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TodesschussKein Krisendienst vorhanden

Nach den polizeilichen Schüssen auf einem verwirrten Mann in Hamburg erhebt der Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker schwere Vorwürfe. Psychisch Kranke seien keine Schwerverbrecher.

Hätten es wohl auch ohne psychologische Unterstützung und Beratung nicht anders gemacht: Beamte des Mobilen Einsatzkommando beraten über den Sturm einer Wohnung. Bild: dpa

Der Einsatz von Pfefferspray stoppt nicht den bekanntermaßen psychisch kranken Dirk P., der an einer schizoaffektiven Störung leidet. Ein Beamter macht panisch von seiner Schusswaffe Gebrauch, feuert drei Geschosse mit "mannstoppender Wirkung" auf den Angreifer. P. stirbt an den Folgen der Schussverletzung. So geschehen am zweiten Weihnachtstag in Hamburg-Ohlsdorf - es ist der zweite Fall in diesem Jahr in Hamburg, bei dem ein psychisch Kranker durch die umstrittenen Polizeigeschosse stirbt.

Die Streifenpolizisten waren sicherlich in dem Moment in eine Notwehrsituation geraten. "Es gibt keinen Grund von etwas anderem auszugehen", sagen die Ermittler der Mordkommission des Hamburger Landeskriminalamtes, die ihre Ergebnisse nun der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorlegen. Die Beamten standen im Flur der Wohnung Dirk P. gegenüber, nachdem sie die Tür eingetreten hatten. Er geht mit dem Messer auf sie los, nachdem er stundenlang randaliert hatte.

Für den Hamburger Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker eine unerträgliche Entwicklung. "Ein psychisch kranker Mensch ist ein Mensch, der Hilfe braucht - er ist kein Schwerverbrecher, dem der Staat bewaffnet gegenübertreten muss", kritisiert der Landesvorsitzende Hans-Joachim Meyer in einem Appell an den Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft. Er fordert die Schaffung einer besseren Notfallversorgung.

Lockere Pistole

Die Todesschüsse von Hamburg-Ohlsdorf sind kein Einzelfall:

Ein Randalierer entreißt im Mai 2009 einem Polizisten die Waffe. Ein Kollege erschießt den Mann.

Ein psychisch Kranker greift im März Polizisten mit dem Messer an. Er wird von sechs Schüssen tödlich getroffen.

Eine Routine-Festnahme in einem Auto endet im Juni 2007 im Fiasko. Ein Zivilfahnder erschießt einen unbewaffneten Scheckkartenbetrüger.

In den Rücken schießt Weihnachten 2002 ein Polizist einem unbewaffneten Einbrecher, der flüchten wollte. Er habe noch nie einen Einbrecher laufen lassen.

Auf der Flucht wird im Juli 2002 ein Mann von einem Parkhausdach geschossen.

Meyer stellt Fragen: "Wie viel menschliches Leid muss noch passieren, bis etwas geschieht? Warum verbarrikadiert sich ein psychisch kranker Mensch, lärmt in seiner Wohnung, bedroht aber niemanden, gilt sogar bei Nachbarn als friedlich?"

Die Antwort gibt er selbst: "Weil er Angst hat und sich bedroht fühlt." Doch die herbeigerufenen Polizei habe die Tür eingetreten. Meyer glaubt: "Es ist anzunehmen, dass sich so die Angst und das Bedrohungsgefühl des kranken Mannes steigern, er glaubt, sich gegen die Angreifer mit dem Messer verteidigen zu müssen, er wird erschossen."

In der Tat waren die Polizisten vor Ort an jenem Weihnachtstag auf sich allein gestellt. Spezielle auf solche Fälle ausgerichtete Vorschriften gebe es nicht, bestätigt Hamburgs Polizeisprecher Ralf Meyer. "Es gibt keine Richtlinien oder Dienstvorschriften. Das kann man nur vor Ort entscheiden." Doch weil die Ausbildung an der Polizeischule und Polizei-Uni nach Auffassung von Insidern immer schlechter werde, ist kaum ein Polizist für solche Situationen vorbereitet.

