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Tourismus in der Antike„Wer ist denn römisch?“

Die römische Infrastruktur war ideal zum Reisen. Die Historikerin Susanne Froehlich hat ein Buch darüber geschrieben, wer warum wohin unterwegs war.

Heute wie zur Zeit der Römer ein beliebtes Reiseziel: die Memnonkolosse in Ägypten Foto: Reinhard Balzerek/imago
Ambros Waibel
Interview von Ambros Waibel

taz: Frau Froehlich, wir sitzen hier in Ihrem Arbeitszimmer an der Uni in Greifswald. Wenn Sie einem römischen Reisenden Greifswald schmackhaft machen wollten, würde Ihnen da was einfallen?

Susanne Froehlich: Oh, das dürfte schwierig werden. Die Römer reisen nicht gern nach Norden oder Westen und vor allem nicht ins „Barbaricum“.

Also in Gebiete außerhalb ihrer Herrschaft wie Vorpommern.

Gegenden, wo man sich auf sehr ungewisse Reisebedingungen einlässt. Und in denen die Frage ist, was die eigentlich zu bieten haben. Und da müsste ich schon überlegen, was man einem Römer hier zum Beispiel als Naturwunder verkaufen könnte. Ich fürchte, die Attraktivität ist stark begrenzt.

Das Buch

Susanne Froehlich: „Reisen im Römischen Reich“. De Gruyter Studium, 24,95 €

Sie sagen, die Römer reisen nicht nach Nord- und Westeuropa. Gleichzeitig erobern sie diese enormen Räume ja und schaffen mit Straßen, Brücken, Tunnels und Schiffsverbindungen eine beeindruckende Infrastruktur. Wozu das Ganze?

An der Verbundenheit des Imperiums, die die Infrastruktur garantiert, hängt unglaublich viel dran. Dass man nämlich im fernen Britannien, an der Grenze zu Schottland, römischen Wein trinken und von römischem Geschirr, der Terra sigillata, essen kann und informiert ist über Vorgänge im gesamten Reich. Die Konnektivität dieser Zeit ist unglaublich hoch.

Es geht also in der Lebenswirklichkeit nicht darum, dass ein Römer aus touristischem Interesse nach Britannien reist, sondern vielmehr darum, dass auch jemand an der Grenze zu den Barbaren sich weiterhin als Römer fühlen und erleben kann?

Da steckt die Frage drin: Wer ist denn römisch? Im technischen Sinn ist das definiert über das Bürgerrecht der Stadt Rom. Aber man kann auch sagen: Ein Römer ist jemand, der dazugehören will, der Latein spricht und einen bestimmten Lebensstil pflegt, der römische Kulte praktiziert. Das ist über Jahrhunderte ungebrochen offenbar ein sehr attraktives Modell gewesen. Und das steht und fällt mit der Mobilität, Mobilität von Waren, aber eben auch von Menschen, weil es keine abstrakte Art der Kommunikation wie Internet gibt. Auch ein Brief, den man schreibt, muss von einer Person von A nach B transportiert werden.

Was sind denn dann touristisch attraktive Ziele?

Die finden sich vor allem in Italien, Griechenland, Kleinasien und Ägypten; zum Beispiel Athen mit seinen Philosophenschulen oder Alexandria mit dem Leuchtturm und der Bibliothek, alte Heiligtümer wie das Apollonorakel in Delphi. Es gibt gewiss auch schon eine beschränkte Faszination für Fremdes, für Wildheit. Solche Berichte gehen aber von römischer Seite nicht einher mit einem ernsthaften Interesse an Land und Leuten, Sprachen und Kultur. Als Römer lernt man keine Fremdsprachen.

Bis auf Griechisch.

Griechisch ist keine Fremdsprache im eigentlichen Sinn, weil es in der römischen Oberschicht wie eine zweite Muttersprache gelernt wird, mit griechischen Ammen und Pädagogen von Geburt an.

Bleiben wir bei den Griechen. Die kulturelle Überlieferung der Antike beginnt mit zwei Epen, in denen viel gereist wird. Die Griechen segeln nach Troja, Odysseus verirrt sich auf dem Meer. Setzt hier auch das römische touristische Interesse an?

Das ist genau das Ding, ja. „Ilias“ und „Odyssee“ sind Texte, die in der Oberschicht jeder mehr oder weniger auswendig kennt. Das sind dann die Bezugspunkte, wenn man unterwegs ist. In Reisebeschreibungen von Römern, die über das Mittelmeer fahren, tauchen die Orte auf, die sie aus diesen Epen kennen oder zu kennen meinen. Insbesondere für Troja ist das sehr gut nachzuvollziehen, da kommen auch Kaiser hin. Die römischen Besucher wollen ganz genau wissen, wo stand denn nun der Palast des Priamos, wo war das Schiffslager der Griechen? In den Quellen lässt sich das Schritt für Schritt nachverfolgen, wie sich daraus eine lokale Tourismusindustrie entwickelt. Die Leute kommen und fragen, und dann wird ihnen eben auch was gezeigt. Die Wirklichkeit wird den literarischen Quellen angepasst.

Im Interview: Susanne Froehlich

Jahrgang 1980, ist Althistorikerin an der Universität Greifswald und Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät. Tritt im April die Professur für Alte Geschichte an der TU Darmstadt an. Erforscht und unterrichtet kultur- und sozialgeschichtliche Themen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Mobilität, Religionsgeschichte, Epigrafik, alles am liebsten in römischer Zeit.

Aber die Getriebenheit, die Neugier eines Odysseus haben die Römer bei ihren Reisen nicht?

