piwik no script img

Tiny Forest in BerlinEin Experiment aus Bäumen

Berlins erster öffentlicher „Tiny Forest“ entsteht am Rand von Moabit. Zu beobachten, wie ein urbaner Miniwald sich entwickelt, ist Teil des Projekts.

Der Wald kommt noch: Simone Grünwald vor dem künftigen Tiny Forest im Moabiter Stadtgarten Foto: C. Prößer

Berlin taz | In der Nähe des Westhafens, zwischen Großmärkten und Autowerkstätten, liegt der „Moabiter Stadtgarten“, eine öffentliche Grünanlage auf dem Gelände des einstigen Moabiter Güterbahnhofs. Hinter dem Bahnhofsgebäude aus Klinker mit einer modernen Ergänzung aus Glas und Stahl, das heute das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) beherbergt, steigt das Gelände leicht an und endet an einer Mauer – dahinter liegen die viel befahrene Erna-Samuel-Straße und der S-Bahn-Ring.

Der Kinderspielplatz auf der einen Seite der Gebäude hat schon bessere Tage gesehen. Die Kletterlandschaft aus kistenartigen Gebilden, die an die Geschichte des Ortes als Umschlagplatz für Waren erinnern soll, ist baufällig und abgesperrt. Auf der anderen Seite sieht es deutlich freundlicher aus: Hier befindet sich der bunt zusammengewürfelte „Bürger*innengarten“ der NaturFreunde Berlin mit gemeinschaftlich bewirtschafteten Parzellen.

Gleich daneben ist eine runde Fläche mit hölzernen Staketenzäunen abgezirkelt, der Boden darin mit Pflöcken und Schnüren in Quadrate unterteilt. Viel mehr gibt es nicht zu sehen – noch nicht: An diesem Samstag soll hier einer der ersten öffentlichen „Tiny Forests“ Berlins gepflanzt werden. Ein Miniaturwald, den man entspannt in zwei Minuten umschreiten kann, in der Mitte eine winzige, mit Rindenmulch bedeckte Lichtung. Er soll die lokale Biodiversität erhöhen und einen Beitrag zur Klimaanpassung leisten, etwa zur Kühlung der Umgebung in der Sommerhitze.

„Pro Quadrat werden wir neun Setzlinge pflanzen, insgesamt über 400“, sagt Simone Grünwald vom Verein Kiezwald, die mit ihren beiden Mitstreiterinnen Hanna Potthast und Kristina Schmygarjew den Tiny Forest im Stadtgarten entwickelt. 25 verschiedene Arten sind es, darunter Erle, Buche, Eiche und Esche, Weißdorn, Schneeball und Holunder. Geliefert werden die Setzlinge von zwei Baumschulen aus der Region, in den Boden bringen sie AnwohnerInnen, aber auch SchülerInnen der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule gleich nebenan.

Schon im April hatten Freiwillige auf der Fläche als Gründüngung schnell wachsende einjährige Pflanzen ausgesät, die den Boden mit Stickstoff angereichert haben. Zum Abschluss der Pflanzaktion am Samstag wird alles gut gewässert und eine dicke Mulchschicht aus Laub und Stroh zwischen den Setzlingen ausgebracht. Ab dann soll sich alles im Grunde von selbst entwickeln – auch wenn behutsame Eingriffe nicht ausgeschlossen sind.

Nur leichte Pflege nötig

„Die ersten drei Jahre muss der Wald leicht gepflegt werden, falls die städtischen Beikräuter Überhang nehmen“, sagt Kristina Schmygarjew. „Und in Hitzephasen muss man überprüfen, ob gelegentlich gewässert werden soll.“ Dass der Tiny Forest in Kürze vom Götterbaum überwuchert wird, einer invasiven Art, die sich in Berlin auf Brachen und im Straßenland rasant ausbreitet, sei nicht zu befürchten, so Schmygarjew: „Durch die üppige Mulchschicht haben die Samen keine Chance, zu keimen.“

Der Verein Kiezwald hat sich das alles nicht selbst ausgedacht – er baut auf dem Tiny-Forest-Konzept des japanischen Ökologen Akira Miyawaki (1928–2021) auf, das von dem indischen Öko-Unternehmer Shubhendu Sharma weiterentwickelt wurde. In Europa gibt es erst seit einigen Jahren solche Projekte, der erste Tiny Forest entstand 2015 in Zaanstad bei Amsterdam.

