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Tour d'Europe

■ Ein Buch über das Reisen in Europa vor 500 Jahren

„Man reiste geschäftehalber und aus Neugierde...; man ging zum Studium auf Wanderschaft, um Arbeit zu suchen oder um ein bestimmtes Handwerk auszuüben.“ Das Reisebuch Europa 1492 von Lorenzo Camusso beschreibt Wege durchs alte Europa: Vor 500 Jahren, als sich mit der Entdeckung Amerikas und der Vertreibung der Mauren aus Spanien die Identität des europäischen Kulturkreises herausbildete.

Mögen die Kulturunterschiede besonders im standardisierten Tourismus auch geringer werden, um 1492 waren sie konkret: „Reisende aus dem Mittelmeerraum waren überrascht und verwirrt darüber, daß die öffentlichen Bäder in Nordeuropa von Frauen und Männern gemeinsam benutzt wurden. Der Spanier Pero Tafur (...) berichtete verwundert, daß in Flandern das gemeinsame Baden so normal sei wie in seiner Heimat der Besuch der Messe.“ Auch heute würde er sich über die größere Freizügigkeit des Nordens an heimischen Gestaden wundern.

Für den, der die Mittel hatte, war das Reisen zu Pferd nicht nur bequemer, es bot auch Abwechslung: „Kunst, Tafelfreuden, mancherlei Zerstreuungen, Feste, Karneval, Prozessionen, Pferde- und Eselrennen, geistliche Spiele, Predigten, Hinrichtungen und nicht zuletzt Frauen“, listet Camusso auf. Ein Domherr aus dem italienischen Molfetta beschrieb die fraulichen Andersartigkeiten: „Die Fläminnen sind weiß und rot, von lebhafter Hautfarbe und benützen keine Schminke. Durch den häufigen Genuß von Bier und Butter haben sie oft schlechte Zähne, aber wenn dies nicht der Fall ist, gehören sie zu den Schönsten. Die französischen Frauen kommen den Fläminnen nicht gleich, aber die Edelfrauen tanzen voller Grazie und Sinn für die Musik. Die deutschen Frauen sind nach Aussagen einiger Reisegefährten von Natur kalt, aber aufreizend.“

Die Darstellungen zu Bedingung und Alltäglichkeit des Reisens im ersten Teil des Buches lesen sich amüsant und geben ein fragmentarisches Bild des Reisens um 1492. Im zweiten Teil folgt Camusso fiktiven oder real- historischen Reisenden auf insgesamt zehn verschiedenen Routen: Unter anderen reitet Gerozzo di Jocopo de'Pigli im Auftrag der Medici von der Bankstadt Florenz in die Bankstadt Brügge. Ein fiktiver Pelzhändler ist auf dem Weg von Lübeck nach Nowgorod. Dürer macht sich 1494 zu Studienzwecken von Nürnberg nach Venedig auf. Die historischen Personen sind bedauerlicherweise nur Vorwand für die Reiserouten, die Camusso dann nach eigenem Gutdünken mit Fakten und Histörchen ausschmückt. Das Reiseschicksal des jungen Dürer bleibt wie das aller anderen fiktiven oder realen Personen im dunkeln. Die beim Leser geweckte Neugierde muß sich nach schlechter Reiseführermanier mit ausführlichen Schilderungen von Landschaft und vermeintlicher Sehenswürdigkeiten entlang der Routen zufriedengeben. Camussos Buch ist dort interessant, wo man mehr über die Reisenden und die Reisekultur erfährt, z.B. auch in den wunderbaren historischen Abbildungen des Bandes. Daß „die Rheinlandschaft wohl außerordentlich eindrucksvoll war“, denkt man sich ohnehin. Edith Kresta

Lorenzo Camusso: Reisebuch Europa 1492. Wege durch die Alte Welt. Artemis Verlag München/Zürich 1991.

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