Man fährt dahin, wo die anderen auch alle waren. Die Dynamik liegt darin, dass jemand über seine Reise berichtet und dann andere hinfahren und ihrerseits darüber berichten. Es gibt Reiseziele, die kurzlebig sind, wie etwa ein zahmer Delphin in Nordafrika, der eine große Zahl von Schaulustigen anlockt. Das Tier wird schließlich getötet, weil es den Leuten zu viel wird mit den Touristen.

Eine Art Tiktok-Phänomen.

Im Prinzip ja. Auch weil es dazugehört, so etwas gesehen zu haben. Man will mitreden können. Wer kennt sich in Athen aus? Wer hat einige von den Sieben Weltwundern gesehen?, das sind feste Referenzpunkte. Römische Touristen sind Leute, die sehr genau wissen, was sie sehen wollen, und das bekommen sie dann auch zu sehen. Es geht darum, einen Kanon abzuarbeiten – vielleicht vergleichbar damit, wie man bei uns in den 50er und 60er Jahren unterwegs gewesen ist.

Wer kann denn sozial gesehen da überhaupt mithalten? Welche Römer reisen?

Im Unterschied zu heute sind die Leute nicht gezielt aus ausschließlich touristischem Interesse so weit gereist. Sondern es handelt sich um Leute, die aus verschiedenen Gründen sowieso dort sind, die ein Amt haben, die beruflich unterwegs sind, Handwerker, Künstler, Armeeangehörige. Insofern sind das schon Menschen aus sehr verschiedenen Schichten. Aber die vielen Menschen, die als Tagelöhner am Rande des Existenzminimums lebten, hatten gewiss keine Spielräume für Reisen.

Ist der übliche römische Reisende ein Mann?

Nein. Aber der übliche römische Reisende, den die männlichen Autoren in ihren Quellen beschreiben, ist ein Mann. Und das ist natürlich ein Problem für die Forschung. Wir haben nur stellenweise Zugriff auf reisende Frauen, weil die, etwa in Begleitung eines mächtigen Mannes, in den literarischen Quellen einfach nicht erwähnt werden. In Alltagsdokumenten, zum Beispiel in Briefen, die auf Papyrus überliefert sind, zeigt sich ein anderes Bild. Da sind Frauen geschäftlich unterwegs, reisen zu Prozessen oder zu Familienfeiern. Da sind die Frauen vollwertige Akteurinnen. Und sie reisen auch aus touristischem Interesse.

Wer nicht in die weite Welt reisen kann oder will – zu diesen Menschen kommt dann die Welt aber sozusagen nach Hause, nach Rom?

Ja, Rom als Metropole der Welt wird in zeitgenössischen Texten so beschrieben: als ein Ort, wo Menschen, Tiere, Waren unterschiedlichster Hintergründe zusammenkommen, durch den Handel, aber auch etwa bei den Triumphzügen der Heerführer und Kaiser. Die sind genau so gedacht, dass die fremden Welten nach Rom geführt werden, dass Beute, dass Gefangene ausgestellt werden, in ihrer Wildheit und Exotik, und in ihrer Besiegtheit natürlich. Aber auch die Einwohner der Stadt kamen aus aller Welt. Diese Diversität in Rom, wie wir heute sagen würden, hat auch durchaus zu Abwehrreflexen geführt.

Inwiefern?

Die Schaulust wird befriedigt, aber was man sieht, befremdet auch. Es gab Leute, die fanden, Rom sei zu sehr von Ausländern bevölkert. Gleichzeitig ist die Faszination riesig, was sich in den Moden der Wohnausstattung und Dekorationselemente widerspiegelt, nicht zuletzt die Begeisterung für Ägypten. Da wurden ganze Nillandschaften mit ihrer Flora und Fauna an die Wände gemalt.

Woher kommt diese Begeisterung?

Ägypten ist einfach sehr alt. Dass etwas alt war, galt in der Antike als Qualitätsmerkmal. Und die Überreste dieser Kultur, Tempel und Grabanlagen, waren noch präsent. Zu der Sonderrolle beigetragen hat auch die ägyptische Natur, der Nil mit den jährlichen Überschwemmungen. Und diese Natur wird nicht als bedrohlich empfunden, wie etwa die Alpen, sondern als Kulturland, trotz der ambivalenten Faszination, die exotische Tiere wie Krokodile oder Nilpferde natürlich ausübten.

Die ökonomische Grundlage von alledem, was wir jetzt beschrieben haben, ist die Arbeit von versklavten Menschen – oder ist das übertrieben?

Sklaven sind immer Teil des Gefolges reicher Reisender, sie tragen das Gepäck, machen die Einkäufe, kochen das Essen. Sklaven heizen die Räume der Raststätten und der Bäder, sie halten die gesamte Sache am Laufen. Alles funktioniert auf dieser Basis.

Es gab zuletzt einige Aufregung in den sozialen Medien, wie häufig offenbar viele Männer sehnsüchtig an das Römische Reich denken. Aber ist der Verlust, als diese Zivilisation zusammenbricht, nicht tatsächlich riesig, gerade auch auf unser Thema hier, das Reisen bezogen?

Das ist eine schwierige Frage. Schon in den spätantiken Quellen spürt man das. Die Straßen sind unsicher, durch Kriege verwüstet und werden nicht repariert. Man vertraut sich eher dem Schiff an, was früher immer als die riskantere Reisevariante galt. Ich würde Vernetzung den folgenden Epochen nicht absprechen wollen. Aber in dieser Intensität konnte in Europa erst in der Neuzeit wieder an das römische Niveau des Reisens angeknüpft werden.

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