Tourismus der Zukunft: Traumorte der Klimakatastrophe

Grünes Wasser in Venedig! Im Jahr 2050 eine absolute Attraktion für Katastrophen-Touris. taz-Spekulationen über die Tourismustrends der Zukunft.

Grün schillerndes Wasser: an der Rialto Brücke in Venedig stehen viele Menschen

Leuchtend grüner Canal Grande unter der Rialto-Brücke in Venedig, 28. Mai 2023 Foto: Luigi Constantini/ap

Am Wochenende leuchtete der Canal Grande von Venedig plötzlich grün. Eine Lokalzeitung spekulierte über die Schuld von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen. Später teilte eine örtliche Behörde mit, dass die Substanz Fluoreszin dahintersteckt, die bei Tests in Abwasserkanalnetzen verwendet wird. Unser Autor nimmt den Vorfall zum Anlass und spekuliert wild weiter über einen möglichen Tourismustrend der Zukunft

Bei der Push-Nachricht auf dem Smartphone konnte Karlotta ihr Glück kaum fassen: Es ist das Jahr 2050 und die Kanäle in Venedig waren grün gefärbt. Eine Umweltkatastrophe immensen Ausmaßes? Chemikalien? Überbordende Bakterien- oder Algenaktivitäten? Egal! Hauptsache, es vergiftet das Meer. Venedig sollte also die nächste Station werden auf ihrer Umweltkatastrophen-Tour, die Tochter und Vater machten, um ihre Beziehung zu festigen. Der brennende Schwarzwald, versalzene Seen in Neuseeland, leckende Ölplattformen vor Mexiko: Endlich hatten sie eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt. „Sicher werden massenhaft tote Fische an die Strände gespült“, sagte Karlotta ihrem Vater Torsten, der bei ihrer aktuellen Station versonnen ein Foto vom letzten Quadratmeter Schnee auf der Zugspitze machte. „So wie damals an der Oder“, ergänzte sie, „als du keine Zeit für mich, deine einzige Tochter, hattest.“

Torsten packte das schlechte Gewissen. Venedig stand ja eigentlich nicht auf der Route, denn trotz früherer düsterer Prophezeiungen war die Stadt bisher nicht untergegangen. Das System, mit dem der Meeresspiegel möglichst niedrig gehalten werden sollte, war zu effizient. Da hatte wohl jemand nicht mit dem neuesten Hype der Tourismusindustrie gerechnet. Die Stadt war bis zum aktuellen Vorfall inzwischen fast verwaist.

Nicht anfassen!

Der grüne Schimmer war betörend. Der Gestank, den sie auf der Fahrt in ihrem rostigen schwarzen BMW-SUV herbeifantasiert hatten, fehlte allerdings. Der einzige unangenehme Geruch in Venedig war der Schweiß von Tausenden Katastrophen-Touris. Scheiße! Sie trugen Shirts mit südfranzösischen Wüstenlandschaften und wetterfeste Hüte, auf denen Dinge standen wie „Ich habe den roten Regen von Prag überlebt“. Alle geierten auf die Phiolen der findigen Glasbläser*innen, mit denen sie ein Tröpfchen Grün aus den Kanälen abzwacken wollten. Souvenir muss sein!

„Nur schauen“, schrie die Polizei von ihren Bötchen die Touris an. „Nicht anfassen!“ Wegen der immensen Wasserentnahme schimmerte bereits der Boden des Kanals. Eine Katastrophe für die örtliche Tourismusvereinigung. Gerade als Torsten, schmierig verschwitzt von den 46 Grad im Schatten, sich auf der Kanaltreppe hinabbeugen wollte, um auch ein wenig Wasser zu bekommen, tippte ihm ein Zivilbulle auf die Schulter. Festnahme.

Die anderen Touris in der Zelle hatten auch miese Laune. Draußen der Zerfall der Welt und sie drinnen, weit entfernt von den guten Plätzen. Dabei waren sie extra aus Dublin, Tokio, Ohio angereist. Sie grunzten sich gegenseitig an, beschimpften sich, wenn ei­ne*r angab, schon viel mehr tote Haie angefasst zu haben als die anderen. Dann trat auch noch eine Polizistin an die Zelle, die ihnen gehässig mitteilte, dass sie unnötig angereist und verhaftet waren: „Das Zeug ist nicht mal giftig“, erklärte sie. „Kommt nicht aus einer Fabrik, ist kein gefährliches Bakterium, sondern einfach nur eine Aktion von diesen Klimarettern. Gibt jetzt auch schon Razzia nach bayerischem Vorbild.“ Die Zelle eskalierte, und weil gerade keine Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen da waren, musste man sich eben gegenseitig schlagen.

„Razzia, nichts als Razzia, nur weil sich jemand wehrt“, flüsterte Torsten und hoffte, seine Tochter würde etwas über Staat und Freiheit lernen. Die letzten verbliebenen Klimaaktivist*innen, das durfte er in dieser Zelle nur denken, nicht sagen, das waren die Guten. Er litt unter einem altmodischen Weltbild, in dem man die Natur noch retten konnte, wenn man Lärm oder Farbe machte, sich an Straßen festklebte.

„Wieso?“, fragte Karlotta und starrte zurück, etwas Feindseliges in ihren runtergedrückten Augenbrauen. „Die gehen doch nur gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen vor. Sollen sie uns doch beim Untergang zusehen lassen, ohne uns mit ihrer Moral den Blick zu versperren! Was uns jetzt alles entgangen ist wegen dieses Fakes!“ Ein alter Mann in der Ecke knetete aufgeregt seine Hände, die noch in Schutzhandschuhen zur Wasserentnahme steckten. „Seien Sie nicht traurig“, wandte er sich an Karlotta. „Es gibt noch so viel, was kaputtgehen kann. Erst letzte Woche habe ich gehört, dass im August vermutlich wochenlang Eisstürme über Ägypten hereinbrechen werden. Würde mich wundern, wenn der Nil das übersteht!“

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