Tuberkulose: Düstere Aussichten
Kurz vor dem Welt-Tuberkulose-Tag warnt das Robert-Koch-Institut vor einer Ausbreitung der Krankheit. Bundesweit ist die Infektionsrate in Berlin am höchsten.
„Ich habe die Motten“, sagte früher, wer an Tuberkulose litt. Der Spruch mag altbacken klingen, leider ist er wieder aktuell. Seit 2009 steigt die Zahl der gemeldeten Erkrankungen in Berlin langsam an, von 265 auf 316 im vergangenen Jahr (siehe Grafik). Das vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag, eine Woche vor dem Welt-Tuberkulose-Tag. In diesem Jahr wurden bisher 52 Fälle registriert.
Die deutschen Stadtstaaten haben laut dem RKI eine besonders hohe Infektionsrate. Berlin lag dabei im Jahr 2011 mit 9,6 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner an der Spitze aller Bundesländer vor Hamburg (9,0) und Bremen (8,5).
Die Gründe für die Zunahme der Krankheit in den vergangenen Jahren sind zahlreich. „Berlin spielt eine zentrale Rolle als Einwanderungsstadt für Menschen aus Osteuropa“, erklärt Franciska Obermeyer, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit. Insbesondere die ehemaligen GUS-Staaten, Rumänien und Bulgarien seien als „Hochrisikogebiete“ bekannt und gleichzeitig Herkunftsländer von Menschen, die sich – wenn sie nach Deutschland kommen – bevorzugt in Berlin ansiedeln. In der Stadt finde außerdem die Erstaufnahme vieler Flüchtlinge statt, bevor diese bundesweit verteilt werden.
Die bakterielle Infektionskrankheit befällt vor allem die Lungen. Die Behandlung mit einer Kombination verschiedener Medikamente ist langwierig und dauert mindestens sechs Monate. Therapien werden deswegen oft nicht zu Ende geführt.
Tuberkulose bleibt auch in Deutschland ein ernstes Gesundheitsproblem, warnt das Robert-Koch-Institut. 2011 seien insgesamt 4.317 Tuberkulose-Fälle gezählt worden, rund 70 weniger als 2010. Weltweit gehört Tuberkulose zu den am meisten verbreiteten Erkrankungen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) infizieren sich jedes Jahr rund 8,7 Millionen Menschen mit Tbc; 1,4 Millionen sterben. Am meisten betroffen ist Afrika. Tuberkulose ist aber auch in Osteuropa ein großes Problem.
Am 24. März, dem Welt-Tuberkulose-Tag, wird alljährlich auf die Krankheit aufmerksam gemacht. Der Erreger wurde vor mehr als 130 Jahren von Robert Koch entdeckt. (taz, afp)
Die Behörden hätten die besondere Rolle Berlins erkannt, erklärt Obermeyer. So würden in der zentralen Tuberkulosefürsorgestelle in Lichtenberg alle staatlichen Ressourcen gebündelt, um Erkrankte schnell erkennen und behandeln zu können.
Lange Wartezeit
Einigen geht es jedoch nicht schnell genug. Im Oktober vergangenen Jahres monierte die zuständige Lichtenberger Gesundheitsstadträtin Christina Emmrich (Linke) in der taz, dass es bis zu sechs Wochen dauere, bis Flüchtlinge und Obdachlose auf Tuberkulose untersucht werden könnten – der Andrang sei schlicht zu groß. Dabei sei vorgeschrieben, dass das Land diese Personen unmittelbar nach ihrem Einzug in eine Gemeinschaftsunterkunft wie Flüchtlings- oder Obdachlosenquartiere untersucht, spätestens aber am dritten Tag.
Eine ähnliche Kritik äußerte am Montag Heiko Thomas, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen. Es komme zu Verzögerungen bei Untersuchungen und Behandlung, weil mehr als 100 Stellen in den öffentlichen Gesundheitsämtern unbesetzt seien. Die Bezirke würden die Problematik nicht erkennen. Denn: „Je später Probleme wie die unzureichende Versorgung der Tuberkulose-Erkrankten erkannt werden, umso teurer wird sie im Nachhinein“, betonte der Grünen-Politiker. Er warnt aber vor Alarmismus.
Auch Sprecherin Obermeyer bleibt optimistisch. Durch eine verbesserte Aufklärung habe einerseits die Sensibilität der Bevölkerung für diese Krankheit zugenommen. Gleichzeitig werde von Mitarbeitern der Fürsorgestelle selbst in Asylbewerber- und Obdachlosenheimen über die Erkrankung aufgeklärt. „Darüber hinaus gibt es in Berlin ein dichtes Netz von diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten“, wie die Lungenfachkliniken Helios in Buch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!