Tony Gatlifs Spielfilm „Djam“: Roadmovie mit Rembetiko
Starke Frauen, schöne Bilder, gute Musik. Tony Gatlifs „Djam“ setzt in der griechischen Schuldenkrise auf den Widerstand des Rembetiko.
![Eine Frau sitzt am Wasser auf einer Parkbank Eine Frau sitzt am Wasser auf einer Parkbank](https://taz.de/picture/2687777/14/DJAM_02.jpeg)
Der französisch-algerische Regisseur Tony Gatlif macht Filme, die so wirken, als seien ihre Szenen zufällig im Vorbeigehen aufgenommen worden. Seine fragmentarische Erzählweise buchstabiert Dinge nicht aus, sondern deutet sie oft nur an; doch kann man sich beim Zuschauen in der Regel darauf verlassen, dass Bezüge, die zunächst unverständlich bleiben, sich später von selbst klären werden.
Seinen neuen Film widmet Gatlif, der es wie sonst kaum einer versteht, Musik in Filmerzählungen umzusetzen, dem Rembetiko: einem in Griechenland gepflegten traditionellen Musikstil, der als Sound der Hafenarbeiter und einfachen Leute entstand und griechisch-türkische Wurzeln hat. Gleichsam als Seele des Rembetiko stellt Gatlif eine eigensinnige junge Frau ins Zentrum: Djam (Daphné Patakia).
Djam ist eine Waise, als Tochter einer berühmten Rembetiko-Sängerin in Paris aufgewachsen. Nun lebt sie mit ihrem Onkel Kakourgos (Simon Abkarian), der auf der Insel Lesbos ein Touristen-Ausflugsboot betreibt. Doch seit der Flüchtlingskrise bleiben die Touristen aus, und ohnehin ist der Motor des Schiffs kaputt. Da es sich um ein altes russisches Fabrikat handelt, muss die defekte Treibstange nachgebaut werden. Dazu schickt Kakourgos Djam zu einem Schmied nach Istanbul.
Was folgt, ist ein Roadmovie mit viel Musik. In Istanbul liest Djam die junge Französin Avril (Maryne Cayon) auf, eine verlorene Seele, die eigentlich Flüchtlingen helfen wollte und nun selbst gestrandet ist. Zu Fuß – denn in Griechenland wird gestreikt – machen die beiden Frauen sich auf den Rückweg nach Lesbos.
„Djam“. Regie: Tony Gatlif. Mit Daphné Patakia, Simon Abkarian u. a. Frankreich/Griechenland/Türkei 2017, 97 Min.
Auf dem Weg haben sie allerlei Begegnungen: In einem Bahnhof, aus dem keine Züge fahren, verbringen sie eine Nacht gemeinsam mit anderen Musikern, die ebenfalls nicht weiterkommen. Man macht aus der Not eine Tugend und veranstaltet eine nächtliche Rembetiko-Session zwischen leeren Gleisen. Anderntags geraten die Reisenden zufällig in ein Familiendrama: Ein Mann will lebendig begraben werden, weil er die Hypothek auf sein Haus nicht mehr bezahlen kann. Später werden sie ihn noch einmal treffen: Mittlerweile hat er sich zur Emigration nach Norwegen entschlossen.
Ganz nebenbei sehr große Themen anreißen
Tony Gatlif setzt in seinem filmischen Mosaik Fragmente nebeneinander, von denen etliche von großer existenzieller Not handeln, andere von selbstverständlicher menschlicher Solidarität und sehr viele von der großen Kraft, die in der Musik liegt. Seine Erzählweise erlaubt es, ganz nebenbei sehr große Themen anzureißen (die Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise, die griechische Militärdiktatur), ohne dass der Film sich dabei zu viel Gepäck auflüde.
Seine Darsteller treten so beiläufig auf, als würden sie lediglich in ihrem alltäglichen Leben von der Kamera begleitet. Hauptdarstellerin Daphné Patakia als Djam agiert auch als Sängerin und Tänzerin sehr überzeugend. Und Tony Gatlif inszeniert die schöne junge Frau mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit gleich in der ersten Szene im kurzen Rock ohne Unterhose.
Bei jedem anderen Regisseur wäre das eine peinliche Altmännerfantasie. Bei Gatlif hat die Unverstelltheit, mit der Djam ihren Körper lebt, aber schon etwas Kultisches. Die Kamera beutet diese Frau nicht aus, sie sieht zu ihr auf: Denn Djam ist die auf die Erde herabgestiegene Göttin des Rembetiko.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen