Tourismus-Boom in Griechenland: Zimmer mit Betonblick
Auf Kreta haben Investoren Pläne für mehr Hotels. Umweltschützer fürchten um sensible Biotope. Sie kämpfen gegen eine mächtige Branche.
E s herrscht eine seltene Ruhe am Strand von Falasarna im Westen Kretas. An der kilometerlangen Küste mit feinem Sand und strahlend türkisblauem Meerwasser ist kein einziger Mensch zu sehen. Keine Liegestühle und Sonnenschirme, keine Quads, die die Küste entlangbrettern, keine Musik dröhnt aus den Strandbars. Nur das sanfte Rauschen des Meeres ist zu hören sowie leise Stimmen einiger Arbeiter, die mit Wartungsarbeiten in einer nahe gelegenen Kantine beschäftigt sind. Ein leichter Wind trägt frische Meeresluft an Land.
Es ist kurz vor Saisonbeginn. Despina Koutsounaki geht am Meer entlang, hebt eine weiße Muschel auf. Die 60-Jährige mit kinnlangem Haar und energischem Blick wohnt im benachbarten Dorf Platanos, das sich nur drei Kilometer entfernt oberhalb der Ebene von Falasarna befindet. Die gelernte Physikerin beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Landwirtschaft und produziert ihr eigenes Olivenöl. Sie ist in diesem Ort aufgewachsen und hat viele Erinnerungen an diesen Teil der Küste, den die Einheimischen Pachia Ammos, zu Deutsch: Dicker Sand, nennen.
Falasarna gehört seit den 1990er Jahren zum europaweiten Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000, einem europäischen ökologischen Netz von Gebieten, die natürliche Lebensraumtypen und Lebensräume für Arten beherbergen. Er ist einer den beliebtesten Strände Griechenlands und auf der Tourismuswebseite Tripadvisor unter den 25 besten Stränden der Welt gelistet. Unter anderem ist er auch ein Nistplatz der streng geschützten Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta).
Doch Koutsounaki macht sich Sorgen. Der Ort wird schrittweise durch den ungeplanten und teilweise auch illegalen Bau von Touristenanlagen zerstört. Ein lokaler Unternehmer plant innerhalb der Natura-2000-Zone eine touristische Anlage zu bauen. Laut lokalen Medien sieht das Projekt den Bau von 800 Betten vor. In manchen Natura-2000-Regionen in Griechenland ist aktuell der Bau von bis zu 150 Betten erlaubt.
Zerstörung hat bereits begonnen
„Jede Privatperson hat das Recht, ihr Eigentum zu nutzen – aber im Rahmen der Gesetze, vor allem in einem geschützten Gebiet. Schließlich war sich der Käufer beim Kauf des Grundstücks der Beschränkungen bewusst“, sagt Koutsounaki und fügt hinzu, „ich bin nicht nur gegen den Bau eines Hotels an dieser Stelle mitten im Natura-2000-Gebiet, sondern gegen jede Aktion, die diesen geschützten Ort gefährdet oder zerstört.“
Beispiele für Zerstörung gibt es bereits. Da wäre ein Dünengebiet, das mittlerweile nicht mehr existiert, da Unbekannte über Jahre hinweg den Sand schrittweise entfernt haben. Ebenso verbrannte in den 70 er Jahren ein Zedernwald nachdem der Wald den Besitzer gewechselt hatte – Vermutungen deuten auf Brandstiftung hin. „Niemand spricht über diese illegalen Taten, und das fördert natürlich das Gefühl, dass jeder tun und lassen kann, was er will, da es keine Strafe und keine Hindernisse gibt“, beklagt Koutsounaki.
Sie bleibt an einer kleinen Sandbucht stehen. In einer Grotte rauscht Meerwasser. Als sie ein kleines Mädchen war, hat ihr Vater hier eine Robbenmutter gesehen, die ihr Baby gestillt hat, erzählt sie. Sie lächelt, als sie von der Zeit der 1960er Jahre erzählt. Ihre Familie hatte keinen Strom, kein Auto und baute ihren eigenen Weizen an.
