: Trotz Krisen bleibt das Vertrauen in die Wissenschaft stabil
Laut Wissenschaftsbarometer verlieren Forscher und Hochschullehrer leicht an Zuspruch. Dennoch vertraut mehr als die Hälfte der Bevölkerung ihrer Arbeit. Eine Einordnung
Von Manfred Ronzheimer
Die Deutschen haben weiterhin ein großes Vertrauen in die Forscher und Hochschullehrer ihres Landes, auch wenn das neue „Wissenschaftsbarometer“ einige Abschwächungen festgestellt hat. So wurde während der Coronapandemie der bisherige Höchstwert von 62 Prozent vertrauensvoller Zustimmung zur Wissenschaft gemessen. In der aktuellen Befragung schlossen sich aber nur noch 54 Prozent dieser positiven Haltung gegenüber der Wissenschaft an. Für die Initiatoren der jährlichen Befragung – der gemeinsamen Initiative der deutschen Wissenschaftsorganisation Wissenschaft im Dialog (WiD) ist das noch kein Anlass zur Besorgnis.
„Das vergleichsweise hohe Vertrauen zwischen 2020 und 2022 war aus meiner Sicht ein Ausnahmezustand im Kontext der Pandemie, in der das Wissenschaftsvertrauen überdurchschnittlich ausgeprägt war“, bemerkt WiD-Geschäftsführer Benedikt Fecher gegenüber der taz. Seit 2023 bewegten sich die Werte wieder auf einem „normalen, stabil hohen Niveau“. Diese Dynamik kann auch in anderen Ländern beobachtet werden, etwa im kürzlich veröffentlichten Schweizer Wissenschaftsbarometer. „Ich würde das so interpretieren, dass die Bevölkerung in akuten Krisenphasen der Wissenschaft ein besonders hohes Vertrauen entgegenbringt“, unterstreicht Fecher.
Auch wenn die Pandemie für die meisten Menschen vorüber ist, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Entwicklungen – darunter zwei neue Kriege, eine USA, die sich aus der alten Weltordnung verabschiedet, sowie eine hartnäckige nationale Wirtschaftsschwäche – zu einer „Polykrise“ verdichtet. Diese lässt Öffentlichkeit und Politik kaum mehr zur Ruhe kommen. Krisen sind oft Zeiten des Vertrauensverlusts.
Nicht aber für die Wissenschaft, meint der Experte für Risikokommunikation, Ortwin Renn. Dies liege daran, dass diese Krise von der Bevölkerung nicht direkt mit der Wissenschaft in Verbindung gebracht werde, erläutert der Soziologe. Während andere Akteure, wie die Politik und die Wirtschaft, direkt für die unübersichtlichen Zustände verantwortlich gemacht werden und das Vertrauen in sie abnimmt, was sich auch in der wachsenden Zustimmung zu Extremparteien ausdrückt, ist die Wissenschaft fein raus. „Mit einem Sockelbetrag des Vertrauens zwischen 50 und 60 Prozent steht Deutschland im internationalen Vergleich gut da“, sagt Renn, der für die deutsche Technikakademie Acatech über Jahre Untersuchungen zur Technikakzeptanz durchgeführt hat.
Bei näherer Betrachtung zeigen sich allerdings doch bemerkenswerte Unterschiede. So liegt die Vertrauensquote bei den Befragten mit Hauptschulabschluss bei 40 Prozent, während 13 Prozent der Befragten angaben, „sehr oder eher gering“ zu vertrauen. Bei den Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss ist der Vertrauensvorschuss mit 72 Prozent fast doppelt so hoch. Ein „Misstrauen“ hegen in dieser Gruppe nur 1 Prozent.
Welche Gründe gäbe es, den Wissenschaftlern das Vertrauen zu entziehen? Auch danach fragte das Wissenschaftsbarometer. Als Gründe wurden genannt: Sie machen Fehler, manipulieren Ergebnisse oder ignorieren die Befunde von Kollegen. An der Spitze steht jedoch mit 47 Prozent der Verdacht, die Forscher würden ihre Ergebnisse zu sehr nach ihren Geldgebern ausrichten. „Käufliche Wissenschaft“, so lautet der Verdacht der Bevölkerung.
