piwik no script img

Tuberkulose in IndienArmutskrankheit auf dem Vormarsch

In Indien ist mit Bekämpfung von Corona das Erkennen der Lungenkrankheit Tuberkulose stark zurückgegangen. Die Krankheit aber bleibt.

Transport eines Patienten innerhalb eines staatlichen Krankenhauses in Jammu Foto: Channi Anand/ap

Mumbai taz | In Asiens größtem Tuberkulose-Krankenhaus herrscht wieder reger Betrieb. Doch läuft dort nach dem coronabedingten Lockdown in Indien noch nicht alles reibungslos. „Wir hatten selbst Probleme, dass unser Personal uns erreicht“, erinnert sich Lalit Anande, der Leiter des Sewri Krankenhauses in Mumbai.

Ausbleibende PatientInnen sind für ihn kein gutes Zeichen. Denn das heißt, dass Erkrankte nicht die Versorgung bekommen, die sich brauchen. Allein in der Metropole Mumbai sterben täglich etwa 19 Menschen an Tuberkulose (TB). Letztes Jahr gab es laut indischer Regierung landesweit 79.000 TB-Tote.

Zwar ist in Indien seit Ende März, also dem ersten Monat der Coronapandemie, die Zahl der bekannten TB-Fälle stark zurückgegangen. Trotzdem rechnen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Regierung mit einem Anstieg der Todesfälle durch TB.

Eine weitere Sorge ist, dass TB-Betroffene bei einer gleichzeitigen Coronainfektion eine geringe Überlebenschance haben. Zudem könnten sich Antibiotika-Resistenzen bilden, wenn Patient*innen wegen des Lockdowns ihre Therapie abbrechen mussten.

Stress kann zum Ausbruch von Tuberkulose führen

„Die Ärmsten kommen in unser Krankenhaus“, sagt Anande. Die Infektionskrankheit Tuberkulose hängt mit der wirtschaftlichen Situation, Stress und Mangelernährung zusammen. 90 Prozent der Patient*innen in Mumbai sind mittellos. Im staatlichen Sewri-Krankenhaus kümmern sie sich um die schweren Fälle. Niemand trage gern das Stigma, in einer TB-Einrichtung behandelt zu werden, sagt der 53-Jährige Klinikleiter.

Viele Menschen, die etwa wegen Corona ihren Arbeitsplatz verloren haben, stehen unter großem Druck. „Dieser Stress kann zu einem TB-Ausbruch führen“, erklärt Anande. Denn die Abwehrkräfte des Körpers hingen auch von der psychischen Belastung ab.

Viele trügen den TB-Erreger bereits in sich, doch die Krankheit breche bei einem intaktem Immunsystem nicht so einfach aus. Deshalb empfiehlt der Mediziner, das Lachen trotz aller Probleme nicht zu verlernen. Ein anderer Faktor, der zum Ausbruch führe, ist Mangelernährung.

Kürzlich wurde bekannt, dass ist Indien im Welthungerindex mit dem „ernsten“ Wert von 27,2 nun hinter Pakistan und Bangladesch gerutscht ist. Damit ist die Ernährungslage in Indien statistisch gesehen ähnlich prekär wie im Sudan.

Viele Hilfsorganisationen waren zunächst damit beschäftigt, Lebensmittel zu verteilen, nachdem durch die Coronapandemie Millionen Inder*innen ihre Arbeit verloren haben. Schon damals warnte die Deutsche Lepra-und Tuberkulosehilfe (DAHW) vor einem Anstieg von TB in Asien und Afrika.

Lungenkliniken konzentrieren sich jetzt auf Covid-19

Laut einem aktuellen WHO-Bericht wurden seitdem in vielen Ländern, darunter Indien, Testgeräte, die sonst für TB verwendet werden, zur Diagnose von COVID-19 eingesetzt. In Indien wurden viele Lungenkliniken, die sich eigentlich um TB-PatientInnen kümmern, zu Covid-19-Behandlungszentren umgewandelt, berichtet der indische Ableger der DAWH.

Die TB-Spezialistin Chris Schmotzer (DAWH) mit Sitz in Pakistan hat dort in den letzten Monaten ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem wahrgenommen. Deshalb würden weniger Personen mit TB-Verdacht Krankenhäuser aufsuchen. Zudem sei es schwierig, aufgrund von Ausgangssperren, Personalengpässen und fehlender Schutzausrüstung überhaupt Behandlungen aufrecht zu erhalten.

Die Organisation LEPCO meldete zwar ähnlich viele TB-Fälle wie vor der Pandemie in Afghanistan. Doch würden Fälle an unter- und mangelernährten Frauen und Kindern zunehmen. Ein Grund dafür sei, dass die meist männlichen Versorger der Familien auch hier durch die Coronapandemie Einkommen verloren hätten. Besonders schwer treffe es Angehörige der Minderheit der Hasara, die oft diskriminiert werden.

Trotz der Herausforderungen bleiben Mediziner wie Klinikchef Anande optimistisch. „Wir haben vor Corona für die Eliminierung von Tuberkulose gekämpft und werden das auch weiterhin“, sagt er. Indien hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2025 TB-frei zu sein und habe bereits bisher große Fortschritte gemacht. Das erkennt auch „The Global Fund“ an, der von den G-8-Staaten 2002 gegründete internationale Fonds zur Bekämpfung von Aids, TB und Malaria. Der Vertrag mit Indien dürfte verlängert werden.

Laut WHO erkranken pro Jahr zehn Millionen Menschen neu an TB, darunter eine Million Kinder. Indien zählt etwa ein Viertel der globalen TB-Fälle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare