: Tod ohne Erkenntnis
Jerry Ciccorittis „Life before this“ dreht die Zeit vor dem Sterben zurück (Panorma)
Das Schöne am Kino ist, dass es einem die Möglichkeit gibt, in die Zukunft zu blicken. Das weniger Schöne daran: Meistens erzählt es dabei von Dingen, von denen man nicht weiß, ob man sie im richtigen Leben im Voraus gerne wissen würde oder nicht. Denn könnte das Leben nicht viel leichter sein, wüsste man, was die Zukunft bringt? Oder wird es im Gegenteil nicht noch viel komplizierter?
Auch Jerry Ciccorittis leicht elegischer Film „The Life before this“ weiß auf diese Fragen keine vernünftigen Antworten. Er handelt davon, wie unausweichlich manche Dinge passieren, wie wenig sie beeinflusst werden können, und warum das eigentlich auch seine guten Seiten hat. Zu Beginn sieht man, wie sich Menschen in einem Café über den Weg laufen – so wie es an x-beliebigen Orten überall auf der Welt tagtäglich vorkommt. Der Zufall hat sie hier zusammengeführt, und der Zufall will es nun, dass sich in diesem Moment zwei Männer nach einem missglückten Raubüberfall hierhin flüchten und wild um sich schießen.
Einige Cafébesucher sterben, einige werden schwer verletzt. Ciccoritti dreht im Film nun die Zeit um ein paar Stunden zurück und zeigt, was diese Menschen an dem eigentlich normalen Tag tun, denken und fühlen, und was sie letztendlich ins Café führt.
Sheena (Catherine O’Hara) verbringt den Tag bei ihrer Arbeit in einem Geschäft für Brautkleider. Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie abends zu einer Verabredung mit einem Mann gehen soll, den sie über eine Kontaktanzeige kennen gelernt hat. Der Rechtsanwalt Jake (Joe Pantiliono) wiederum hat eine Menge Geld verloren und muss seinen Bruder, mit dem er aufgrund dessen Lebenswandels keinen Kontakt mehr hat, um Hilfe bitten. Und der einsame Kammerjäger Brian (Stephen Rea) sucht wie jeden Tag irgendwelche Kunden auf und lernt dabei eine Frau kennen, der er vom tragischen Unglück seiner Tochter erzählt.
In Robert-Altman-Manier blättert Ciccoritti ihr Leben und das einiger anderer auf. Die Schwere und Tragik ihres Schicksals ist aber in nichts mit ihrem Tod vergleichbar, den wir als Zuschauer zu Beginn gesehen haben. Würden sie nun wissen, dass sie abends in diesem Café sterben, sie hätten sich nicht auf den Weg dorthin gemacht. Eine Wendung hätte ihr Leben trotzdem nicht genommen. Doch Ciccoritti erzählt auch davon, dass es nicht viel nützt, ein Sprüchlein wie „Im Angesicht des Todes ist alles nichts“ von Thomas Bernhard wortwörtlich zu nehmen. Ein Leben lässt sich damit nicht leben. Und das ist ja eigentlich auch gut so. Gerrit Bartels
„The Life before this“. Regie: Jerry Ciccoritti. Mit Catherine O’Hara, Sarah Polley, Stephen Rea u. a. , Kanada, 92 Min; heute 17 Uhr, International
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