Weil 49 Prozent der Befragten die Meinung vertreten, dass politische Entscheidungen auf einer wissenschaftlich fundierten, rationalen Basis getroffen werden sollten, halten es auch 54 Prozent für akzeptabel, wenn sich Wissenschaftler dort einmischen, wo das nicht passiert. Mit Besorgnis registriert die Studie, dass in der öffentlichen Diskussion Tendenzen zur Polarisierung erkennbar werden. So wird die Debatte über Migration von 51 Prozent der Befragten als stark kontrovers empfunden. 53 Prozent meinen, die Zuwanderung sollte stärker begrenzt werden. Gleichzeitig sind aber auch 50 Prozent der Auffassung, dass Forschungsprojekte zum Migrationsthema sinnvoll sind.
Bei einem anderen gesellschaftlichen Reizthema ist die Spaltung perfekt. „Die Maßnahmen zum Klimaschutz gehen zu weit“, finden 25 Prozent der Befragten, 27 Prozent sind gegenteiliger Auffassung. Eine Einigung gibt es hingegen bei der Ablehnung der „gendergerechten Sprache“. Sie sollte im amtlichen Gebrauch seltener verwendet werden, ist die Meinung von 63 Prozent. 10 Prozent hätten gerne mehr davon.
Auch dem Schweizer Kommunikationsforscher Mike S. Schäfer ist die wachsende Neigung zur Konfrontation aufgefallen. „Gerade in Deutschland wird eine stärkere gesellschaftliche Polarisierung wahrgenommen, obwohl die Einstellungen rund um viele wissenschaftliche Themen im Durchschnitt noch relativ konsensual sind“, sagt Schäfer. In der Schweiz – wo der an der Universität Zürich tätige Schäfer das dortige Wissenschaftsbarometer organisiert hat – sei „das Wissenschaftsvertrauen etwas stabiler, und Wissenschaftsskepsis wächst nur moderat“.
Benedikt Fecher, WiD-Geschäftsführer
Dies könne durch das stärker konsensorientierte politische System der Schweiz erklärt werden, die direkteren Mitbestimmungsformen und eine traditionell hohe institutionelle Vertrauensbasis. Bei den Eidgenossen haben 60 Prozent ein Grundvertrauen in die Wissenschaft. In Deutschland wirkten kontroverse Debatten – etwa während der Pandemie – nach. Insgesamt bleibt für Schäfer bemerkenswert: „In beiden Ländern zeigt eine breite gesellschaftliche Mitte ein hohes Grundvertrauen in Wissenschaft und Forschung.“
Welche Schlüsse und Handlungsoptionen lassen sich aus dem neuen Wissenschaftsbarometer ziehen? Für die Wissenschaftskommunikation, die die Bevölkerung mit Informationen aus den Hochschulen und Forschungslaboren versorgen soll, ist nach Einschätzung Schäfers von Bedeutung, nicht pauschal von „der Öffentlichkeit“ zu sprechen, sondern unterschiedliche Gruppen zu unterscheiden und gezielt zu adressieren. In der Schweiz müsste sich etwa stärker um die große Gruppe der „passiven Unterstützer“ gekümmert werden, die der Wissenschaft zwar grundsätzlich positiv gegenübersteht, sie aber medial wenig aktiv verfolgt.
Beim Thema künstliche Intelligenz zeigt sich eine wachsende Nutzung in der Wissenschaftskommunikation: 22 Prozent der Befragten nutzen bereits KI-Chatbots für wissenschaftliche Fragen. „Aber zugleich ist eine deutliche und auch berechtigte Vorsicht zu beobachten“, ergänzt der Schweizer Kommunikationsforscher. „Hier braucht es transparente, überprüfbare Information, klare Kennzeichnung von KI-Inhalten und realistische Erwartungen“, empfiehlt Schäfer.
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