Antisemitismus: Jetzt sind Vorbilder gefragt
Innenverwaltung und Jüdische Gemeinde wollen gemeinsam nachdenken, was man gegen Gewalt tun kann. Von den Tätern der letzten Übergriffe fehlt jede Spur.
Ein Rabbiner niedergeschlagen, eine Gruppe jüdischer Schülerinnen angepöbelt, eine jüdische Familie beschimpft: Nach den jüngsten Übergriffen auf Juden hat der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag antisemitische Übergriffe scharf verurteilt. Wie Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) ankündigte, werden Vertreter des Senats und der Jüdischen Gemeinde gemeinsam überlegen, was man gegen diese Form der Gewalt tun kann.
Krömer zufolge wurden von Januar bis Ende August 90 antisemitische Straftaten zur Anzeige gebracht. 84 Fälle seien Rechtsextremen zuzurechnen, weitere vier Straftaten wurden als politische Ausländerkriminalität eingestuft. Bislang habe die Polizei 16 Tatverdächtige ermittelt, berichtete der Staatssekretär. Im Vorjahreszeitraum zählte die Polizei 89 antisemitische Vorfälle. Aus den Zahlen an sich ergebe sich also keine nennenswerte Steigerung, sagte Krömer. „Aber jede Tat ist beschämend und verabscheuungswürdig.“
Im gesamten Jahr 2011 registrierte die Polizei 113 antisemitische Vorfälle. Bis auf einen Fall gingen alle auf das Konto von Rechtsextremen. Polizeichefin Margarete Koppers verwies in der Ausschusssitzung auf die Erfahrung, dass die Opfer in aller Regel Gewalttaten anzeigten. Das gelte aber nicht für Beleidigungen und andere Entgleisungen. „Da ist das Dunkelfeld groß.“
Die Ermittlungen gegen einen Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) wegen des Vorwurfs, Dienstgeheimnisse verraten zu haben, dauern an. Unter Verweis auf die Ermittlungen weigerte sich Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) Details zu nennen. Piraten und Grüne kritisierten das. "Die Polizei ist löchrig wie ein Schweitzer Käse" konstatierte Dirk Behrendt (Grüne).
Der LKA-Beamte steht im Verdacht, Informationen an die Medien oder an die "Hells Angels" bezüglich einer Razzia gegen die Rocker im Mai weitergegeben zu haben. Ende August war seine Wohnung und sein Arbeitsplatz durchsucht worden.
Freitagnacht ist ein Streifenwagen in Kreuzberg mit Steinen angegriffen worden. Vorausgegangen war laut Polizei ein Notruf "Hausfriedensbruch an der Möckernstraße". Auf dem Weg dorthin sei die Streife von fünf dunkel gekleideten Personen attackiert worden. Zwei Scheiben seien durchschlagen worden. Ein Beamter sei durch einen Stein an den Arm verletzt worden, der andere durch Glassplitter. Der amtierenden Polizeipräsidentin zufolge gibt es keine Anhaltspunkte auf die Täter. (taz)
Von den Jugendlichen, die Ende August in Friedenau den Rabbiner Daniel Alter zusammengeschlagen und seine siebenjährige Tochter bedroht haben, fehlt nach wie vor jede Spur. „Wir konnten bislang keinen Täter ermitteln“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Montag der taz. Gefahndet werde nach vier bis sechs jungen Männern vermutlich arabischer Herkunft. Zwei von ihnen sollen Alter mit Faustschlägen attackiert haben. Alter war offensichtlich zu ihrem Opfer geworden, weil er eine Kippa trug.
Am vergangenen Montag waren 13 Schülerinnen in Charlottenburg von Unbekannten beleidigt worden. Laut Krömer hätten die Jugendlichen die Mädchen als „Judentussen“ beschimpft und vor ihnen ausgespuckt. Und schließlich habe eine in Gesundbrunnen lebende jüdische Familie am vergangenen Donnerstag angezeigt, von arabischen Nachbarn als „Drecksjuden“ beschimpft worden zu sein.
Einigkeit herrschte im Innenausschuss darüber, dass die Bekämpfung des Antisemitismus nicht die alleinige Aufgabe der Polizei sein könne. Die gesamte Gesellschaft sei gefordert. Berlin sei eine Stadt der Vielfalt, sagte Staatssekretär Krömer, der den abwesenden Innensenator Frank Henkel (CDU) vertrat. „Wir brauchen positive Vorbilder“, so Krömer. Jeder Mensch müsse seine Religion ohne Angst leben können. Die zwei aktuellen Fälle, in denen Jugendliche die Täter waren, zeige, dass auf Jugendliche ein besonderes Augenmerk gerichtet werden müsse. Er freue sich sehr darüber, dass sich die muslimischen Verbände so aktiv für ein funktionierendes Miteinander einsetzten, sagte Krömer.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, regte an, bei der Plenarsitzung am kommenden Donnerstag einen gemeinsamen Entschließungsantrag einzubringen. In diesem sollten alle Parteien antisemitische Gewalt verurteilen.
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