Ralf Meyer hält das Vorgehen der Beamten jedoch für gerechtfertigt. Es gebe jährlich 11.000 Fälle, bei denen Leute wegen Alkohol randalieren und die "unkalkulierbar" seien. Es habe eine Gefahrensituation darin bestanden, dass P. sich selbst gefährdet habe, sagt Ralf Meyer. Es wäre ein "ungutes Gefühl, draußen vor der Tür zu verharren", denn man könne "ihn ja in keinem Fall in der Wohnung lassen". Es sei natürlich auch in diesem Fall erwogen worden, den verwirrten Dirk P. durch eine Vertrauensperson zum Aufgeben zu bewegen. "Die Mutter war ja vor Ort, aber sie sagte, sie hätte keinen Zugang zu ihrem Sohn mehr." Sie habe auch niemand anders nennen können, der auf Dirk P. hätte beruhigend einwirken können. Einen Polizeipsychologen einzuschalten, sei als erfolglos eingeschätzt worden.

Für Hans-Joachim Meyer vom Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker ist unverständlich, dass Polizisten in dieser Situation ohne fachpsychiatrische Unterstützung allein gelassen, stattdessen nur der Einsatz des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) erwogen worden sei. "Warum gibt es keinen Krisendienst, der versuchen könnte, Rat und fachliche Hilfe zu leisten", moniert er.

Für SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel wird der Tod von Dirk P. daher ein parlamentarische Nachspiel haben. Es müsse geklärt werden, ob den Polizeibeamten alle behördlichen und gesundheitlichen Informationen vorlagen, als sie in den Einsatz gegangen seien. "Dies müsse für die Zukunft aufgearbeitet werden", so Dressel, "um alle Chancen zu nutzen, solche tragischen Eskalationen zu vermeiden".

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7 Kommentare

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  • T
    Thomas

    Interessant ist zu sehen, wie das LKA in diesem Fall ermittelt: es geht von Notwehr aus, alles andere ist für das LKA wohl undenkbar, weil die Täter Polizisten sind.

     

    Dabei gibt es überhaupt keinen Hinweis auf eine Notwehrhandlung, schliesslich haben sich die Polizisten bewusst in die Situation gebracht, die zu den Todesschüssen geführt hat.

     

    Wenn sich auf der Reeperbahn zwei Rüpel eine Prügelei liefern und am Ende einer tot liegen bleibt, dann geht die Polizei ja auch nicht von Notwehr aus und vor Gericht wird sich der Übriggebliebene auch nicht daraufhin herausreden können.

     

    Der Mann war laut Artikel allein in der Wohnung, die Polizei von Angehörigen des Randalierenden zur Hilfe gerufen worden. Es bestand deswegen keine Notwendigkeit, gewaltsam in die Wohnung einzudringen. Deswegen ist es schlicht eine Frechheit, wenn das LKA in diesem Fall von Notwehr ausgeht. Eine abschliessende Beurteilung soll das LKA doch bitte den Gerichten überlassen.

     

    Also für mich riecht das mal wieder sehr nach Vertuschung.

  • V
    vantast

    Der Mann hatte die Polizei als Bedrohung gesehen, was ich nachvollziehen kann. Sie kommen laut polternd wie Marsianer verkleidet an und brechen ohne Verhandlung die Tür auf. Vermutlich hatten sie sich nicht über den Mann informiert, das wäre aber das erste zu tun, es bestand kein Zeitdruck.

    Das Messer ist eine Nahkampfwaffe, in einiger Entfernung keine Gefahr für Profis. Oder waren das keine Profis? Hat Kommissar Schreiber den Einsatz geleitet?

    Während der RAF-Hysterie wurde ein nackter Mann von hinten erschossen, sie nannten das "putative Notwehr". Ein schönes Wort läßt sich immer finden.

  • W
    Weihnachtsfrau

    Erstmal was Technisches.

    Zu formulieren, ein Geschoß hätte "mannstoppende Wirkung", ist, als würde man sagen, ein Auto hätte "Geschwindigkeit". Jede Munitionn hat "mannstoppende Wirkung", manche mehr, manche weniger. Die PEP (Polizei-Eninsatz-Patrone) hat mehr davon, also höheren Wirkungsgrad im Ziel. Da sie den Großteil Ihrer Energie im Ziel abgibt, ist die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Durchschüsse und Querschläger deutlich verringert.

    Sinn der Sache ist, daß das auf was geschossen wird - und sonst nichts - den Schaden abbekommt.

    Also bitte liebe taz, etwas weniger reißerisch mit Fachbegriffen umgehen.

     

    Was man mit der Munition dann anstellt ist freilich eine ganz andere Frage.

