Tory-Parteitag in Manchester: Alles super!
Auf dem Parteitag der Konservativen loben die Delegierten Boris Johnson. Sie wollen Neuwahlen, um sie zu gewinnen – mit Brexit und Sozialausgaben.
Die Zone ist nicht etwa der Innenbereich Kabuls, sondern hier tagen seit dem Wochenende in Manchester die britischen Konservativen. In förmlicher Kleidung, bei Männern meist uniform dunkelblaue Anzüge, bewegen sich Parteimitglieder durch die Hallen und an die Seminarräume mit einem Riesenaufgebot von Vorträgen und Präsentationen, nicht nur von konservativ angehauchten Vereinigungen und Denkfabriken, sondern auch von Sozialverbänden und aus der Geschäftswelt. Anders als bei den Parteitagen von Labour oder den Liberaldemokraten gibt es bei den Konservativen auch einen Aussteller für Maßanzüge und Edelhemden.
Die Stimmung ist freundlich-professionell. Den Delegierten gefällt es. Mark Penelly, 35, aus Woking in Südengland, erzählt, dass dieser Parteitag zum ersten Mal Einheitssinn aufweise und dass dies wohl auch etwas mit der Person Boris Johnson zu tun habe. Lizzy, 26, aus Bedfordshire, sagt, der Parteitag mache sie hoffnungsvoll, da klargemacht werde, dass die Konservativen für mehr als nur Brexit stehen. „Wir sind uns hier alle einig“, resümiert ein älterer Delegierter aus der Gegend von Manchester: Endlich sei die Partei so, wie es sein müsse.
Aussteller wie Airbus oder Bombardier, ja selbst der Sprecher des italienischen Verbands der Konservativen, äußern sich zum Thema EU diplomatisch und neutral. Der stellvertretende Vorsitzende des Verbandes der britischen Landwirte (NFU), Guy Smith, artikuliert sich deutlicher, spricht über die Verletzlichkeit des Agrarsektors und seine spezifischen Forderungen im Falle eines nichtgeregelten Brexits. Er habe darüber auf dem Parteitag bereits mit dem Brexitminister und dem Agrarminister gesprochen, erklärt er.
No walk in the park
Wenn es irgendwo in Großbritannien Hinweise darauf geben sollte, ob das Land auf einen ungeregelten Brexit vorbereitet ist, müsste es hier sein, wo alle versammelt sind, die dazu etwas zu sagen haben. Die Antwort scheint jedoch einstudiert zu sein. „No Deal ist kein Spaziergang im Park“, heißt es etwa von Verkehrsminister George Freeman.
Freeman befürwortet das „bewusste Risiko“ der No-Deal-Strategie Boris Johnsons, um das ewige Hin und Her um den Brexit zu brechen. Alles hänge nun vom „guten Wille“ der EU ab. „Auch die EU-Politker werden gegenüber ihren Menschen Konsequenzen wie medizinische Engpässe, fehlende Nahrungsmittel oder wirtschaftliche Verzögerungen vermeiden wollen.“ Dies sei ihnen bestimmt wichtiger als eine politisch puristische Haltung zur Integrität des Binnenmarkts und der Zollunion.
Handelsministerin Liz Truss malt in einer Veranstaltung ein Bild eines „globalen Großbritanniens“, das die Beschränkungen der EU-Mitgliedschaft überwindet. Man steuere Handelsverträge mit Australien, Neuseeland, den USA und Kanada an. Sie erwähnt Schweinefleischexporte nach China und Lammexporte in die USA. „Großbritannien wird in einem Regime niedriger Steuern und Freihandel Handelsfreiheit aufblühen“, sagt sie zuversichtlich.
Unter ihren Zuhörern ist die aus der Karibik stammende Rechtsanwältin Rachel Okello, aus Sutton Coldfield in der Nähe von Birmingham – sie gibt an, dass sie sich bald als Unterhauskandidatin bewerben will. Sie findet es „interessant“, dass Truss Handel mit den karibischen oder afrikanischen Commonwealthstaaten mit keinem Wort anspricht.
