Tod im Hamburger Untersuchungsgefängnis: Suizid in U-Haft wirft Fragen auf
Ein mutmaßlicher Kleindealer hat sich in Haft das Leben genommen. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall erledigt, nicht aber für die Hinterbliebenen.
Der 21-jährige J., der aus Guinea-Bissau nach Deutschland geflohen war, wurde am 15. Januar nahe der Reeperbahn festgenommen. Die Polizei warf ihm vor, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. Sie fand allerdings nur 1,65 Gramm Marihuana – eine Menge, die als „Eigenbedarf“ gilt und in der Regel nicht zur Anzeige führt. Anders bei J., der in Untersuchungshaft musste.
Gegen J. seien damals bereits Ermittlungen wegen Betäubungsmittelbesitzes im Gange gewesen, so die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Nana Frommbach. Der Haftrichter habe Untersuchungshaft angeordnet, weil laut seiner Einschätzung Fluchtgefahr bestanden habe.
Von Fluchtgefahr gehen Haftrichter und die Staatsanwaltschaft immer dann aus, wenn der Beschuldigte Familie oder andere Verbindungen im Ausland hat – bei Geflüchteten ist dies naturgemäß der Fall.
„Man kann diesbezüglich durchaus von einer rassistischen Struktur sprechen“, sagt der Hamburger Strafverteidiger Benjamin Tachau. Die Haftbegründung der „Fluchtgefahr“ werde exzessiv auf Ausländer angewendet. Zudem drohten Geflüchteten zum Teil exorbitante Strafen, wenn sie mit einer geringen Menge Drogen erwischt werden, so Tachau. Da sie meistens keine Arbeitserlaubnis hätten, ginge die Staatsanwaltschaft auch bei geringen Mengen Betäubungsmittel von gewerbsmäßigem Handel aus.
Die Staatsanwaltschaft hat die Akte Diabi J. bereits geschlossen. Für die Hinterbliebenen ist der Fall aber noch nicht geklärt. Ein enger Freund des Verstorbenen beschreibt J. als positiven Menschen, der es immer verstanden habe, andere zum Lachen zu bringen. Ein anderer fragt: „Was muss passieren, damit ein so fröhlicher Mensch so zur Verzweiflung gebracht wird, dass er sich umbringt?“
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