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■ Mögliche OrteTreppenhaus

Die Wahnsinnige steht immer noch im Treppenflur

Stumm hinter der schwarzen Brille, sie lächelt

Unentwegt, während durchs Haus um den Block

Die klagenden Schreie des Ehemanns wehen.

Er sucht sie, er braucht sie, er liebt sie

Steht geschrieben an der Wand, an der Tür in ganz kleiner

Altmodischer Schrift. Wir glauben ihm. Seit

Einer Schwangerschaft, die seine Frau nicht

Austragen konnte (auch an ihrer Tür zu lesen).

REGULAX FÜR REIBUNGSLOSE VERDAUUNG UND

STUHLGANG DAS Abführmittel in Uniform

Kommt jeden Donnerstagabend um acht prophylaktisch

Weil Freitag für gewöhnlich tritt er die Tür ein

Oder zündet sie an oder versucht es, weil seine Frau,

Die er liebt, drinnen festgehalten wird von DEN SCHWARZEN

In der Großen Präsidentenstraße und wir glauben ihm.

Gestern war wieder Donnerstagabend.

Gestern bekam jemand im Haus einen Heulkrampf.

Gestern empfahl jemand die Sterbehilfe zu rufen.

Gestern entstand kurzer Streit darüber

Ob es die Sterbehilfe überhaupt gibt und ob umsonst oder

Ob es nun Euthanasie heißt oder ob nicht.

Jetzt trägt er wieder seine Botschaft in die Wand

HALT AUS DENN ICH LIEBE DICH NOCH//SIE HOLEN MICH UND NICHT DICH

DASS LASS ICH NICHT ZU WENN//ICH DIE TÜR VERBRENNEN MUSS SIE KRIEGEN DICH NICHT BIS SIE MICH//AN DIE WAND GENAGELT HABEN

NIEMAND HÖRT MICH AUSSER DIR//WENN ICH SCHREIE UND ICH IHNEN SAG DASS DU GESCHNAPPT BIST//WEIL ICH DICH LIEBE DEIN MANN

Jemand wünschte sich gestern, einmal im Leben

So einen Brief bekommen zu haben, wär schön.

Die Wahnsinnige steht immer noch im Treppenflur, stumm

Dieselbe Zigarette rauchend von hinten nach vorn, ihre Kippen

Sammeln die Kinder, seitdem läßt sie die Asche in der Hand

Dann im Mantel verschwinden, ihr Haar unter der

Orangefarbenen Strickmütze ist vermutlich pechschwarz

Vielleicht auch schlohweiß, obwohl Schwarz ist der bessre Kontrast

Wie die Gläser ihrer Sonnenbrille, von denen seit gestern

Eins fehlt. Sie steht und sie raucht, sie redet mit keinem

Der es gut meint mir ihr oder schlecht, nur nachts, wenn sie sich

Demütigen in den Ohren der MIETERPARTEIN, Kollektiv der Mäuler

Für den nächsten Tag, HÄTT ICH DICH SO WOLLT ICH DICH

Hörn wir den Dialog der Menschheit aus dem dritten Stock

Wenn die Möbel aus dem Fenster fliegen und der Mann winselt

Wenn Lady Macbeth nach dem FÜHRER schreit und JOACHIM (so heißt er).

Heut ist wieder Donnerstag, sie haben

Am Morgen den Finger gefunden mit dem Ehering dran (seinen)

Er war schon gelb und an der Wurzel fehlte ein Glied

Als die Kohlenträger kamen, einer trat drauf und vor Schreck

Fiel er in Ohnmacht, ein Mensch mit Lederschürze am Rücken

Und schwarzem Gesicht. Sah aus wie ein Clown als er aufstand

Senkrecht seine weißen wie geschminkten Trennstriche zum Mund

Der offenstand mit allen Zähnen und der zappelnden Zunge in Rot

Ein Neger, der im Zirkus steht vor stummem Publikum.

Das Licht auf der Treppe geht aus und immer wieder an

Mit Geräusch. Heute ist Freitag.

Am Montag ist er zurück für gewöhnlich, Montag ist Zahltag

Sagt seine Frau, die sonst nichts sagt, im Vorübergehn

Und jedem. Wir glauben es ihr, SICHER JAJA. Heut ist sie

58 geworden, steht an der Tür, die mit Blumen bestreut ist

Und der Blutspur Joachims, der seine Nägel benutzt hat als Stift.

Die Wahnsinnige steht immer noch im Treppenflur, im grünen Mantel

Der ihrer ältesten Tochter gehört hat, die tot ist und seit

Einem Jahr auf den Tag. Wir haben sie manchmal verwechselt

Mutter und Tochter, sie trugen auch immer die gleichen

Blauen Flecke im Gesicht, die der Führer ihnen verpaßt hat.

Im Haus geht die Angst um vorm Führergeburstag, der jährlich

Den Schlaf kostet, auch denen, die es gut mit ihm meinen.

Er kam gestern nicht zurück, und heute ist Dienstag und

Die Wahnsinnige steht immer noch im Treppenflur, lächelt fremd

Und redet nicht, hohlspiegeläugig ohne die Gläser: KALEIDOSKOP-FRÄULEIN

Steht auf dem Schild an der Tür, sie paßt auf, sagt sie

Daß nichts anbrennt dahinter. Sie lächelt, stellt sich in Pose

Vexierbild sämtlicher Sünden und legt die Hände auf die Brust.

Gestern war deutlich zu sehn, daß sie nackt ist

Unter dem Mantel, gestern stand sie herum ohne Schuh

Immer noch lächelnd, sie singt und wartet auf wen

Scherben der Hoffnung die leeren Pupillen, Optik und Poesie

Mageres Frauengesicht, zum Lächeln verdammt

O DIE GLIEDERLÖSENDE sagt meine Frau ALLES LÖSENDE LIEBE

Fotografie vom Ursprung der Welt.

Thomas Martin

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