    Wenn man psychiatrisch arbeitende Menschen mit Polizisten zusammenbringen könnte, wäre viel geholfen. Man muß sich ja nur mal anschauen, wen die Polizei so alles im Reality-TV rumlaufen und agieren läßt. Die zuständigen Polizeiinstanzen würden der Ausstrahlung ja nicht zustimmen, wenn sie nicht der Meinung wären, daß das Handeln der BeamtInnen ok wäre. Aber das sind ja nun vielfach gestreßte, prollige Dummbrote in Uniform, die sich nicht mehr zu helfen wissen, wenn Ihre Uniform zur Autoritätserhaltung nicht mehr ausreicht.

  • I
    Irritiert

    Irgendwie komm ich nicht dahinter: wie kann es sein, dass die Polizei gerufen wird um einen Menschen vor sich selbst zu schützen ihn dann aber erschießt?

    Diese Frage habe ich mir schon bei dem jungen Studenten aus Regensburg gestellt und die drängt sich mir nun wieder auf.

     

    Wie kann es sein, dass die Polizei gerufen wird, weil ein Mensch mutmaßliche Tötungsabsichten gegen SICH SELBST hat? Die Polizei wird doch gerufen um diesen Menschen davon abzuhalten oder vor sich selbst zu schützen, oder versteh ich da was falsch?

    Wie kann es also dann sein, dass anstelle eines Polizeipsychologen unsichere BePo-Beamten oder Streifenpolizisten vor Ort sind? Es ging ja wohl schon aus dem Notruf hervor, dass der Mann keine Bedrohung für andere, sondern nur für sich darstellt.

     

    Das will mir einfach nicht in den Kopf....

  • MF
    Mi Fu

    Mit starken Worten hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, die chinesische Regierung wegen der Hinrichtung des Briten Akmal Shaikh kritisiert.

    Angeblich war Akmal Shaik phsychisch krank. In zwei Instanzen vor Gericht gab es vom Angeklagten oder der Verteidigung keinen Hinweis auf eine phychische Erkrankung.

     

    Dirk P. war definitiv phsychisch krank. Er hat keine Straftat begangen, er hatte keinen Verteidiger, er hatte keine Chance auf ein Verfahren vor Gericht. Er wurde vom Staat ermordet.

     

    Wo ist die Stellungnahme von Hr. Nooke?

  • S
    Stefan

    Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich bei der bundesdeutschen Polizei mittlerweile die Devise durchgesetzt hat: Erst schießen, dann fragen!

     

    Gewiss mag das nicht in allen Fällen so sein, gelten unsere Beamte doch als sehr gut an der Waffe ausgebildet im Gegensatz zu manch anderen Ländern. Aber die Polizei tut sich doch selbst keinen Gefallen damit, dass sich - augenscheinlich - Fälle immer mehr häufen, in denen Notwehr-Situationen mit Schusswaffengewalt gelöst und dabei Menschen getötet werden, die vermutlich weniger gefährlich waren, als die Polizisten es eingeschätzt haben. Und sie tut sich auch keinen Gefallen damit, dass sie - wie jüngst in Bayern - solche Fälle nicht ordentlich vor einem Gericht verhandelt. Hier wären ebenso die Staatsanwaltschaften gefragt.

     

    Auch wenn solche Fälle letztlich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften stattfinden, sollten die Behörden darum bemüht sein, zumindest das Gefühl von Gerechtigkeit zu vermitteln anstatt von vornherein jede Schuld von sich zu weisen. Sonst braucht man sich kaum wundern, wenn die Gewalt gegen Polizisten immer weiter zunimmt. Wer ein Bild von sich in der Öffentlichkeit zeichnet, das immer weniger mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger zu tun hat, muss mit Resonanz rechnen. Es ist doch heuchlerisch, wenn man seitens der Politik hört, wie brutal doch damals die DDR-Polizei gegen Demonstranten vorgegangen ist, wo alte Menschen und Schwangere mit Knüppeln geschlagen wurden. Denn gleichzeitig sehen wir in beinahe jeder Berichterstattung über Großdemonstrationen ganz ähnliche Bilder - aber mit BRD-Beamten, nicht mit Volkspolizisten.

  • KK
    Klaus Keller

    Muß man deswegen gleich schießen?

    hat es die Polizei dort schon einmal mit Diensthunden zur Messerattackenabwehr versucht?

    Manchmal hilft sogar ein Eimer kaltes Wasser vor dem Zugriff.

     

    ich kann mir nicht helfen aber irgenwie klingt das verhalten des psychisch Kranken ziemlich normal.

     

    Zu schießen ist das gestörte.

     

    klaus keller hanau