen (SPD). Sie schreiben über Yücel: „Wie es bei jedem freien Journalisten und kritischen Geist der Fall ist, erregt seine Arbeit teilweise Anstoß. Es ist der Anstoß des freien Denkens und der offenen politischen Debatte. Diese geistige Debatte ist das beste Mittel gegen den Terrorismus, der ihm jetzt paradoxerweise vorgeworfen wird.“

Interview auf Türkisch: www.gazete.taz.de

Wie beurteilen Sie die öffentliche Unterstützung für Deniz Yücel?

Ich beobachte eine sehr ernst zu nehmende Solidarität seitens der deutschen Medien, der Zivilgesellschaft und von Yücels türkischen Kollegen und Kolleginnen. Das ist für Yücel natürlich sehr erfreulich.

Wie geht es ihm?

Ihm geht es ganz gut, auch gesundheitlich. Er freut sich sehr über die Solidarität von außen und richtet herzliche Grüße an alle aus. Er ist sich sicher, dass er lediglich seine Arbeit als Journalist gemacht hat und ihm insofern nichts vorzuwerfen ist. Er möchte so bald wie möglich seine Freunde wiedersehen.

Kam es während des Gewahrsams zu Menschenrechtsverletzungen?

Nein, so etwas gab es nicht. Trotzdem ist die Verlängerung des Polizeigewahrsams um eine weitere Woche an sich schon eine Menschenrechtsverletzung. Laut dem EGMR müssen Personen, die sich in Gewahrsam befinden, in kürzester Zeit einem Richter vorgeführt werden – selbst während des Ausnahmezustands.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen