Kommentar: Türen offenhalten
■ SPD muß über alternative Mehrheiten nachdenken
Der Aufwind vom Wahlabend des 27. September 1998 geriert sich heute in Berlin als Flaute. Was schon klar schien, nämlich mit Verve die Große Koalition durch ein rot-grünes Bündnis abzulösen, stellt sich jetzt wieder als große Frage. Denn die CDU macht Boden gut, die SPD verliert und erhält mit den Grünen keine ausreichende Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Und als Zünglein an der Waage bringt sich die PDS ins Spiel. Politikwechsel, quo vadis?
Niemand kann Berlin eine erneute Große Koalition wünschen. Die Stagnation wäre perfekt, und das Profil der Regierungsparteien hätte ungefähr das Aussehen eines nebligen Novembermorgens. Um dies zu vermeiden, ist in erster Linie die SPD gefordert. Statt auf einen wie immer gearteten „Schröder-Effekt“ zu hoffen, müssen endlich klare Alternativen zu Diepgen auf den Tisch. Da hilft kein Verstecken im warmen Mantel der Großen Koalition. Vielmehr hat die Partei zu sagen, wohin die Reise geht: beim Staatsbürgerschaftsrecht, auf dem Arbeitsmarkt, in der Inneren Sicherheit, der Asyl- und Umweltpolitik oder der sozialen Stadtentwicklung.
„Wo ist Schröder?“ titelte vor ein paar Wochen süffisant der Spiegel. Wo Momper bleibt, muß sich die örtliche SPD nun ebenfalls fragen lassen. Wer so schlechte Ergebnisse wie die der Forsa-Umfrage einfährt, sollte schleunigst mehr auspacken als einen roten Schal. Einen Bärendienst hat Momper bereits der Partei erwiesen, als er nur ja zu Grün, aber ein kategorisches Nein zur PDS signalisiert hat. Denn dies läßt Rot-Grün nur den Weg von Sieg oder Niederlage. Statt alle Türen – nach links wie rechts – zuzuschlagen, täte Momper besser daran, sich nicht festzulegen. Nicht nur in der grünen Partei ist ungeklärt, woher man sich Mehrheiten beschafft. Auch SPD- Parteichef Peter Strieder bedenkt Möglichkeiten einer rot-grünen Minderheitsregierung, mit Duldung der CDU (und vielleicht bald der PDS). Ein cleverer Schachzug. Farbe bekennen müßten in ersterem Fall dann nicht die SPD oder die Grünen, sondern die CDU. Denn was wäre für den Kommunistenfresser Klaus Landowski schlimmer als eine CDU/PDS- Volksfront, die im Landtag gemeinsam gegen Rot-Grün stimmt? Rolf Lautenschläger
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