Tourismus in Paris: Besucher vermitteln Normalität
Nach dem Terror in Paris sind die Menschen dünnhäutig. Wegen einer Glühbirne kommt es vom Marais bis Belleville zu einer Massenpanik.
„Ils arrivent, ils arrivent!“– sie kommen, sie kommen! Der Mann vor mir, ein Zivi, zieht eine Knarre und brüllt die Vorbeigehenden an, sich umgehend in die Bar zu bewegen. Dort brüllt er weiter: „Alle in den Keller!“ Gedränge. Im Keller werden die ersten Zigaretten angezündet, die Hände zittern, allgemeine Ratlosigkeit, alle haben Angst. Angeblich soll es eine Schießerei geben, im Marais, Rue de Bretagne. Hört das nie auf?
Es ist Sonntag am späten Nachmittag, die sechs Anschläge von Freitag sitzen uns allen noch in den Knochen, und trotzdem sind wir auf die Straßen gegangen. Haben Blumen und Kerzen abgelegt, haben Mittag auf den Terrassen gegessen, um dann auch noch ein Glas Wein in irgendeiner Bar zu trinken. Wir wollen trauern, wollen das irgendwie fassen.
Wir dürfen keine Angst haben. Aber wir haben Angst. Auch wir wollen nicht, dass der Terror siegt, auch wir wollen uns nicht einschüchtern lassen. Wir wollen Bier trinken, in Paris, Berlin, London oder Brüssel, wollen tanzen, lachen, flirten und das Leben in vollen Zügen genießen. Ohne Angst. Aber in diesen Tagen fällt es uns schwer.
Wir spüren alle das Gleiche, sind hin und her gerissen, zwischen dem Bedürfnis, uns zu Hause zu vergraben, und dem Drang, zurück auf die Straßen zu gehen. Nicht nur dass dies das schlimmste terroristische Attentat in der Geschichte Frankreichs war, dieses Attentat galt uns: den 20- bis 35-Jährigen. Zielscheiben waren Bars, in denen wir alle hätten sitzen können und schon oft gesessen haben.
Alltag im Ausnahmezustand
Im Keller der Bar gibt es plötzlich Bewegung, die Ersten laufen die Treppen hoch zurück in die Bar. Falscher Alarm. Im vierten Arrondissement war die Birne einer Straßenlaterne geplatzt, gerannt sind die Menschen bis zum elften. In der halben Stadt wurden Menschen in die Bars getrieben und die Lokale verriegelt. Massenpanik vom Marais bis Belleville. Wegen einer Glühbirne. La psychose nationale.
Flanierende Touristen auf den Boulevards geben uns ein Gefühl von Normalität. Hoffentlich bleiben sie nicht weg!
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