„Das war die glücklichste Zeit in meinem Leben, weil wir so nah mit der Natur gelebt haben und weil die Leute solidarisch miteinander waren. Diese Erinnerungen an meine Kindheit, diese Schönheit, mit der ich beschenkt wurde, bewegen mich dazu, diesen Ort schützen zu wollen“, sagt sie.
Traum vom Aufschwung
Sie könne verstehen, sagt sie, dass ihre Landsleute auf Wachstum hoffen. Die jahrelange Schuldenkrise und die von den Kreditgebern auferlegte harte Sparpolitik hat viele Familien in Griechenland an den Rand der Armut getrieben. Viele leben noch von der harten Arbeit in der Landwirtschaft. Auf den umliegenden Hügeln stehen dutzende Gewächshäuser mit ihren Plastikfolien. „Das Wachstum sollte aber im Einklang mit der Natur stattfinden. Es gibt Beispiele von Hotels und Restaurants in Falasarna, die das geschafft haben“, sagt sie.
Koutsounaki ist mit ihrer Sorge nicht allein. Eine starke Bürgerbewegung mit dem Namen „Save Falasarna“ hat sich im Oktober 2022 anlässlich der Veröffentlichung des Investitionsplans für den Bau der Hotelanlage gegründet. Auch eine Online-Unterschriftensammlung wurde ins Leben gerufen. Und es gab Ende Februar bereits eine Protestaktion im Strand von Pachia Ammos, an der AktivistInnen, BürgerInnen und WissenschaftlerInnen teilgenommen haben. Infomaterial über die Fauna wurde verteilt und Unterschriften wurden gesammelt.
Es geht ihnen vor allem um eine sehr seltene, vom Aussterben bedrohte Pflanze: Androcymbium rechingeri. Eine eindrucksvolle weiße Lilie mit rosa Streifen und langen grünen Blättern, die weltweit nur in Libyen und an drei Stellen in Griechenland zu finden ist: in Falasarna, Elafonisi und Balos, den drei weltberühmten Stränden Kretas.
Die Pflanze steht auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) und wird durch ein Präsidialdekret und die Berner Konvention geschützt. Jetzt ist die Lilie durch Tourismus und landwirtschaftliche Aktivitäten akut bedroht. In Elafonisi und Falasarna kollidiert ihr Lebensraum mit Tausenden von BesucherInnen und ihren Fahrzeugen.
Illegale Gebäude, nachträglich legalisiert
Die Biologin Christina Fournaraki von Mediterranen Agronomischen Institut in Chania (MAICh) macht darauf aufmerksam, dass die Europäische Kommission und auch der griechische Staat viel Geld für die langfristige Beobachtung, Erhaltung und den Schutz dieser seltenen Pflanze bereitgestellt haben. Das Gebiet, in dem sie wächst, wurde kartiert, ebenso hat man die Population erfasst sowie die Fläche, die sie einnimmt.
Die geplante Hotelanlage, die nur ein wenig vom Protestort entfernt ist, würde sich mitten in diesem Gebiet befinden. Eine ständige Wachsamkeit bei der Umsetzung der europäischen Umweltvorschriften sei erforderlich, betont die Biologin. „In der Vergangenheit wurde bereits versucht, hier ein großes Hotel zu errichten, was jedoch vom Umweltministerium verhindert wurde. Mehr als zwanzig Jahre später wird derselbe Antrag vom neuen Eigentümer wiederholt“.
Despina Koutsounaki, Anwohnerin
Die WissenschaftlerInnen haben außerdem erfahren, dass illegale Gebäude, die sich am Ort befinden, legalisiert wurden. Genehmigungen werden hauptsächlich von dem Städtebau ausgegeben, decken aber oft nicht den gesamten Ort ab, der von den Unternehmern genutzt wird, sondern nur einen Teil, erklärt ein lokaler Politiker der anonym bleiben will.Das Gebiet wird durch den Betrieb von Parkplätzen und Kantinen immer mehr entwertet. „Es ist notwendig, die Umweltvorschriften unverzüglich umzusetzen“, so Fournaraki.
