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Töpfer kämpft für Systemkritik

Bundesregierung soll sich bei Umweltkonferenz in Rio selbstkritisch präsentieren/ Kohls nationales Vorbereitungskomitee mit Töpfer zufrieden/ Widerstand von Möllemann vielleicht zu stark  ■ Von B. Ulrich und H. Tenhagen

Berlin (taz) — Bundesumweltminister Töpfer (CDU) will das Bundeskabinett zur Systemkritik verpflichten. Die Bundesrepublik trage mit ihrer Wirtschaft massiv zur globalen Öko-Katastrophe bei. Nach einem Tag harter Diskussionen mit des Kanzlers Komitee zur Vorbereitung der UN-Umweltkonferenz in Rio will Töpfer bei seinen Kabinettskollegen für bundesdeutsche Selbstkritik auf der UN-Konferenz kämpfen. In der Einleitung des deutschen Berichts zur UN-Konferenz (UNCED) soll es jetzt heißen: „Nationale und globale Umweltprobleme zeigen, daß unser bisheriges Wachstumsmodell und das in den Industrieländern vorherrschende Wertesystem weder in den Industrieländern noch weltweit eine langfristig tragfähige Entwicklung ermöglichen.“

Zur Vorgeschichte: Kanzler Helmut Kohl hatte im Sommer 1991 ein Komitee aus 35 Verbandsvertretern und Experten eingesetzt, das die Regierung für die Konferenz in Rio beraten sollte. Zu den Beratern gehören auch die Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Deutscher Naturschutzring (DNR) und Grüne Liga. Ein erster Entwurf für den von der UNO verlangten Regierungsbericht war im Oktober in dem Gremium auf herbe Kritik gestoßen, insbesondere hatten die Umweltschützer das Fehlen wirklicher Selbstkritik moniert. Das Umweltministerium hatte daraufhin zugesagt, eine entsprechende Analyse nachzuliefern. Doch vor der Sitzung hieß es plötzlich, das „mea culpa“ dieser Analyse könne nicht mehr Teil des nationalen Berichtes werden. Zusätzlicher Affront: Den 230-Seiten-Regierungsbericht hatte die Bonner Bürokratie ohne kritischen Vorspann schon am letzten Freitag ressortabgestimmt.

Dabei hat es der Vorspann auch im konkreten in sich. Das Verursacherprinzip soll auf die internationale Verantwortung der Industrieländer im Energiesektor, beim Verkehr und in der Landwirtschaft angewandt werden. Für die von der Bundesregierung beschlossene Verringerung der CO2-Emmission um mindestens ein Viertel müssen sich die wahren Kosten des Wirtschaftens in den Preisen wiederfinden. Das bedeutet weitreichende Veränderungen des Lebensstils. Der Individualverkehr muß eingeschränkt, Fastfood und massiver Fleischkonsum dürften nicht mehr aufrechterhalten werden.

Komitee-Mitglied und BUND- Vorsitzender Hubert Weinzierl war nach der turbulenten Sitzung zufrieden. „Verglichen mit anderen Industrieländern, ständen wir mit einem solchen Bericht nicht schlecht da.“ Er hat aber Zweifel, daß sich Töpfer im Kabinett durchsetzen kann: „Es würde mich wundern.“ Bis dahin sind rund zwei Monate Zeit. Das Komitee und seine Mitarbeiter wollen solange an dem endgültigen Entwurf arbeiten. Erst am 11.2. soll der Nationale Bericht ins Kabinett.

Doch nicht nur beim Nationalen Bericht schlägt die Stunde der Wahrheit für die deutsche Umweltpolitik. Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) sperrt sich auf allen Ebenen gegen die von Töpfer angestrebte Vorreiterrolle der Bundesrepublik auf dem internationalen Umweltparkett. Schon im Oktober ließ er verlauten, auch nach sieben Jahren Aufschwung sei kein Geld für ökologische Alleingänge da. „Die Belastungsgrenze der deutschen Wirtschaft ist erreicht.“ Und erst am Wochenende ließ er ein neues Papier aus dem Wirtschaftsministerium durchsickern. Die deutschen CO2-Minderung bis 2005 werde entgegen den erklärten Zielen der Bundesregierung womöglich nur um 10 Prozent betragen. Dafür würde nach Berechnungen des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) allein der Wirtschaftseinbruch in der ehemaligen DDR ausreichen.

Möllemann bremst aber nicht nur daheim, sondern auch in Brüssel. Mit dem Hinweis auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft argumentiert er immer wieder für eine einheitliche (und harmlose) europäische Lösung. Vor allem die geplante EG-Energiesteuer, Kernstück der künftigen gemeinsamen Umweltpolitk, wird zum reichlich zahnlosen Tiger. Durch die geplanten zahllosen Ausnahmeregelungen werden gerade die Stromschlucker und Exportweltmeister in der Industrie von den Energieabgaben befreit. Für diese Industriezweige soll „die Anwendung des Null-Satzes“ gelten — keine Kosten also.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Stillhalten der Industrie in des Kanzlers Umweltkomitee nicht mehr ganz so erstaunlich aus. Beim Bundesverband der Deutschen Industrie spricht man leicht abschätzig von einen „Regierungsbericht“, der in Bonn erstellt werde. Die Industriekonzerne würden längst auf internationaler Ebene an gemeinsamen Positionen zur Rio-Konferenz arbeiten. Sorgen haben die Lobbyisten keine. „Die Weltklimavereinbarung wird wohl in Rio nicht unterzeichnet werden“, so Horst P. Sander vom BDI.

Töpfers Entscheidung vom Dienstag abend ist also erst ein kleiner Fortschritt. Denn selbst wenn er sich im Kabinett durchsetzt, könnte sich der Bericht immer noch als nur verspätete Weihnachtspredigt erweisen. Eine solche wird in Rio bestimmt niemand beeindrucken.

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