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Tischtennisstars auf ReisenWenn es um Millimeter und Tausende von Kilometern geht

Der Tischtenniszirkus bürdet seinen Profispielern mittlerweile ein gewaltiges Reisepensum auf. Die einen reizt, die anderen nervt das.

Sportleralltag: Mit den Koffern zum nächsten Wettkampf unterwegs Foto: imago

E rst London, dann Montpellier. Buenos Aires, dann Hongkong oder Macao, leider gibt es keinen Direktflug. Manchmal auch Kolbermoor, dann Macao, dann, sagen wir, Kopenhagen und im Anschluss Mühlhausen, und zwar nicht das in Frankreich. Sportler kommen rum, Sportlerinnen nicht minder, sie ziehen ihre Rollsporttaschen durch die Flughäfen und Hotelfoyers und ich sitze zu Hause und schaue mir den an die Reisen anschließenden Sport dann im Netz an und die Fotos von den Reiseorten bei Instagram.

Ich habe den Satz schon einmal zitiert, leider weiß ich nicht mehr, wo, und auch nicht, von wem er ursprünglich stammt: Je erfolgreicher man ist, desto seltener ist man zu Hause. Hana Matelovà, tschechische Nationalspielerin im Tischtennis und nicht zu verwechseln mit Hana Mandlikova, der ehemaligen tschechischen Tennisspielerin, hat vom Leben aus dem Koffer nach gut 15 Jahren genug. Weiterer Erfolg egal, Zuhause wichtiger, so könnte man das auf den Punkt bringen. „Wir verbringen das halbe Jahr am Flughafen, im Flugzeug, in Hotels“, wird sie auf mytischtennis.de zitiert. „Und das ist etwas, was ich nicht mehr möchte. Ich will mehr Zeit zu Hause mit der Familie verbringen und etwas Neues beginnen.“ Dann folgt der Satz: Schon bald wird sie im Unternehmen ihrer Familie in der Papierindustrie anfangen. Ob sie da auf das richtige Pferd setzt?

Benedikt Duda, derzeit bester deutscher Tischtennisspieler, setzt jetzt ähnlich wie Matelovà auf Veränderung. Allerdings anders, gegenteilig: Er wird noch eine Saison oder sogar nur eine halbe Bundesliga spielen und sich dann auf die Fernreisen konzentrieren. Und das trotz Frau und Kind! Nie wieder Grenzau! Man muss halt Prios setzen.

Einige Zumutungen

In Montpellier, wo jetzt die Woche die WTT Champions stattfinden, zum vorletzten Mal in diesem Jahr, trifft er in der ersten Runde auf Nationalteamkollege Dang Qiu. Qiu kommt frisch aus London, am Sonntag hat er überraschend mit einer taktischen Meisterleistung den Japaner Tomokazu Harimoto geschlagen und damit das Turnier gewonnen, jetzt droht ihm schlappe 1.191 Kilometer entfernt zwei, drei Tage später eine Erstrundenniederlage gegen Duda, der von diesen Erstrundenniederlagen auch schon ein paar erlitten hat – seinem Bekunden nach der Vielfliegerei wegen.

War es nicht sogar er, der verzweifelt versucht hat, von Buenos Aires nach China oder Japan zu kommen und dann wurde erstmal sein Flug wegen Wetter gestrichen? Solche Geschichten haben sie alle auf Lager.

Es ist tatsächlich viel, was der weiter wuchernde Tischtenniszirkus seinen Profis inzwischen so zumutet. Andererseits sehen wir auf den besagten sozialen Kanälen ein ausgelassenes deutsches Damenteam im kroatischen Zadar in Schlapfen und weißen Hotelbademänteln ins Adriatische Meer ziehen, während wir zu Hause bereits die Heizung anmachen. Ja, sie hatten was zu feiern! Und schön, dass sie – als frische Europameisterinnen – uns daran teilhaben lassen und nicht nur wie Schulkinder bei der Mittelprüfung Pokal, Selfie und ab hinter die Kulissen. Da fragt man sich schon manchmal, was die Motivation sein soll, wenn das alles ist an Feierei. So Fußballer, die lassen es wenigstens richtig krachen, wenn sie mal die Hand am Gral haben.

Und ja, natürlich ist das alles auch einfach der Neid. In Umkehrung bedeutet der Satz von oben natürlich auch: Je erfolgloser, desto öfter zu Hause, oder: Oft zu Hause heißt ziemlich erfolglos.

Immerhin darf ich demnächst nach Frankfurt mit dem Zug. Dann fahre ich nämlich auch zum nächsten und letzten WTT Champions Turnier des Jahres. Hotelzimmer wird mir sogar gestellt, ich muss im Gegenzug nur eine Stadtführung mitmachen und was Gutes über das Stadtbild schreiben. Krieg ich hin. Ich freue mich schon.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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