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Syrische Flüchtlinge vor dem LagesoZweifel am militärischen Vorgehen

Geflüchtete Syrer in Berlin zeigen sich solidarisch mit den Opfern der Anschläge in Paris. Doch die Terrormiliz IS lässt sich nicht von außen besiegen.

Viele der Geflüchteten am Lageso haben den Terror am eigenen Leib erfahren. Foto: reuters

Berlin taz | „Scheiße“ finde er das, was in Paris geschehen sei, sagt Adnan. Er redet ruhig, trotzdem liegt Anspannung in seiner Stimme. Seine von einem dunklen Zehntagebart umrandeten Mundwinkel verziehen sich, als er auf den „Islamischen Staat“ (IS) und die Anschläge vom 13. November angesprochen wird. „Wir brauchen keine Terroristen hier in Europa. Vor denen sind wir doch gerade geflohen“, bekräftigt der 40-jährige Syrer, der mit seinem faltigen Gesicht und dem Bart etwas älter aussieht.

Seit dem 11. November sei er in Deutschland. Von dem Terrorakt, bei dem mindestens 129 Menschen starben, habe er auf dem Weg nach Berlin erfahren. Nun steht er mit einer Gruppe junger Männer um eine Mitarbeiterin auf dem Hof des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin.

Sie greifen nach Antragsformularen, halten Papiere zur Überprüfung bereit. Wie die meisten Syrer möchte Adnan seinen Nachnamen nicht nennen, lässt sich nur widerwillig fotografieren. Die Angst, dass er von Spionen Assads oder des IS entdeckt wird und seine Zurückgebliebenen in der Heimat dadurch in Gefahr bringt, ist groß. Trotzdem fühle er sich hier in Europa sicher, sagt er. Daran haben auch die Ereignisse in Paris nichts geändert.

In deren Folge zeigten Geflüchtete Solidarität mit den Opfern und Angehörigen von Paris, obwohl oder gerade weil viele von ihnen ähnliche Geschichten erzählen können. Bei dem Trauermarsch zur Französischen Botschaft in Berlin waren am Sonntag nach den Attentaten syrische Flüchtlinge dabei, in der Facebookgruppe „Syrisches Haus in Deutschland“ werden Beileidsbekundungen geteilt. Dazu zählt auch eine Fotomontage, auf der der Eiffelturm eine zerstörte Stadt in Syrien überragt. Der gemeinsame Kampf gegen den Terror verbindet.

Frankreichs Reaktion als Bedrohung für Zivilisten

Zwischen den Zelten auf dem Lageso-Gelände ist Mohammed mit einem Freund unterwegs. Der Mittzwanziger ist seit dreieinhalb Monaten in Deutschland. Seine Heimatstadt Rakka gilt als Hauptstadt des „Islamischen Staates“. Nach den Anschlägen war sie das erste Ziel der französischen Luftangriffe.

Mohammed distanziert sich ebenfalls stark vom „Islamischen Staat“, doch er hält auch die Reaktion Frankreichs für falsch. Er befürchtet, dass dadurch noch mehr Zivilisten in Syrien leiden als ohnehin schon. „Wir dürfen nicht das eine Leid sehen und das andere vergessen“, mahnt er. „Der IS lässt sich nicht von außen besiegen, nur von innen heraus. Das wichtigste ist, dass sie keine Waffen mehr geliefert bekommen“, sagt er mit zornigem Blick.

Der IS darf keine Waffen mehr geliefert bekommen

Syrischer Flüchtling in Berlin

Noch etwas anderes macht ihn im Zusammenhang mit den Pariser Anschlägen wütend. Bei einem Attentäter, der sich an einem Eingang zum Stade de France in die Luft sprengte, ist ein syrischer Pass auf den Namen Ahmad al-Mohammad gefunden worden. „Was glaubst du, was damit war?“, fragt er. „Du glaubst doch nicht, dass ein Selbstmordattentäter zufällig seinen Pass im Rucksack vergisst. Das ist doch ein Joke, eine falsche Fährte.“

Mohammeds Skepsis scheint berechtigt. Es gibt große Zweifel an der Echtheit des Passes. Ermittlern zufolge stimmen Name, Geburtsort und Geburtsdatum überein mit denen eines syrischen Soldaten der Regierungstruppen von Baschar al-Assad, der bereits vor Monaten getötet wurde.

„Bei 95 Prozent der Menschen sind wir willkommen, bei fünf Prozent eben nicht“, sagt Mohammed. Er hat vom Großteil der Deutschen bisher keine feindlichen Reaktionen erfahren. „Die Deutschen sind sehr hilfsbereit“, sagt auch Adnan. „Sie behandeln mich als Menschen.“ Er wünscht sich, dass das so bleibt und lenkt den Blick angesichts der Anschläge und der Kriegsrhetorik auf das Wesentliche: „Religion ist egal, Humanität ist wichtig.“

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1 Kommentar

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  • Danke für diese Umfrage, in Berlin. von einem Nichtberliner.