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Trans Day of RememberanceVom Frühwarnsystem zur Randnotiz

Kommentar von

Raweel Nasir

Zum Trans Day of Rememberence gibt es neue Zahlen: 281 trans Menschen wurden im letzten Jahr getötet. Die Community braucht mehr mediale Aufmerksamkeit!

Weltweit protestieren Demonstrierende für die Sichtbarkeit von trans Personen, wie hier im Zentrum von São Paulo, Brasilien Foto: Cris Faga/imago

Z u Beginn des Rechtsrucks mussten trans Personen oft als Frühwarnsystem herhalten. Das Motto im medialen Diskurs: Ja, es wird schlimm werden für uns, aber schaut mal auf die, für die ist es jetzt schon schlimm. Danke, die Analyse stimmt, aber mehr Solidarität folgte daraus nicht.

Von der Relevanz, die die trans Community Mitte der 2010er Jahre circa genoss, ist – offenbar sind alle zu sehr mit anderen Themen beschäftigt – nicht mehr viel spürbar. Da überrascht es auch kaum, dass dieses Jahr weder über die Transgender Awareness Week noch, den Trans Day of Remembrance großartig berichtet wurde.

281 ermordete trans Personen hat das Trans Murder Monitoring von Oktober 2024 bis September 2025 gezählt. Es ist einer der wenigen Bericht zum Thema, wird jährlich von der Organisation Trans Europe and Central Asia (TGEU) herausgegeben. Dafür sucht und analysiert die TGEU weltweit Berichte über die Tötung von trans Personen. 281 Tote, das sind zwar nicht ganz so viele wie im Vorjahr, aber das beutetet laut der TGEU nicht, dass sich die Situation für trans Personen global verbessert hat. Viel eher hängt die Zahl wohl mit dem sinkenden Medieninteresse über diese Morde zusammen. Wenn es weniger Berichte gibt, dann lässt sich auch weniger zählen

Das Zählen von Menschen die transfeindlicher Gewalt zum Opfer fallen, ist nicht neu, selbst Wikipedia führt eine Liste. Die American Medical Assosiation bezeichnete 2019 die Gewalt an trans Personen als Epidemie.

Wer ist trans?

Insgesamt hat die TGEU seit dem Jahr 2005 weltweit 5.322 Morde an trans Personen gezählt. Eine hohe Dunkelziffer ist, wie bei vielen Gewaltstatistiken, zu erwarten. Eine weitere Ebene ist die Frage, ab wann man in solchen Statistiken als trans gilt.

Dass trans Personen ihr Trans-Sein abgesprochen wird oder sie oft in ihrer Identität nicht ernst genommen werden, zeigt wieder einmal der aktuelle Fall einer Düsseldorfer Polizeikommissarin. Ihr wird von ihrem eigenen Polizeipräsidium vorgeworfen, aus rein strategischen Gründen ihren Personenstand geändert zu haben. Aber: In welcher Welt ist es einfacher als trans Frau zu leben als cis Mann? Definitiv nicht in unserer. Auch wenn manche mediale Berichterstattung zum Selbstbestimmungsgesetz und die Debatten darum diesen Eindruck erweckt wollen. Hier braucht es dringend mehr Aufklärung über die tatsächlichen Lebensrealitäten von trans Menschen!

Wie immer am häufigsten von transfeindlicher Gewalt betroffen sind Sexarbeiter:innen. Sie machen im Trans Murder Monitoring 34 Prozent der Getöteten aus. Aufgrund von Marginalisierung und Fetischisierung finden viele trans Personen nur in der Sex-Industrie eine Möglichkeit Geld zu verdienen. In welch vulnerabler Position viele Sex­ar­bei­te­r:in­nen sind, zeigt auch eine andere Zahl: Von 2002 bis 2025 wurden in Deutschland 88 Sex­ar­bei­te­r:in­nen getötet und 50-mal wurde versucht eine zu töten.

Ebenfalls wenig überraschend: 88 Prozent der Ermordeten im Trans Murder Monitoring sind nicht weiß. Wie immer spielt Mehrfachdiskriminierung bei Übergriffen eine große Rolle. Wachsender Rassismus, Streichung von Bildungsprojekten und Schließung von Schutzorten sind eine Frage von Leben und Tot. Und sie zeigen, in wessen Interesse Politik gemacht wird.

Insgesamt sind es auch vor allem junge Menschen. Die Hälfte sind unter 30 und sogar 5 Prozent sogar unter 18 Jahre alt, also Kinder und Jugendliche.Wieso schreckt diese Nachricht nicht mehr Menschen auf? Wieso ist diese Nachricht generell keine Nachricht wert?

Diese Zahlen sind nur der Beweis für das, was viele in der trans Community eh schon wussten: Diese Gesellschaft hat kein Interesse trans Personen zu schützen

Und fast alle Morde (knapp 90 Prozent) wurden an trans weiblichen Personen verübt, sind damit also auch Femizide. Obwohl trans Frauen immens unter Gewalt leiden, werden sie weder am 8. März noch am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen ins Zentrum gerückt.

Diese Zahlen sind nur der Beweis für das, was viele in der trans Community eh schon wussten: Diese Gesellschaft hat kein Interesse trans Personen zu schützen. Period.

Genau deswegen braucht es Aktivist:innen, die das ändern wollen. Aber: die Gruppe, die nach Sex:arbeiter:innen am häufigsten Zielscheibe transfeindlicher Gewalt wird, sind Ak­ti­vis­t:in­nen und prominente Figuren in der trans Bewegung. Das passt ausgezeichnet zu einer weiteren Beobachtung der TGEU. Die hat zum ersten Mal in der Geschichte mehr Rücktritt, statt Fortschritt in Bezug auf trans Belange verzeichnet. Diese historisch einmalige Dimension sollte jede Person aufschrecken lassen, die ein Interesse daran hat, dass trans Menschen in dieser Welt existieren können. Auf den Staat ist kein Verlass, der regt sich lieber über das „Stadtbild“ auf. Also müssen wir selbst tätig werden, um Trans-sein (über-)lebbar zu machen.

Dank mutiger trans Ak­ti­vis­t:in­nen finden trotz erstarkender rechter Kräfte überall im Land Gedenkveranstaltungen und Demos statt. Allein in Baden-Württemberg elf. Doch die Medien interessieren sich mittlerweile nur noch für trans Themen, wenn Nazis aus transfeindlichen Motiven vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch machen oder Polizeipräsidien ihre eigenen Leute verdächtigen.

Selbst als die Stadtbild Debatte tobte, kam kaum ein Medium auf die Idee, die Perspektiven von trans Personen zu berücksichtigen

Selbst als die Stadtbild Debatte tobte, kam kein Medium, außer queer.de auf die Idee, die Perspektiven von trans Personen zu berücksichtigen. Als sei die trans Community als relevante Gruppe in der Gesellschaft irgendwann nach 2017 einfach von der Bildfläche und damit aus den Köpfen vieler, auch Medienschaffender, verschwunden. Außer in Gewaltstatistiken. Das muss die Medienbranche ändern.

Wo sind die wichtigen Porträtist von trans Ikonen, die es vor einigen Jahren gab? Was ist mit positiven Berichten von trans Personen, die tagtäglich in ihren Communitys etwas bewegen. Wo bleibt die Anerkennung für alle trans Menschen, die sich in diesem gesellschaftlichen Klima trauen, in die Offensive zu gehen und gegen Transfeindlichkeit zu kämpfen?

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