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Tobias Kannler findet leere Räume in einer vollen GroßstadtEin halbes Haus in einem bierlosen Biergarten

Mitten in Friedrichshain, wo wie in der ganzen Stadt die Wohnungsnot wächst, die Gentrifizierung verdrängt und ein Mietendeckel von einigen gefürchtet und von anderen herbeigesehnt wird, steht an der Hausnummer 54 der ewig langen Landsberger Allee eine leere Brauerei. Gebraut wird hier schon lange nichts mehr, aber der Komplex aus mehreren Backsteingebäuden ist immer noch ein auffälliger Koloss, mit 200 Jahren auf dem Buckel. Ein Blick genügt, um die zerbrochenen Fenster und das löchrige Dach der historischen Gebäude zu sehen. Am Rande des Geländes, zwischen Büschen, Bäumen und Unkraut, wo vor Jahren einmal der Biergarten gewesen sein muss, steht nun ein weiterer kleiner Backsteinbau.

In dem halben Häuschen, das zur Straße hin offen ist, sitzt Gustav Kleinschmidt von der Künstlergruppe LA 54, die zuletzt durch fünf begehbare Stahlblöcke vor ebenjener Brauerei von sich hören machte. Das bewohnbare Camp aus rot angestrichenen Metallwürfeln auf dem Bürgersteig war ein erster Protest gegen den anhaltenden Leerstand auf dem Gelände. Das neue Projekt mit dem einfachen Titel „Das Haus“ macht genau da weiter, wo die „Rote Block Kolonie“ aufgehört hat. Denn an der Situation des verfallenden Brauereikomplexes, auf dem laut einer mündlichen Vereinbarung zwischen Bezirk, Eigentümer und Kunstkollektiv eigentlich Sozialwohnungen, eine Kita und ein Kunstverein entstehen sollen, hat sich zwischendurch nichts geändert. Ein Vertrag für die Umnutzung wurde vom Besitzer nie unterschrieben.

Nur der Besitzer ändert sich

„Seit letztem Dezember haben wir nichts mehr von den Eigentümern gehört“, so Kleinschmidt. Sieben Jahre stünden die Gebäude nun schon leer. Das Einzige, was sich in dieser Zeit verändert habe, seien die Besitzer. Die Denkmalschutzbehörde soll diese bereits darauf angesprochen haben, in welch miserablem Zustand sich der Gebäudekomplex befände. Einzige Folge: im Innenhof stehen nun Zäune, die einsturzgefährdete Bereiche markieren.

Als Protest steht jetzt das Backsteinhäuschen da. Steine und Dachstuhl stammen laut Kleinschmidt von einer Ruine in Mittenwalde, die ebenso alt wie die Brauerei ist. Doch „das Haus“ steht nicht einfach leer neben seinem großen Bruder. Innen hat sich Kleinschmidt ein Büro eingerichtet, das er „Ministerium für Untergrund“ nennt. Von hier aus organisiert er zahlreiche Kunstveranstaltungen, die ab Ende Juni in der besetzten ehemaligen Trinkhalle gleich neben dem Biergarten stattfinden sollen – wenn dort schon kein Bier mehr gebraut wird, dann soll sich wenigstens die Kunst ausleben können!

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