Tod in Gewahrsam verschwiegen: Das Polizeiproblem ist überall
In Wuppertaler Polizeigewahrsam ist ein Mann ums Leben gekommen. Zu lange erfuhr davon niemand.
E in junger Mann wird nachts festgehalten, mehrere Polizist*innen drücken seinen Körper auf den nassen Asphalt. Im Hintergrund sind Sirenen zu hören, das Blaulicht der parkenden Polizeiwagen leuchtet. Eine Person filmt die Szene mit ihrem Handy. Sie fleht weinend die Polizei an: „Bitte, Bitte! Er ist ein Kind!“ Später wird der junge Mann in Polizeigewahrsam sterben. Es handelt sich um den 24-jährigen Giórgou Z. Warum musste er sterben?
Die Verantwortlichen bei der Polizei Wuppertal, im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ließen es zunächst gar nicht zu, dass diese Frage gestellt wird. Denn vom Tod des Giórgou Z. erfuhr die Öffentlichkeit tagelang nichts. Erst Recherchen von antifaschistischen Gruppen brachten den Fall ans Licht. Und es stellt sich nun eine ganz andere Frage: Warum haben die Behörden so lange geschwiegen?
Sechs Tage nach dem Tod veröffentlichten Polizei und Staatsanwaltschaft eine gemeinsame Pressemitteilung. Das ist deswegen erstaunlich, weil die Polizei gerne Pressemitteilungen über Petitessen verfasst. Hier sahen die Verantwortlichen zunächst aber keinen Grund, zu informieren. Die Lautstärke dieses tagelangen Schweigens war für viele unerträglich. Journalist*innen, die zum Thema recherchieren, waren jedoch nicht überrascht. Denn es herrscht in Deutschland eine Omerta beim Thema mutmaßliche Polizeigewalt, die nur durch öffentlichen Druck und journalistische Recherche durchbrochen werden kann.
In der Pressemitteilung führt die Polizei einen vorausgegangenen Streit unter Geschwistern an, Giórgou Z. wird als „renitent“ bezeichnet, er soll unter Drogeneinfluss gestanden und sich gegen seine Festnahme gewehrt haben. Bei einer Blutentnahme in Polizeigewahrsam sei er dann in Ohnmacht gefallen und später ohne „ein todesursächliches Fremdverschulden“ verstorben. Nur: Viele Menschen glauben diese Darstellung nicht. Weil sie von der Polizei selbst kommt. Spät. Nach massiver Kritik. Schon wieder. Denn es ist nicht das erste Mal.
Deswegen braucht es unabhängige Instanzen, die die Polizeiarbeit in den Bundesländern und auf Bundesebene überwachen, uneingeschränkten Zugang zu allen Akten haben und gegen Polizist*innen bei Fehlverhalten, Machtmissbrauch und Vertuschung ermitteln können. Das System der Selbstüberwachung funktioniert nicht und ist ein wesentlicher Grund für die Polarisierung in der Gesellschaft, zwischen der Staatsgewalt und den Bürger*innen.
Ein Satz in der späten Polizeimeldung bringt das Problem auf den Punkt: „Ein […] eingeleitetes Todesermittlungsverfahren wird aus Neutralitätsgründen durch das Polizeipräsidium Hagen geführt.“ Nicht nur in Wuppertal tun sie so, als wären ihre Kolleg*innen 30 Kilometer weiter neutral und imstande, irgendetwas unvoreingenommen aufzuarbeiten. Das Polizeiproblem ist überall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag