piwik no script img

EU-Wahlen beginnen in den NiederlandenIdeenlos auf vier mal drei Meter

In den Niederlanden plakatieren die Parteien nicht einzeln, sondern allesamt an großen Stellwänden. Wohl auch deshalb ist die EU-Wahl kaum präsent.

Alle auf einem Plakat: Wahlwerbung für dei Europawahl am 6. Juni in den Niederlanden Foto: Richard Wareham/imago

L auwarm wie dieser windige Frühling sind sie, die Wahlplakate! Das der Christdemokraten zeigt ihren Spitzenkandidaten, Tom Berendsen. Das der Freiheitspartei Geert Wilders, der zwar den letzten Listenplatz belegt, aber immerhin kennen ihn alle. Auch daneben ist Einfallslosigkeit statt Inhalt Trumpf: „Wählt D66!“, rufen einem die pro-europäischen Liberalen zu. Gleich daneben „Wählt FvD!“ die Alt Right-lastigen Putinfans des Forum voor Democratie. Immerhin die calvinistischen Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen von der Staatskundig Gereformeerde Partij waren kreativ: „Wählt christlich, bremst Europa!“

Dass alle diese Slogans nebeneinander bewundert werden können, liegt an der niederländischen Art des Plakatierens. Auf kommunalen Werbetafeln, etwa vier mal drei Meter, sind die Standard-Poster aller 20 Parteien angeordnet, immer die gleichen Motive in der gleichen Reihenfolge. Nicht nur anlässlich der EU-Wahlen ist das so, bei denen das Gründungsmitglied von Montanunion und EWG traditionell Donnerstags den Anfang macht, sondern bei allen Wahlen. Die Tafeln stehen auf Plätzen oder an großen Straßen, eine vor einem Eck-Café im Westen Amsterdams, auf dem Weg zu einer der Schwimm-Stellen am Fluss.

„Die fällt wirklich ins Auge. Die Leute gucken darauf“, sagt der Barmann, während er meinen Kaffee macht. Es ist halb sechs abends, da fährt man in diesem frühen Land zum Abendessen nach Hause. Fahrräder schießen an der Tafel vorbei, die einen Meter über den Köpfen hängt, Pas­san­t*in­nen zuckeln darunter durch, aber niemand nimmt davon Notiz. Liegt es daran, dass EU-Wahlen noch immer nicht sonderlich präsent sind in der Öffentlichkeit? Andererseits: die Wahlbeteiligung steigt seit 2014 wieder, letztes Mal lag sie mit knapp 42 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1989.

Der Mann am Tisch hinter mir nimmt die Tafel durchaus wahr. Laurens Hessels, so stellt er sich vor, genießt ein Vorabend-Bier und eine Zigarette und findet die EU-Wahlen „wichtiger, als den meisten Leuten klar ist“. Warum? „Weil es um supra-nationale Fragen geht: Asylpolitik, Sicherheit, Nachhaltigkeit.“

Verliebt in Berlin

Keines dieser Themen findet sich auf den Plakaten wieder. Was Laurens sonst noch interessiert, ist, dass eine Berliner Zeitung über dieses Thema berichtet. „Berlin ist meine Lieblingsstadt“, sagt er. Als sei es gestern gewesen, berichtet er von einer „wunderschönen, rothaarigen Grenzbeamtin“, an der vorbei er einst in die DDR einreiste.

Mein Kaffee ist leer, ein Freund ruft an. Die Schwimm-Pläne werden umgeworfen. Wir treffen uns an einem Kanal im Norden der Stadt. Am Ufer Wiesen, Holzstege und freistehende Häuser, Bullerbü auf niederländisch. Im Wasser passiere ich eine EU-Fahne. Die hing hier noch nie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Daraus hätte man mehr machen können als einen privaten Reisebericht mit ein wenig anderem eingestreut.



    Ja, wie früher im deutschen Dorf auf dem Brettchen gibt es die eine Stellwand mit allen Parteiplaketen drauf, inzwischen auch zusammengefasst, dadurch wäre auch echt nicht mehr rasch lesbar als ein "Stem SP". Die Niederländer haben ihre landesweite Wahl erst kurz hinter sich, da ist die eigene Regierungsbildung das Spannende. Auch als Protestwahl kann die Europawahl also noch nicht dienen.



    Nebenbei: Amsterdam ist sicher kein Bullerbü. Zwar grünlinks wählend, halbwegs fahrradfreundlich, aber durch die Steuermodell-Expats und Geldwäschekäufer kaum mehr zu bezahlen für Normalsterbliche und absehbar auch an erwähnten Rändern luxuszugebaut.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Ich beneide die Holländer dafür, das ihnen die (sinnentleerte) Umweltverschmutzung deutscher Wahlplakate erspart bleibt.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Ich finde die teuer gemachten Menschenfotos ohne echten Inhalt grauenhaft (Union, FDP-Dame, BSW-Dame, SPD-Kanzler, einige der grünen Plakate, die zu "Sicherheit" abrutschten). Die ADi-Plakate könnten ganz weg. Die Partei-Plakate sind auch nicht mehr so witzig, die von Volt Spätdada.

      Und doch könnten es auch Plakate sein, die die Wahlbeteiligung auf ein gutes Niveau bringen?

      Wie gesagt, in NL sind so beinahe null Argumente mehr auf den Plakaten. Und ich bin vom Stamme derjenigen, die Argumente und transparente Werte wollen.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Mit Ausnahme der Umweltverschmutzung wollte ich das auch schreiben. Jetzt hängen an allen Laternen die Plakate. Ich meine Wahlplakate waren noch nie inhaltsreich. Aber dieses Jahr ist es wirklich unterirdisch nichtssagend.

  • "Dass alle diese Slogans nebeneinander bewundert werden können, liegt an der niederländischen Art des Plakatierens. Auf kommunalen Werbetafeln, etwa vier mal drei Meter, sind die Standard-Poster aller 20 Parteien angeordnet, immer die gleichen Motive in der gleichen Reihenfolge."



    Das wäre doch ein gute Idee die man übernehmen könnte 🤔



    Zentral, auf wenige markante Orte beschränkt - und alle nebeneinander. Klingt deutlich besser als hierzulande, wo keine Straßenlaterne ohne Plakate bleibt und spätestens nach jeder fünften Laterne sich die Plakate sowieso wiederholen...



    Deutlich weniger Müll 🗑