Touristen in Berlin I: Bürger lasst das Motzen sein!
Wie steht die Stadt zu Touristen? Gerade in linken Kreisen wird gerne auf sie geschimpft. Nun formiert sich eine Bewegung, die Vorbehalte gegen Touristen kritisiert.
Der Tätowierer in der Weserstraße sagt, er wisse nicht, wer da den Aufkleber auf die Bank vor seinem Laden geklebt hat. Den mit dem durchgestrichenen Herzen: „Berlin doesn‘t love you.“ Er jedenfalls war‘s nicht, sagt der Mann, auf englisch. „We like tourists.“ Er sei ja selber einer.
Ein paar Meter weiter ziehen zwei junge Engländer ihre Rollkoffer über den holprigen Neuköllner Bürgersteig. Oh ja, bemerkt die Frau im weißen Kleid, die Aufkleber habe man gesehen. Daran gestört habe sie sich aber nicht. „Wir hatten in Berlin die beste Zeit überhaupt!“
9,9 Millionen Touristen besuchten Berlin im letzten Jahr, mehr als je zuvor. Das freut nicht alle. Nicht nur Aufkleber künden von einer nicht wenig verbreiteten Abneigung gegen die Besuchermassen – und deren Folgen. Schon im letzten Jahr lösten die Kreuzberger Grünen mit einer Diskussion unter dem Titel „Hilfe, die Touris kommen“ eine aufgeregte Debatte aus.
Nun formiert sich eine Gegenbewegung. Seit Tagen plakatieren Linke gegen den Anti-Touri-Zorn. „Spot the tourist“, steht auf den Aushängen, darauf zwölf Porträts, bei denen unklar ist, ob es sich um Touristen oder Berliner handelt. „Gesucht: der offizielle Sündenbock für hohe Mieten“. Eine gezielte Provokation, auch gegen die eigene Szene.
Und nicht die einzige. Auf einem Berliner Internetblog werden „tourists welcome“ geheißen – der Titel firmiert auch stilistisch analog zur Szeneformel des „refugees welcome“. Und in Neukölln gründete sich eigens eine „Hipster Antifa“. Offenbar gibt es Diskussionsbedarf.
Jannek Korsky hat die Anti-Touristen-Grafittis fotografiert, gut 100 Stück, und sie alle ins Internet gestellt. „Touris fuck off“, „Zündet Touristen an“, „Touristen fisten“. Irgendwann sei das nicht mehr witzig gewesen, sagt der 30-Jährige. „Da haben wir uns für eine Intervention entschieden – eine, die nicht ignoriert werden kann.“ Mit zwei Freunden gründete Korsky Ende Mai die „Hipster Antifa Neukölln“.
Die wirbt im Internet nun „für mehr Soja-Latte, Wi-fi und Bio-Märkte“, fordert „mehr Luxus“ und weniger „Heimatschutz“. Korsky grinst, wenn er davon in einem Neuköllner Alternativcafé unweit der Hermannstraße erzählt. Tatsächlich bestellt er Soja-Kaffee. Mehr Hipster ist aber nicht. Stattdessen spricht der Sozialarbeiter, blaues Hemd, sehr kurze Haare, von seinem „disparaten Kommunismusbegriff“. Ja, sie kämen aus der linken Szene, sagt Korsky. Aber wie manche dort zuletzt über Aufwertung diskutierten, habe „mit progressiv nichts mehr zu tun“.
Die Feindbilder seien da austauschbar: Schwaben, Yuppies, Hipster oder eben Touristen. „Das klingt alles nach Etabliertenrecht: Wir, die hier zuerst waren, gegen euch Dazugekommenen.“ Dabei, sagt Korsky, liege das Problem tiefer: dass diese Gesellschaft Armut zulasse. „Wenn die Hipster und Touris weg wären, würde die Miete doch trotzdem nicht sinken.“
Im Internet wird die Hipster Antifa mal bejubelt, mal angefeindet, in einem linken Szeneforum wird gar ein „neuer Szenekonflikt“ heraufbeschworen. Die Gruppe rücke das Problem der Aufwertung in den Hintergrund, heißt es. Sie spalte die Engagierten, verhöhne prekäre Mieter.
