Torwart Ter Stegen beim FC Barcelona: Lobpreisung eines fußfertigen Fängers
Der deutsche Keeper hat mittlerweile Kultstatus erreicht in Katalonien. Wie Marc-André ter Stegen sich bei Barça der Apotheose eines Messi annähert.
Vorigen Samstag gegen Sevilla war mal wieder so ein Abend. Die Barça-Fantribüne schien anfangs wenig geneigt, sich mit dem Spiel zu beschäftigen. Zwei Tage nach der Inhaftierung der katalanischen Regionalregierung widmete sie sich lieber der Politik, kam aus Protest zehn Minuten später und artikulierte ihre Forderung nach Freiheit für die Gefangenen. Bis der Torwart vor ihnen eine seiner typischen Kombinationen aus souveräner Parade und lässiger Spieleröffnung anbrachte. „Marc-Andreeeee-ter-Stegen“, ertönte es da.
Die Lobpreisung zur Melodie des Kurvenklassikers „Seven Nation Army“ ist ein Tophit im Camp Nou, schließlich spielt der Keeper eine so makellose Saison, dass ihn das Sportblatt Mundo Deportivo kürzlich gar in einem Atemzug mit der lokalen Gottheit nannte: Um den „Messi des Tors“ handele es sich bei diesem 25-jährigen Deutschen, der heute seine Nation in England vertritt.
Die Heiligsprechung erfolgte nach brillanten Paraden beim Sieg in Bilbao, dessen Stadion eben nicht umsonst als „Kathedrale“ firmiert. Ter Stegens Gesamtperformance bis dato: Bei 15 Auftritten in Liga und Champions League hat er fünf Gegentore kassiert, alle unhaltbar. Macht 0,33 pro Partie im Schnitt, der niedrigste Wert in Europas großen Ligen; seine bisherige Bestmarke aus 2014/15 lag bei 0,76.
Natürlich ist so eine Verbesserung nicht denkbar ohne breiteren Fortschritt: Unter dem neuen Trainer Ernesto Valverde steht Barça enorm kompakt, in der Innenverteidigung hat der Franzose Samuel Umtiti überragende Form und auf rechts hat der portugiesische Neuzugang Nelson Semedo voll eingeschlagen. Ter Stegens Meriten kann das nicht schmälern.
Präsenz und Gelassenheit
Insbesondere im direkten Duell mit dem Stürmer erweist er sich bislang als unüberwindlich, und sein Spiel nach vorne ist so sachlich geworden, dass die einst so medienträchtigen Patzer nur noch wie eine Schimäre aus längst vergangenen Zeiten wirken.
Präsenz und Gelassenheit – darin hat der schon immer talentierte, fleißige und fußfertige Torwart am meisten zugelegt. Beim Confed-Cup führte er das auch seiner Heimat vor Augen: ohne Ter Stegens Taten wäre der Titel kaum möglich gewesen, ohne seine Ausstrahlung auch nicht. Die sollte man sowieso nicht unterschätzen.
In Barcelona kursiert etwa die Anekdote, wie er Anfang 2015 durch energisches Einschreiten eine Prügelei zwischen Messi und dem damaligen Trainer Luis Enrique verhinderte. „Seine größte Parade“ witzelt die Zeitung Sport, dabei war Ter Stegen da erst ein halbes Jahr im Verein.
Seit anderthalb Jahren ist er Stammtorwart, und unter den schwierigen Startbedingungen dieser Saison (Verlust von Neymar) ist er zum Erfolgsgaranten gereift. Dass Bundestorwarttrainer Andreas Köpke nun in einem kicker-Interview verkündete, Ter Stegen habe sich im Moment als Nummer zwei etabliert, kann da nur als Versuch interpretiert werden, jede Keeperdebatte abzuwürgen und dem verletzten Manuel Neuer nicht in den Rücken zu fallen.
Nur noch Neuer
In Wahrheit kann Ter Stegen, Champions-League-Sieger 2015 und international anerkannte Topkraft, beim besten Willen nicht mehr mit den Lenos, Trapps oder Horns verglichen werden. Sondern nur noch mit Neuer.
In Barcelona werden Diskussionen um die DFB-Elf nicht geführt, dort wissen sie nur, dass sie keinen anderen Torwart haben wollen. So sehr man ihn im Satireprogramm „Crackòvia“ mit „Ter Stegen Facts“ als Germano karikierte – „Er setzt sich ohne Papier auf die Tankstellentoilette“ –, so unbestreitbar ist seine Integration in die örtlichen Gepflogenheiten.
Längst spricht er gutes Spanisch, teamintern gilt er als beliebt, er zog vom Vorort Castelldefels ins Zentrum Barcelonas und äußert sich reflektiert zu stadtbewegenden Themen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis