Tortenkunst ist rechtens: Legalisiertes Zuckerzeug

Das Amtsgericht Lübeck hat entschieden, dass Sylvia Zenz‘ Tortendesign Kunst ist. Sie braucht sich also nicht in die Handwerksrolle einzutragen.

Sylvia Zenz muss kein Bußgeld für ihre kreativ verzierten Torten zahlen: Die sind Kunst, sagt das Amtsgericht. Foto: dpa

LÜBECK taz | Gerichtssprecherin Corinna Wiggers klingt ungehalten. Vor dem kleinen Saal 263 im zweiten Stock des Amtsgerichts Lübeck hat sich eine Menschentraube gebildet: Rund 20 Frauen in pinken T-Shirts halten Schilder hoch, „Tortendesign ist kein Verbrechen“ steht darauf.

Auch Journalisten sind gekommen, ein Fernsehteam schiebt sich in Richtung Tür. „Es ist einer Bußgeldsache nicht angemessen“, sagt Wiggers also, „aber wir ziehen jetzt in den Schwurgerichtssaal um“. Dort urteilen Richter normalerweise über Mord und Totschlag - heute geht es um Tortendeko.

Richter Thomas Weidenthal soll darüber entscheiden, ob die aufwendigen Zuckerverzierungen und Fondant-Figürchen, mit denen Sylvia Zenz ihre Torten schmückt, Kunst sind - oder die Handwerksarbeit eines Konditors.

Der 47-Jährigen wird ein Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz vorgeworfen. Das Ordnungsamt hatte der Tortendesignerin ein Bußgeld in Höhe von 650 Euro aufgedrückt, weil die sich nicht in die Handwerksrolle eintragen wollte. Zenz zahlte nicht und legte stattdessen Widerspruch ein.

Die Handwerksordnung regelt in Deutschland, dass ein handwerklicher Betrieb nur mit Meistertitel geführt werden darf - das gilt auch für Konditoren.

Die Handwerker müssen sich hierzu in die sogenannte Handwerksrolle eintragen, ein Verzeichnis aller Inhaber von Handwerksbetrieben.

Wer einen "unerheblichen handwerklichen Nebenbetrieb" führt, das Handwerk also nebenbei betreibt, kann auch ohne Meistertitel in die Handwerksrolle aufgenommen werden.

Kritisiert wird, dass durch den Meisterzwang der Markt und der Wettbewerb eingeschränkt werden und die Regelung dem Grundrecht auf freie Berufsausübung entgegen stehe.

Zenz sieht sich als Künstlerin. Die Torten selbst, im Schnitt zwei pro Monat, fertigt ein Konditor. „Wenn ich sie bekomme, ist alles Handwerkliche fertig“, sagt sie, Zenz kümmert sich nur noch um die Dekoration: Setzt Totenköpfe auf die Creme, die beim Anschnitt Himbeermark ausbluten, oder formt exotische Zuckerblüten. „Keines meiner Designs gleicht dem anderen“, sagt sie. In der Konditorausbildung lerne man diese Tortenkunst nicht. “

Im Gegenteil, viele der Sachen die ich mache, sind im Handwerk verpönt“, sagt sie - Drahtgerüste zum Beispiel. Angestoßen hatte das Bußgeld die Lübecker Handwerkskammer. „Nach unserer Auffassung gehört das, was sie macht, zum Konditorenhandwerk“, sagt Sprecher Ulf Grünke. Und einen künstlerischen Anspruch hätten Konditoren auch. Dementsprechend sei der Eintrag in die Handwerksrolle Pflicht.

Jonas Kuckuk vom Berufsverband unabhängiger Handwerker sieht das anders. Er kämpft seit Jahren gegen den Meisterzwang in Deutschland und unterstützt nun die Lübeckerin Zenz. „Wir haben es uns zum politischen Ziel gemacht, das Hierarchiedenken im Handwerk zu zerstören“, sagt er. Die Kammer habe mit Zenz nur deshalb ein Problem, glaubt er, weil sie das Verzieren von Torten besser beherrsche als die Handwerksmeister.

Im Schwurgerichtssaal hat sich Zenz auf einen der roten Stühle gesetzt, wippt nervös mit den pinken Turnschuhen und schiebt ihre Brille fahrig auf ihren Haarturm aus Dreadlocks. Die Verhandlung nimmt sie auf sich, weil sie ihre Arbeit nicht verstecken möchte, etwa unter dem Vorwand, einen Catering-Service zu betreiben. „Ich bin Tortendesignerin“, sagt sie, „und will dazu stehen.“

In vielen anderen Ländern sei der Beruf anerkannt. Die gelernte Psychiatriefachkraft begann sich vor rund zehn Jahren durch britische und amerikanische Internetforen über Materialien und Techniken zu informieren. Heute sind ihre Torten preisgekrönt und sie gibt selbst Kurse - auch für Konditoren.

Nun geht alles ganz schnell. Richter Weidenthal sagt, die Entscheidung über Kunst oder Handwerk sei schwierig - so wie bei Fotografen oder Bildhauern. Um einen Eindruck zu bekommen, schaut er sich Fotos der essbaren Designs an, spricht mit Zenz. Die Zeugin der Handwerkskammer wird gar nicht mehr gehört. Dann zieht sich der Richter allein ins Nebenzimmer „zur Beratung“ zurück. Nach wenigen Minuten spricht er das Urteil: „Freispruch“.

Die Torten von Sylvia Zenz sind also Kunst. „Der Gestaltung individueller Motivtorten liegt eine eigenständige kreative Leistung zugrunde, die über das im Konditorhandwerk übliche Maß hinausgeht“, begründet er. Die Frauen in pinken Shirts jubeln und klatschen. Zenz kommen die Tränen. „Ich hoffe, das Urteil gibt anderen Tortendesignern Mut, zu ihrer Kunst zu stehen“, sagt sie - auch gegen die Kammern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.