Toleranzappell in Berlin: Henkel und Jesus und Allah
Bei einer Aktion für interreligiösen Dialog am Brandenburger Tor zeigt sich Frank Henkel besorgt - und erlebt interessante Kollisionen.
Die Szenerie: absurd. Eine chinesische Reisegruppe posiert. Kutschen warten. Ein Mann im perfekten Darth Vader-Kostüm bietet sich als Fotomotiv an. Und während Innensenator Frank Henkel (CDU) am Rande des Geschehens mantraartig seine Polithülsen absondert, von „gesellschaftlicher Toleranz“ spricht, von „friedlichem Zusammensein“ und, ebenfalls nicht weiter überraschend, von der größeren Polizeipräsenz auf Berlins Straßen, da passieren weiter vorn die weitaus interessanteren Dinge.
Wir befinden uns am Brandenburger Tor. Anlässlich der aktuellen Ereignisse rund um das antiislamische Video und die Angriffe auf Rabbiner Daniel Alter und den Generalsekretär des Zentralrates der Juden Stephan Kramer haben junge Berliner Muslime, Christen, Juden und Baha'i zu einer Aktion für interreligiösen Dialog und Toleranz aufgerufen. Eine gute Gelegenheit, sich als besorgter Politiker zu inszenieren – ein Ort aber auch, an dem es zu ebenso ulkigen wie vielsagenden Kollisionen kommen kann.
Vor einer Plakatwand, auf der lebensgroß Jugendliche verschiedener Konfessionen abgebildet sind, steht etwa ein junger Mann mit einer Kippa. Er fordert eine ältere Dame dazu auf, sich vor der Plakatwand fotografieren zu lassen – und sich damit als Teil einer offenen Stadt selbst darzustellen. Die Dame macht gern mit. Als sie den Aufdruck auf dem T-Shirt des jungen Mannes entdeckt, muss sie lachen und gratuliert ihm. Auf seinem Bauch zeigt ein großer Pfeil nach unten. Darüber steht: „Beschnitten and you know it.“
Ein anderer junger Mann stellt sich vor, er stammt aus einer achten Klasse der Willy-Brandt-Oberschule in Wedding. Seine Klasse hat gerade einen dreitägigen Religion-Workshop hinter sich gebracht. Nun sollen sich die Schüler ein wenig journalistisch ausprobieren. Der junge Mann tritt mutig auf einen Begleiter von Bischof Dröge zu. Er fragt ihn: „Stimmt es, dass Allah Jesus gerettet hat?“ Keine befriedigende Antwort. Nun versucht es der Junge bei Daniel Alter, der ebenfalls gekommen ist. Offen und anschaulich erzählt der Mann dem Jungen, was ihm Ende August widerfahren ist – dass seine siebenjährige Tochter bei ihm war, dass auch sie von den Männern beleidigt wurde, dass es weh tut, so ein gebrochenes Jochbein. Der Junge hört ganz genau zu. Danach flüstert er seinem Mitschüler ins Ohr: „Jetzt weiß ich, warum der hier ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!