20.000 neue Polizeistellen werden versprochen
Aber solche Kritik bleibt marginal. „Get Brexit Done“ lautet der Parteitagsslogan, der vor dem Konferenzzentrum und im großen Plenarsaal hängt, neben der Parole „Investiert in das nationale Gesundheitsystem, Polizei und Schule“. Für Letzteres kündigt Finanzminister Sajid Javid vor den begeisterten Delegierten eine Finanzspritze von 50 Milliarden Pfund (über 55 Milliarden Euro) an. Die bereits bekannte Ankündigung von 20.000 zusätzlichen Polizisten – ein klarer Bruch mit Theresa Mays Kürzungen – wird von Innenministerin Priti Patel wiederholt.
Worin es bei diesen Versprechen geht, zeigt sich in einer Nebenveranstaltung zur Frage, inwiefern die wirtschaftlich Schwächsten bei zukünftigen Wahlen den Ausschlag geben könnten. Alan Mak, Großbritanniens erster Parlamentsabgeordneter mit chinesischen Wurzeln, seine Eltern stammen aus China, erläutert, dass in den 100 am stärksten umkämpften Wahlkreisen 1,4 Millionen Menschen in prekären Verhältnissen lebten, während die Abgeordnete Nusiat Ghani darauf hinweist, dass das Bekenntnis zum Brexit nicht ausreiche, um die Arbeiterklasse an die Konservativen zu binden – es gehe auch um gute Schulen, bessere soziale Versorgung und Verbrechensbekämpfung.
Die Konservativen bereiten sich in Manchester auf den nächsten Wahlkampf vor. Mit Brexit und massiven staatlichen Investitionen soll in nord- und mittelenglischen Industrieregionen die Dominanz Labours gebrochen werden, sagt ein Parteimitglied aus Leicester der taz. Wenn das gelingt, könnten die Tories im Unterhaus die Mehrheit zurückgewinnen, die sie derzeit nicht haben.
Der Weg dahin ist aber noch weit. Auf einer Veranstaltung im Plenarsaal zum Thema soziale Gerechtigkeit gesteht Kaneez Khan, Leiterin einer freiwilligen Nachbarschaftsinitiative in einer sozial und ethnisch gespaltenen Gegend in West Yorkshire, sie habe sich sehr schwergetan mit der Entscheidung, zum konservativen Parteitag zu kommen.
Auf ihrer Facebookseite schreibt sie dazu, dass der Grund das Verhalten Boris Johnson im Parlament gewesen sei und seine vor einigen Jahren in einer Zeitungskolumne getätigte Beschreibung muslimischer Frauen – sie ist selber hidschabtragende Muslima – als Menschen, die wie Briefkästen und Bankräuber aussehen: „Ich entschied mich dennoch zu kommen, um Menschen von unserem Dialog und unserer Botschaft zu erzählen.“
„Boris, Boris“-Rufe auf die Rednerbühne
Eine Nebenveranstaltung über Islamophobie wurde jedoch von den Veranstaltern storniert, im Seminarraum saßen nur acht Personen, während ein Zimmer weiter mehrere hundert Delegierte zum Empfang der nordirischen DUP-Unionisten kamen, bei der auch Boris Johnson unter lauten „Boris, Boris“-Rufen auf die Rednerbühne kam. Vereinzelte riefen „No Surrender – keine Kapitulation“, jene von Johnson verteidigte Wortwahl, die vergangene Woche von Parlamentariern als aufwiegelnd kritisiert wurde und die aus protestantischen Bürgerkriegszeiten in Nordirland stammt.
Hier wird die britische Union hochgepriesen und Jeremy Corbyn niedergemacht. DP-Fraktionsführer Nigel Dodds bezeichnet den Labour-Chef als „dreckig“ und Labour in England als „Hindernis der Union“, DUP-Chefin Arlene Foster fordert ein besseres Austrittsabkommen mit der EU und die Wiedereinsetzung der nordirischen Regionallregierung. Boris Johnson wiederholt diese Worte. Und auch die oft zu hörende Parole: „Ein No-Deal wird kein Spaziergang im Park.“
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