Korsky nickt. Man habe die Heftigkeit der Debatte erwartet, ja gewollt. Deshalb keine Fotos, auch heiße er eigentlich anders. Natürlich, sagt er, sei Gentrifizierung ein Problem. Da hälfen aber keine eingeschlagen Scheiben, sondern Widerstand wie das Protestcamp am Kotti.
Erst im Juli begründeten Autonome Steinwürfe auf ein neues Hotel am Boxhagener Platz mit „reihenweise entmieteten Häusern für Eigentumswohnungen und Hotels“. In einem 1.-Mai-Aufruf wurde über die „immer größeren Touristen-Horden“ gemotzt, die „nachts in die Hauseingänge kotzen“. Das scheint anschlussfähig: Als die Grünen zu ihrer Touridiskussion riefen, kamen 200 Anwohner – und schimpften nicht minder laut.
„Die Stadt verändert sich, klar“, sagt auch David Schmidt. „Aber die Kritik daran darf nicht zu latenter Fremdenfeindlichkeit führen.“ Auch der 27-Jährige will seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Er gehört zur linksradikalen Gruppe „Andere Zustände Ermöglichen“, vor einem Jahr in Neukölln gegründet. Die „Spot the Tourists“-Plakate hat er mitgeklebt.
Er sei selbst überrascht, welch breite Debatte die Poster ausgelöst hätten, sagt Schmidt. Heute Abend will seine Gruppe diese auch in die Kneipe B-Lage in Neukölln mitnehmen – und dort über das Feindbild Tourist diskutieren. Natürlich könne man auch die „Tourismusindustrie“ kritiseren, sagt Schmidt. Den einzelnen Touri aber als „oberflächlich und zersetzend“ darzustellen, sei „schädlich“.
In Kreuzberg wehrt sich Bezirksbürgermeister Franz Schulz dagegen, mit seiner Partei die Misstöne mitbefeuert zu haben. Er habe stets vor „falschen Verteufelungen“ gewarnt, sagt der Grüne. In der Debatte gehe es am Ende aber doch um „ganz reale Probleme“, um nächtlichen Lärm und die Verwandlung von Straßen zu „Schankvorgärten“.
Burkhard Kieker, Berlins oberster Tourismuswerber, gibt sich über die Touri-Ablehnung noch gelassen. „Bisher hat die Debatte nicht geschadet, im Gegenteil“, sagt Kieker: „Sie hat Berlin sogar noch interessanter gemacht.“ Auf Dauer aber schade die Anti-Rhetorik. „Es wäre misslich, wenn ein paar wenige den Ruf der Gastfreundlichkeit verspielen.“
Natürlich verursache Tourismus auch Probleme, räumt Kieker ein. Er begrüße, dass der Senat die Umwandlung von Wohnungen in Ferienzimmer verbieten will. In Friedrichshain-Kreuzberg beschloss der Bezirk, die Ansiedlung von Hostels zu begrenzen. Das, sagt Bürgermeister Schulz, habe geholfen.
Auch im Camp am Kottbusser Tor, in dem seit Wochen gegen steigende Mieten protestiert wird, sind Touristen ein Thema. „Natürlich nervt es, wenn man sich hier wie im Zoo fühlt“, sagt dort Zeynep Yildiz. Das müsse man aber dem Senat vorwerfen, der kein Konzept für sanften Tourismus habe. Die Protestler haben sich nun etwas Neues ausgedacht, wenn bald zur nächsten „Lärmdemo“ gerufen wird: einen Touristenblock. „Wenn die Leute schon hier sind“, sagt Yildiz, „dürfen sie sich auch gerne auf unsere Seite stellen.“
Diskussion um 19 Uhr in der B-Lage, Mareschstr. 1, Neukölln
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