Ihre Kollegin Panagiota Gotsiou erklärt, dass in Gebieten von besonderer Schönheit wie Falasarna immer auch besondere Organismen vorkämen, seien es Pflanzen oder Tiere. „Wenn dieses Biotop zerstört wird, werden auch die Organismen und die seltenen Pflanzen und Tiere zerstört, die dort möglicherweise vorkommen und von denen wir noch gar nichts wissen.“ Diese gelte es für künftige Generationen zu erhalten.
Auch schützenswert: Archäologische Funde
Nicht nur über der Erde – auch unter der Erde von Falasarna gibt es interessante Funde. Die Geologin Nagia Pierrou erklärt, dass die Insel Kreta vor zwei Millionen Jahren ihre heutige Form bekommen hat. Ein Erdbeben hatte im Jahr 365 die gesamte Westküste Kretas angehoben, in Falasarna um neun Meter. WissenschaftlerInnen haben in der weiteren Umgebung von Falasarna Fossilien von Säugetieren wie Hirschen und Meeresorganismen gefunden.
Archäologische Spuren weisen auf eine Besiedlung seit der minoischen Zeit, also vor rund 4000 Jahren, hin. Falasarna war eine der bedeutendsten Städte Kretas während der hellenistischen Zeit (336 bis 31 vor Christus). Davon zeugen auch Überreste eines befestigten hellenistischen Hafens. „Der archäologische Dienst setzt sich für den Schutz der archäologischen Umwelt ein“, sagt ein protestierender Archäologe.
Auch Despina Koutsounaki, die hier aufgewachsen ist, hat an der Protestaktion teilgenommen. Sie ist eine der wenigen BewohnerInnen der nahe liegenden Dörfer. Sie hätte mehr Beteiligung von ihnen erwartet. „Es ist nicht leicht für alle, ihre Meinung offen zu sagen“, sagt sie.
Viele Menschen seien sich der Einzigartigkeit des Ortes gar nicht bewusst, sie halten das alles für selbstverständlich. „Wir haben keinen Parthenon wie die Athener. Wir haben stattdessen eine natürliche Umwelt und eine wichtige archäologische Stätte, die wir schützen sollten.“ Für sie ist es ein Fehler, sich bei der Protestbewegung nur auf den möglichen Bau der Hotelanlage in Pachia Ammos zu konzentrieren. „Wir sollten über den Schutz des Strandes in seiner gesamten Länge sprechen“, betont sie.
Die Politik ist gespalten
Die lokalen politischen Gremien tendieren zu einer Ablehnung des Projekts. Der Stadtrat der Gemeinde Kissamos, zu der Falasarna gehört, hat sich gegen den Bau der Hotelanlage gestellt. Eine der großen Bedenken von dem sogenannten Ausschuss für Lebensqualität des Ortes betrifft die Frage des Wasserbedarfs, da es in dem Gebiet gerade ein großes Problem mit der Wasserversorgung und Bewässerung gibt. Auch der Stadtrat von Chania, der Stadtrat des Touristenorts Platanias sowie der Stadtrat von Kantanos-Selinos haben sich gegen das Projekt ausgesprochen.
Auch die Umweltdirektion der Präfektur Kreta, ein Expertengremium, gab eine negative Empfehlung. Der Umweltausschuss der Präfektur, der aus gewählten VertreterInnen besteht, gab eine teils positive Stellungnahme für den Bau am Strand ab.
Fotis Bichakis, Lehrer und Aktivist
Und auch der ehemalige Bürgermeister von Kissamos, Theodoris Stathakis, sieht die Lage anders: „Es wurden falsche Informationen verbreitet. Dass der Strand zerstört wird und der Zugang für die BewohnerInnen verhindert wird, ist nicht wahr. Der Plan sieht vor, 170 Meter von der Küste entfernt zu bauen“, so der Vorsitzende einer Oppositionspartei im Stadtrat von Kissamos.
„Der Bau dieser Anlage wird positive Effekte für die Region Kissamos haben und das touristische Angebot in Kissamos und in ganz Kreta aufwerten.“ Gleichzeitig betont er, es sei wichtig, „dass die Gesetzgebung, sowohl die europäische als auch die griechische, strikt eingehalten wird, und dass alle Bedingungen des Umweltschutzes erfüllt werden“.
