■ Tour d'europe: Auf der Flucht
Flucht und Vertreibung in Europa sind ein aktuelles, doch kein neues Phänomen: Bereits aus dem Jahre 1573 ist der Begriff des „Flüchtlings“ erstmals dokumentiert. Damals flohen die Calvinisten aus dem heutigen Belgien vor dem katholischen Dogma spanischer Herrscher.
Seit dem 19. Jahrhundert war deutlich, daß das Kommen und Gehen von Flüchtlingen zum europäischen Alltag werden würde. Der Erste Weltkrieg konfrontierte Europa mit einer Flüchtlingskrise bisher nicht gekannten Ausmaßes: 9,5 Millionen Menschen suchten eine neue Heimat. Das Aufkommen von Nationalsozialismus und Faschismus und der Zweite Weltkrieg führte zu weiteren Strömen. Elf Millionen Überlebende befanden sich nach Kriegsende außerhalb ihres Herkunftslandes.
1949 riefen die Vereinten Nationen das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) ins Leben. Auf der Basis der Genfer Konvention ist seit 1951 der internationale Rechtsstatus von Flüchtlingen vertraglich geregelt. Als Flüchtling soll anerkannt werden, wer „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.“ Die Definition ist eng. Kriterien wie Umweltkatastrophen, Krieg oder Besetzung werden nicht anerkannt. Nach jüngsten Schätzungen des UNHCR befinden sich weltweit 20 Millionen Menschen auf der Flucht. Die größten Flüchtlingsgruppen kommen aus Afghanistan, Ex-Jugoslawien, Mosambik und Palästina. 85 Prozent der Flüchtlinge bleiben in Afrika, Asien und Lateinamerika. Nur etwa vier Millionen stammen aus oder kommen nach Europa. Seit Deutschland sich abschottet, weichen sie aus: Belgien, die Niederlande und Norwegen verzeichnen in diesem Jahr höchste Steigerungsraten an Asylanträgen.
Das Geld wird immer knapper: Bei einer Verdoppelung der Zahlen hat der Etat des UNHCR seit 1980 nur um ein Viertel zugenommen. Für die Unterstützung und Versorgung eines Flüchtlings bleiben dem UNHCR etwa 50 Mark. Bei den Beiträgen zur internationalen Flüchtlingshilfe tut sich lediglich Skandinavien hervor: 14,38 Dollar zahlt umgerechnet jeder Norweger im Jahr. Es folgen Dänemark, Schweden, die Schweiz, Luxemburg und die Niederlande. Deutschland ist ganz unten auf der Liste zu finden, nur noch gefolgt von Österreich, Frankreich und Spanien: Gerade mal einen halben Dollar bringt jeder Deutsche im Jahr für das internationale Flüchtlingsregime auf. Auf das offizielle Hilfesystem können Flüchtlinge sich nicht verlassen: Ohne die Unterstützung von Kirchen, privaten Initiativen und ehrenamtlichen Helfern wäre es längst zusammengebrochen. jgo
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