Traditionelles Puppentheater auf Sizilien: Puppen von Christen metzeln Muslime
Im Kampf zwischen Christen und Sarazenen werden im sizilianischen Puppentheater viele Schädel gespalten. Kein einfaches Kulturerbe.
Palermo im Dezember. Schwerter klirren und Schilder blitzen, wenn die edlen Ritter Frankreichs auf finstere Drachen und kaum weniger finstere Sarazenen treffen. Der blanke Stahl der etwa einen Meter großen Figuren spaltet dabei Körper und Köpfe ihrer Gegner; mal längs, mal quer, mal ist der Schädel sauber vom Leib getrennt, mal mitten durchs Gesicht geschnitten. Am Ende der durch krachende Fußtritte furios rhythmisierten Kämpfe liegt ein wüster Berg von Körperteilen auf der Bühne des traditionellen sizilianischen Puppentheaters.
„Man tötet, um nicht getötet zu werden“, lautet der Schlusssatz des Ritters Orlando, dessen Schwert an diesem Abend das Enthaupten besorgt hat. Kann man damit dem Vorwurf naiver Verherrlichung der Kreuzzüge entgehen? Lässt sich das kulturelle Erbe gar als ein Mittel der Verständigung nutzen? Einige Künstler versuchen das.
Allein in Palermo gibt es zwei Theater, die regelmäßig Szenen aus den Schlachten der Paladine Karls des Großen gegen die Sarazenen sowie den späteren Kreuzzügen im Programm haben. Was lange Zeit Pflege eines kulturellen Erbes war – und wegen der oralen Weitergabe der Stücke und der Aufführungspraxis von Generation zu Generation sogar die Aufnahme ins Unesco-Weltkulturerbe fand –, hat jetzt einen beklemmenden Beigeschmack bekommen. Denn Christenpuppen metzeln hier hölzerne Darsteller muslimischer Krieger.
Zwar fehlt die schwarze Isis-Fahne. Weil der Ritter Orlando, Hauptheld des Rolandlieds, eines altfranzösischen Versepos, auf dem viele der Geschichten beruhen, aber mit einer Schärpe in den italienischen Nationalfarben ausgestattet ist, kann das erschreckte Auge hier gar eine ganz große europäische Koalition entdecken.
Die Parallelen zur aktuellen politischen Lage entgehen auch den Spielern nicht. Der Künstler, der gerade noch im Teatro Carlo Magno, einem im Borgo, dem Armenviertel mitten im Zentrum der Stadt gelegenen Spielort, die Fäden des stolzen Ritters Orlando führte, meint dazu nur resignierend: „Es kommt alles immer wieder, die Kriege, die Gewalttaten.“
Er weist aber darauf hin, dass alles nur ein Spiel sei: „Die Puppen sind so präpariert, dass sie zum gewünschten Zeitpunkt auseinanderfallen können. Sie gehen nicht kaputt.“ Ihm ist die überlieferte Kunstfertigkeit wichtig: „Und die Kämpfe sind vor allem eine Choreografie. Mit unseren Fußtritten geben wir einen Rhythmus vor, der die Kämpfe strukturiert und sie in eine andere Form, in einen Tanz überführt.“
Reicht schon die Kunstbehauptung, um dem Vorwurf platter antimuslimischer Mobilmachung zu entgehen? Mimmo Cuticchio, Prinzipal des zweiten Marionettentheater-Familienbetriebs in Palermo, hebt immerhin zu einer verblüffenden historischen Einordnung an. Die Sarazenen im sizilianischen Puppentheater stünden gar nicht für mittelalterliche muslimische Krieger. „Sie wurden und werden von unserem angestammten Publikum als Personifizierung des Anderen gesehen, das Sizilien okkupiert hat. Das waren zur Entstehungszeit der bewaffneten Puppen die herrschenden Bourbonen“, erläutert Cuticchio.
Agitprop aus der Zeit von Garibaldi
Er hat sogar eine Geschichte über den einstigen revolutionären Gehalt des Puppentheaters parat. „In den Zeiten der Revolten und Aufstände des 19. Jahrhunderts nutzte Gaetano Greco, ein Meister des Puppenspiels, der zudem den Liberalen um Garibaldi nahestand, seine Theatervorstellungen dazu aus, die Bevölkerung für die Revolution zu begeistern. Und je mehr Sarazenen auf der Bühne starben, desto mehr breitete sich die Überzeugung aus, dass die Bourbonen und ihre Armee besiegbar waren“, erzählt Cuticchio.
Glaubt man ihm, wird Puppenspiel zu einer Vorform von erfolgreichem Agitprop. Denn Maestro Greco stattete seinerzeit die Figur des Orlando nicht nur mit der Schärpe in den Farben der italienischen Trikolore aus, wie sie noch heute die Bürgermeister tragen. „Er führte die Figur einen Tag vor dem Angriff der Truppen Garibaldis auf Palermo mit dieser Schärpe durch die Straßen“, schwärmt Cuticchio, der selbst Hunderte dieser Figuren in seinem Theater für Aufführungen bereithält, die von den alten rebellischen Zeiten erzählen.
Auch jetzt will Cuticchio am liebsten die Kavallerie der französischen Ritter für gute Zwecke einsetzen. „Kavallerie heute bedeutet, nicht Prinzessinnen zu befreien, die von Drachen festgehalten werden, sondern für die Rechte von Frauen zu kämpfen und gegen den Femizid vorzugehen“, meint er.
Auf die Situation im Irak und in Syrien bezogen, wünscht er sich die Kavallerie „als UNO und EU, aber nicht als militärische Interventionisten, sondern als Diplomaten, als Menschen des Dialogs“. Halten die Figuren eine solche Neubelegung aus? Holz ist geduldig. Allerdings muss der Geist des Betrachters auch willig sein.
Ein kulturelles Missverständnis
Das ist er nicht immer, wie Cuticchio selbst bei einem Gastspiel in Indonesien vor ein paar Jahren erfahren musste. „Bei der Pressekonferenz zur Tournee fragte mich in Bali ein Journalist, warum wir ausgerechnet in Zeiten, in denen die Amerikaner Bin Laden mit Bomben und Drohnen jagten, mit solchen Stücken hierherkommen. Ich versuchte, ihm den Kontext zu erklären. Vergeblich. Unmittelbar nach ihm stand ein weiterer Journalist auf, einer, der ein Bin-Laden-T-Shirt anhatte, und stellte eine ähnliche Frage.“
Cuticchio hält heute den Pressetext, der nur die Inhaltsangabe des Kampfes der Christen gegen die Muslime enthielt, aber keine historische Einordnung leistete, für den Auslöser des kulturellen Missverständnisses. In islamische Länder reist er seitdem mit Stücken, in denen die christlichen Paladine Krieg gegen die Sarazenen führen, nicht mehr. Vielmehr versucht er, die Gedanken von Frieden, Versöhnung und Dialog in die Aufführungen zu integrieren.
Er arbeitete auch mit einem irakischen Künstler zusammen. Historisches Vorbild für die Versöhnungsversuche ist ihm Franz von Assisi. Der versuchte beim 5. Kreuzzug (1217–1221) Mohammedaner wie Christen zum Einlenken zu bewegen. Der damalige Sultan übrigens war gesprächsbereit, der päpstliche Abgesandte nicht.
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