Das Unternehmen betont „Respekt der Natur“
Falasarna soll für die Urlauber attraktiver werden, die in anderen Teilen Kretas übernachten und bislang nur Tagesausflüge unternehmen. Es gebe bestimmte Interessen, die eine touristische Entwicklung von Kissamos verhindert wollen und sich deswegen gegen dieses Projekt stellen würden, so seine Meinung.
Das Unternehmen Aeifores Touristikes Epicheiriseis Falasarna AE, das die touristische Anlage bauen will, betont auf Anfrage, dass die Planung des Projekts bereits im Gange sei. „Wir erklären kategorisch, dass es mit absolutem Respekt der Natur entworfen wurde, nicht nur zum Schutz der Umwelt, sondern auch, um die natürliche Schönheit der Gegend, unseres Ortes, unseres Kretas hervorzuheben. Der freie Zugang zum Strand wird nicht eingeschränkt“.
Die Bürgerbewegung lässt sich davon nicht überzeugen. Sie hofft, dass die Regierung und die zuständigen Behörden den Bau der touristischen Anlage nicht zulassen werden. Jeden Monat treffen sich die AktivistInnen in der Stadt Chania im sogenannten Arbeiterzentrum. An diesem Mittwochnachmittag hat sich eine kleine Gruppe versammelt.
Fotis Bichakis, ein Lehrer, ist stark besorgt. „Aus der zur Konsultation vorgelegten Studie selbst geht hervor, dass die Villen am Strand auf Holzpfählen gebaut werden. Das heißt, sie stehen dort, wo die bedrohten Meeresschildkröten ihre Eier legen sowie über den vom Aussterben bedrohten Lilien. In diesem Sinne wird die Belastung kontinuierlich sein.“
Autos setzen dem Gebiet zu
Der Stopp des Bauprojekts ist seiner Meinung nach entscheidend. „Das gleiche Unternehmen hat eine Fläche von 61 Hektar im Gebiet von Elafonisi gekauft, ein Ort, der auch zum Natura-2000-Netz gehört. Wir glauben, dass der Appetit auf weitere Zerstörung der natürlichen Umwelt wachsen wird, wenn erst mal in Falasarna gebaut wird.“
An dem Treffen nimmt auch der ehemalige Bürgermeister von Inachor und jetzige Sonderberater der Gemeinde Kissamos, Kostas Koukourakis, teil. Der schlanke Mann hält in seinen Händen eine Akte mit mehreren Dokumenten. Auf einer Landkarte zeigt er den Anwesenden gelb markierte Stellen: Orte in der Natura-2000-Zone in Elafonisi, die durch das Parken von Autos bereits zerstört wurden.
Nun beschloss die Gemeinde in diesem Jahr, keine Autos in der ökologisch sensiblen Schutzzone mehr zuzulassen, wo unter anderem die Lilie Androcymbium rechingeri wächst. Außerdem wird die Anzahl der Liegestühle und Sonnenschirme am Strand von Elafonisi stark reduziert. Sechs Personen will die Gemeinde als „Umweltführer“ einstellen, um die Besucher über die Natur, aber auch den historischen und kulturellen Wert des Ortes zu informieren.
Dass die Küste dringend geschützt werden muss, sei schon seit Langem klar, so Koukourakis, da die Anzahl von TouristInnen in den vergangenen Jahren und der Druck auf die Natur stetig ansteigt. Der Strand von Elafonissi ist aufgrund seiner extremen touristischen Auslastung mittlerweile nicht mehr auf der Liste der 25 besten Strände der Welt vertreten, im Gegensatz zu Falasarna.
„Der Gesetzgeber hat erklärt, dass sich das öffentliche Interesse aus verschiedenen Faktoren zusammensetzt. Der stärkste und wichtigste ist der Schutz der Umwelt. Denn dies schafft auf nachhaltige Weise Arbeitsplätze und Wohlstand. Es ist das Beste, was man machen kann, wenn man wirklich über Entwicklung für die BürgerInnen sprechen will. Alles andere ist ‚Unterentwicklung‘ “, so Koukourakis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch