Trendsportart Mixed Martial Arts: Caring im Cage
Mixed Martial Arts (MMA) hat ein hartes Image. Unsere Autorin war zum ersten Mail bei einem Event der Männer. Da sind alle ganz liebevoll miteinander.
M ixed Martial Arts (MMA) ist ein bisschen wie Kino, nur dass man zwischendurch kommen und gehen kann. In der Hamburger Barclays Arena riecht es nach Popcorn an diesem Samstagabend. Das Licht ist lila, die Musik ist bassig, die Stimmung entspannt. Ein Mann in den oberen Rängen bietet seiner Sitznachbarin Pommes an. Zwei Frauen mit Nachos und Cola suchen ihre Plätze.
Sobby Khanna aber ist hochkonzentriert. Der schmale 22-Jährige sitzt auf der Kante seines Sitzes. Khanna hat die Schultern hochgezogen, hält mit beiden Händen sein Smartphone vor's Gesicht und filmt. Sein Blick geht dahin, worauf alle Scheinwerfer gerichtet sind, auf den Cage, einen achteckigen, oben offenen Käfig, in der Mitte der Arena. Da unten kämpft gleich sein Freund, Enes Muhammed Ergen aus dem Hamburger Gorilla Gym, gegen Aleksey Kolev vom Mountain Fight Gym Osnabrück. „Wir kennen uns seit der sechsten Klasse“, sagt Khanna, sein Freund neben ihm, Isa Kurt, auch 22, nickt.
Beim Mixed Martial Arts (MMA) sind Techniken aus allen Kampfsportarten erlaubt, von Boxen über Judo, Taekwondo und Karate bis Ringen und Brazilian Jiu-Jitsu, Muay Thai und Kickboxen. Das heißt schlagen, treten, greifen, werfen, im Stehen und am Boden. Gekämpft wird also in allen Distanzen.
Wenn ein Kampf beginnt, stoppt die Musik. Dann wird es fast ruhig in der Arena. Unten im Cage hat Enes Ergen mit seinem Gegner abgeklopft. Dann setzt Ergen einen Haken. „Enes, du bist besser!“, ruft jemand in die Stille. Man hört die Schritte der Kämpfenden auf der Matte. Dann hat Ergen Kolev zu Boden gebracht und drückt ihn gegen das Gitter. Kolev sitzt fest, aber tritt mit beiden Beinen weiter. Noch 33 Sekunden. Ergen hat ihn noch nicht. Bei 2 Minuten 59 tippt Kolev ab. Ergen hat gewonnen. Khanna und Kurt springen auf. Khanna klatscht und strahlt. „Das ist unser bester Freund!“, sagt er zum Mann in der Reihe vor ihm.
Am stärksten wachsender Sport der Welt
MMA gilt als Extremkampfsport und hat bis heute nicht den besten Ruf. Es sei Boxen ohne Regeln, blutig, brutal, eine Performance patriarchal-faschistischer Männlichkeitsideale, lauten die Vorurteile. Noch 2009 positionierte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sich gegen MMA und bezeichnete es als „Pervertierung der Werte des Sports“. Bis vor 10 Jahren war die Übertragung im Free TV verboten, zu brutal. Wenn über MMA berichtet wird, geht es häufig um den inkonsequenten Umgang mit Neonazis im Ring oder um extrem rechte Kampfsportevents wie die mittlerweile verbotene Reihe „Ring der Nibelungen“.
Gleichzeitig gilt MMA als der am stärksten wachsende Sport der Welt. Auch in Deutschland wollen immer mehr Leute MMA machen und immer mehr Leute MMA sehen. Im Livestream, als Serie bei Netflix oder hautnah im Stadion. An diesem Abend sind 5.000 Menschen in der Barclays Arena, fast jeder Platz ist besetzt. Es ist die 75. Ausgabe von „We love MMA“, der größten deutschen Veranstaltungsreihe für solche Kämpfe. 12 Fights sind an diesem Abend zu sehen, 10 der 24 Kämpfer kommen aus Hamburg oder Umgebung.
„Alle Augen in den Cage, Ladies und Gentlemen“, ruft der Moderator Michael „Gonzo“ Behrend. Es ist ein Mann im Anzug mit blauer Krawatte. Er trägt Pferdeschwanz und kleine Brille und sieht aus wie ein netter Zirkusdirektor. „Jay hat heute die Augen drauf“, sagt er ins Mikro und meint damit die Ringrichterin, die mit im Cage steht und den Kampf beobachtet.
Links, rechts, links, rechts
Es folgt der erste Profikampf des Abends, Roberto Vigulino aus dem Nordeste Fight Berlin gegen Syrene Senobio vom Combat Team Hamburg. Vigulino tanzt zu seiner Einlaufmusik in den Ring, auf Händen, springt auf die Füße und grinst. Im Publikum tanzt ein Mann mit breitem Nacken, kantiger Frisur und rosa Pullover mit, im Blitz des Smartphones seiner Freunde.
Dann tänzeln Vigulino und Senobio im Cage umeinander, vor, zurück, vor, zurück. Vigulino schlägt links, schlägt rechts, trifft nicht. Senobio kontert mit einer Rechten und trifft. Vigulino lässt sich nicht beirren und tanzt jetzt beim Kämpfen, er malt blitzschnelle Kreise mit seinem Bein um Senobios Kopf. Es erinnert an den brasilianischen Kampftanz Capoeira. „Was machst du da?“, ruft jemand aus den Zuschauerreihen. Das Publikum lacht. Vigulino tanzt weiter. Runde eins geht nach fünf Minuten ohne Entscheid vorbei. Pause.
Es gibt beim MMA vier verschiedene Wege zu gewinnen: das Knockout (KO) des Gegners, bei dem dieser durch einen erlaubten Schlag oder Tritt ohnmächtig geworden ist oder nicht mehr kämpfen kann; das technische KO, bei dem die Ringrichterin, der Ringarzt oder die Trainerin den Kampf abbricht, weil eine Kämpferin sich nicht mehr richtig verteidigen kann oder verletzt ist. Die dritte Möglichkeit ist die Aufgabe, angezeigt zum Beispiel, indem eine Kämpferin mehrmals mit der flachen Hand auf die Matte klatscht oder ihren Gegner antippt. Ist das alles nach drei Runden nicht passiert, entscheiden die drei Ringrichter*innen nach Punkten.
Frauenanteil liegt bei zehn Prozent
Bei den Amateuren dauert ein Kampf drei mal drei Minuten. bei den Profis drei mal fünf. Außerdem kämpfen sie mit anderen Handschuhen und es ist ein bisschen mehr erlaubt, zum Beispiel Schläge mit den Ellenbogen und Knietritte gegen den Kopf. Geregelt ist das seit 2009 in den Unified Rules of MMA der größten MMA-Liga Ultimate Fighting Championships (UFC) aus den USA. Auf die beziehen sich die meisten Veranstaltenden weltweit.
Im Cage ist jetzt Runde zwei, Vigulino ist inzwischen am Boden, Senobio drückt ihn gegen das Gitter, doch er schlägt zurück, mit dem Ellenbogen gegen Kopf, mehrmals. Im Publikum vergräbt ein Mann in Lederjacke seinen Kopf in die Schulter seines Kumpels. Auch Runde zwei geht ohne Sieger vorbei. „Selten so ’nen unterhaltsamen Kampf gesehen“, sagt der Moderator und bittet das Publikum um Applaus für die Kämpfenden, „Wegzehrung vor Runde drei!“
Auch die geht ohne Sieg vorbei. Am Ende gewinnt Senobio nach Punkten. Vigulino antwortet mit einem Kopfstand. Senobio geht zu ihm, nimmt seinen Kopf in die Hände und küsst ihn auf die schweißnasse Stirn. Das Publikum feiert.
MMA galt lange als Domäne männlicher Kampfsportler. Frauenkämpfe wurden jahrelang konsequent abgelehnt. 2013 führte die UFC den weltweit ersten MMA-Kampf von Frauen durch. Seitdem wächst der Anteil der Kämpferinnen weltweit, in Deutschland liegt er bei ungefähr zehn Prozent der Kämpfe. Im Breitensport im Gym wird häufig auch gemischtgeschlechtlich trainiert. Bei einigen „We love MMA“-Veranstaltungen kämpfen auch Frauen, an diesem Abend in Hamburg aber nur Männer. Der Abend endet mit zwei Unentschieden und sechs Siegen für Kämpfer aus Hamburger Gyms wie Enes Ergen.
„Bruder, wir ham's gesehen, wir ham's gesehen!“, sagt Sobby Khanna in sein Telefon. Sein Freund Enes Ergen läuft unten durch die Arena und sucht die Sitzreihen mit den Augen ab. „Wir sind hier oben“, ruft Khanna, Isa Kurt steht auf und winkt. Ergen strahlt, winkt und rennt los, zu seinen Freunden.
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