Torontos Bürgermeister Rob Ford: Crack, Lügen und Videotapes
Nun hat er‘s doch zugegeben: den Konsum von Crack. Und dass Filmaufnahmen existieren. Zurücktreten will Torontos Bürgermeister Ford dennoch nicht.
BERLIN taz | Zu Halloween hatte Torontos Bürgermeister Rob Ford seine Büroräume zum Spukhaus umdekoriert – inklusive Spinnweben, Grabsteinen und Sensenmann. Jetzt wird der bullige 44-jährige wohl selbst als Untoter darin herumwandeln, nachdem er am Dienstagnachmittag öffentlich zugab, bei mindestens einer Gelegenheit Crack geraucht zu haben.
Eine plötzliche Kehrtwende. Denn Ford hatte in den vergangenen Monaten stets den Konsum der illegalen Droge bestritten. Und auch die Existenz von Videoaufnahmen, die zeigen, wie der Bürgermeister an einer Wasserpfeife zieht und homophobe Bemerkungen über den Chef der kanadischen Liberalen stammelt, verneinte er vehement.
Selbst nachdem der Polizeichef der Stadt, Bill Blair, am vergangenen Donnerstag verkündet hatte, dass es diesen Clip tatsächlich gebe und er sich sogar in polizeilichem Besitz befände, wies Ford jeden Verdacht von sich. In einem Radio-Interview am Montag wollte er sich lediglich für vergangene Auftritte in der Öffentlichkeit entschuldigen, bei denen er sichtlich betrunken gewesen war – natürlich ohne ein Alkoholiker zu sein.
Im Vollrausch müsse er einmalig zur Bong gegriffen haben, weshalb er sich auch nicht daran erinnern könne, dabei gefilmt worden zu sein, erklärte der Bürgermeister jetzt gegenüber den erstaunten MedienvertreterInnen, die seit den Äußerungen des Polizeichefs Fords Amtssitz und Wohnhaus geradezu belagern.
Er wolle das Video sehen, um sich ein Bild von seinem damaligen Zustand machen zu können, den er als problematisch begreife. Ja, ganz Toronto habe schließlich das Recht, sich die Aufnahmen anzuschauen, so Ford. Er habe nie gelogen, ihm seien nur nicht die richtigen Fragen gestellt worden. Für die in der Vergangenheit passierten Fehler, die leider nicht mehr rückgängig zu machen seien, wolle er sich bei seiner Familie, seinen Freunden, Kollegen und den Bewohnern der Stadt entschuldigen.
Beim Austausch von Päckchen observiert
Allerdings besitzt Ford insbesondere bei Freundschaften kein allzu glückliches Händchen. Einer seiner Kumpel ist ein gewisser Alexander „Sandro“ Lisi, den der Bürgermeister gelegentlich auch als Chauffeur engagiert. Dessen PC-Festplatte war laut Polizeichef der Fundort des diskreditierenden Videos. Zwar hatte Lisi es schon gelöscht, die Beamten konnten es in der vergangenen Woche aber wieder rekonstruieren. Den Computer hatte die Polizei im Juni bei einer Durchsuchung von Lisis Wohnung beschlagnahmt.
Gegen Lisi, der sich nach Zahlung von Kaution auf freien Fuß befindet, wird derzeit wegen Dealerei ermittelt. Und wegen Erpressung im Zuge von angeblichen Versuchen, im Auftrag von Ford die Filmaufnahmen zu ergattern, bevor diese in die Hände der Medien geraten konnten.
Im Mai hatten zwei Journalisten der Tageszeitung Toronto Star und ein Reporter der Webseite Gawker berichtet, den mit einem Handy gefilmten Clip gesehen zu haben. Er wurde ihnen von einem Informanten aus der Drogenszene gezeigt, der die Aufnahmen zum Verkauf anbot. Gawker gelang es dann sogar mit einer Crowdfunding-Kampagne, die geforderten 200.000 Dollar aufzubringen. Allerdings riss der Kontakt zum Besitzer des Videos ab, dieses blieb verschwunden und das Geld wurde an die Drogenhilfe gespendet. Medien in aller Welt griffen damals die Geschichte vom Crack-Bürgermeister auf.
Ford will bleiben
Zunächst schien wieder Gras über die Sache zu wachsen. Nur: Die Polizei hatte aufgrund der Berichte über das Video Ermittlungen in der Umgebung des Bürgermeisters aufgenommen. Auch MitarbeiterInnen seines Büros wurden befragt. Schließlich geriet Ford-Fahrer Lisi in den Blick der Beamten.
Nachdem sie ihn intensiv observiert hatte, glaubt die Polizei nun, ihm geschäftsmäßigen Handel mit Marihuana nachweisen zu können. Ein Richter ließ gar ein Polizeidokument veröffentlichen, dass Lisi und den Bürgermeister beim heimlichen Austausch eines Päckchens mit unbekannten Inhalt zeigen.
Auf einer noch am Dienstag eiligst anberaumten Pressekonferenz wollte Ford dazu keine Fragen beantworten, stellte aber klar, dass er trotz seines Geständnisses weder an einen Rücktritt noch an eine vorübergehende Auszeit denke. Den Steuerzahlern zuliebe, wolle er sich gleich wieder an die Arbeit machen.
Theoretisch könnte der Konservative, der 2010 mit den Stimmen der VorstadtbewohnerInnen seinem progressiven Vorgänger David Miller den Amtssessel abjagte, bis zu den Bürgermeisterwahlen im Oktober nächsten Jahres auf seinem Posten bleiben. Denn die kommunale Gesetzgebung gibt der Stadtverordnetenversammlung keinerlei Möglichkeit, das Stadtoberhaupt abzusetzen. Nur wenn er wegen einer Straftat in den Knast kommen sollte, würde er seinen Job verlieren. Zwar kann Crack-Besitz mit Gefängnis bestraft werden, aber deswegen liegt noch keine Anzeige gegen Ford vor.
Die Medien als „Lynchmob“
Doch es bröckelt die Front seiner politischen Alliierten. Bisherige Verbündete wie der ebenfalls konservative Stadtrat Denzil Minnan-Wong hatten sich in den vergangenen Tagen von ihm abgewandt. Minnan-Wong nannte am Dienstag das Verhalten Fords inakzeptabel. Ford habe Verordnete im Fall des Videos getäuscht. Er schade sich selbst und Toronto. Minnan-Wong forderte den Bürgermeister auf, sich vom Amt beurlauben zu lassen.
Rücktrittsforderungen waren zuvor auch aus der städtischen Handelskammer gekommen und von Kommentatoren sämtlicher Tageszeitungen – also nicht nur vom liberalen Toronto Star, mit dem Ford eine lange und innige Feindschaft pflegt.
Bleibt noch sein älterer Bruder, der ebenfalls konservativer Stadtrat in Toronto ist, dem aber Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten der Provinz Ontario nachgesagt werden. Während der Pressekonferenz stand Doug Ford als einziger an Rob Fords Seite – schweigend, nachdem er am Wochenanfang noch Schimpftiraden gegen die Kritiker des Bürgermeisters losgelassen hatte. Die Medien bezeichnete er als „Lynchmob“ und ging selbst in den Radiosender CP24, um dort halb Toronto vorzwerfen, das Stadtoberhaupt unfair zu behandeln.
“50 Prozent“ der Bewohner, so Doug Ford, würden sich ein „öffentliches Auspeitschen“ seines Bruders wünschen. Zu seinem Hauptgegner erklärte er aber schließlich Polizeichef Bill Blair. Der Polizeichef hatte angesichts des Ermittlungsstands im Fall des Videos bemerkt, er sei „enttäuscht“ und das Ganze sei eine „traumatische Angelegenheit für die Stadt“. Doug Ford brachte das derart auf die Palme, dass er laut Toronto Star seinerseits den Rücktritt Blairs forderte.
Dienstbeschwerde gegen Blair
Der meine wohl, er sei “Richter, Jury und Henker in einem, so Ford noch am Dienstagmorgen auf AM640, in der Radioshow des rechten Moderators John Oakley. Ford unterstellte Blair, seine Worte als politisches Geschoss direkt zwischen die Augen des Bürgermeisters“ gezielt zu haben, um ihn endlich zu Fall bringen zu können.
Prompt erwiderte laut dem TV-Sender CBC ein Polizeisprecher, der Vorwurf, Blair habe die Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten, sei haltlos. Vielmehr sähe man hier den Beginn einer konzertierten Attacke gegen die polizeilichen Ermittlungen und gegen Bill Blair selbst. Blair, der rund 35 Jahre Dienst in Toronto auf dem Buckel hat und vom Anti-Establishment-Habitus à la Tea Party der Gebrüder Ford meilenweit entfernt ist, sieht sich womöglich mit einer Dienstbeschwerde bei der unabhängigen Polizeiaufsicht konfrontiert.
Die hat allerdings mit dem so genannten Crack-Video herzlich wenig zu tun, sondern betrifft vielmehr eine private Angeltour, die Blair zusammen mit einem Mitglied der städtischen Polizeikommission unternommen haben soll. Hier läge doch ein Interessenskonflikt vor, meint Beschwerdeführer Doug Ford.
Notfalls auch alleine
Ob sein Bruder Rob Bürgermeister bis zum Herbst nächsten Jahres bleibt, wird nun möglicherweise die Justiz entscheiden; wobei unter Juristen Uneinigkeit darüber herrscht, inwiefern das Zugeben von Drogenkonsum in der Vergangenheit und das vorhandene Filmmaterial überhaupt eine ausreichende Grundlage für eine Anklageerhebung darstellen.
Rob Ford jedenfalls will auch dann nicht weichen, sollten sämtliche Mitglieder des ihm unterstellten zwölfköpfigen Exekutivkommittees, also der Stadtregierung Torontos, wegen der Vorgänge den Bettel hinschmeißen. Das hatte er zumindest am Montag im Radio zu verstehen gegeben. „Ich werde den Kahn steuern, selbst wenn ich‘s alleine tun muss“. Aus dem Spukhaus könnte also sogar noch ein Geisterschiff werden.
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