Auch in Deutschland nimmt die Idee Fahrt auf: Den ersten Miniwald auf einer öffentlichen Fläche legte der Verein Citizens Forests 2019 im schleswig-holsteinischen Bönningstedt an, etliche Projekte an anderen Orten folgten. In Berlin wächst auf dem Spittelmarkt der „Gertraudenhain“ des Künstlers Christof Zwiener, und Kiezwald e. V. hat seinen ersten, nicht öffentlich zugänglichen Tiny Forest auf dem Gelände des Pankower Max-Delbrück-Gymnasiums gepflanzt, zusammen mit der Schulgemeinschaft.

Aber wie soll das funktionieren, ein Wald so groß wie eine Vierzimmerwohnung? „Die Entwicklung durchläuft mehrere Phasen“, erklärt Schmygarjew. „Am Anfang haben wir eine große Vielfalt und eine Pflanzendichte, die schnell eine dichte Blattmasse bildet und sich gegenseitig schützt.“ Durch die Schattenbildung nehme im weiteren Verlauf allerdings die Anzahl der Pflanzen ab – wie in einem natürlichen Wald auch, wo größere, langsam wachsende Bäume die kleineren Pionierarten irgendwann verdrängen.

Insgesamt bedeute das aber nicht Artenarmut, so Schmygarjew: „Die Biodiversität des Systems steigt mit der Größe der Bäume, weil der einzelne ausgewachsene Baum je nach Größe mehr Platz für verschiedene Tiere, Insekten, Flechten und Organismen bietet.“

Ein „Grünes Klassenzimmer“

Bis zu einem gewissen Grad ist das Ganze auch ein Experiment. Wie genau sich ein Tiny Forest an einem bestimmten Standort entwickelt, lässt sich nur bedingt vorhersehen. Genau das ist aber auch Teil des Projekts: Der Miniaturwald soll im Sinn der „Citizen Science“ und als „Grünes Klassenzimmer“ eine Bildungsfunktion erfüllen.

„Die SchülerInnen wollen zweimal im Jahr die Entwicklung dokumentieren und das Wachstum der Bäume, aber auch die Temperaturen innerhalb und außerhalb des Tiny Forest messen“, erklärt Hanna Potthast. Einige Bodenplatten werden im „Wald“ verlegt, die dann angehoben werden können, um zu beobachten, welche Lebewesen darunter aktiv sind.

Unterstützung bekommt der Verein in Moabit durch das ZK/U, das die unterschiedlichen Angebote im Stadtgarten als „Klima-Parcours“ zusammendenkt, der „die Menschen zum klimaresilienten Handeln und Denken befähigen soll“. Gefördert wird der Tiny Forest unter anderem durch das Bezirksprogramm „Lebendiges Zentrum und Sanierungsgebiet Turmstraße“.

„Das Ganze hat viel Überzeugungsarbeit gekostet, aber je weiter das Projekt voranschreitet, desto mehr Leichtigkeit entwickelt sich“, sagt Potthast. Nicht überall lassen sich die öffentlichen Stellen von einem solch ungewöhnlichen Projekt überzeugen: Die Planungen für das „Nordend-Dreieck“, eine Rasenfläche am alten Tram-Betriebsbahnhof Niederschönhausen, musste der Verein Kiezwald aufgeben, da das Bezirksamt Pankow kein grünes Licht gab.

Aktuell warten Grünwald, Potthast und Schmygarjew im selben Bezirk auf das Okay des Schulamts, um einen Tiny Forest auf dem Gelände der Picasso-Grundschule anzulegen, und der Projektpartner Parkring e. V. will mit ihnen einen Miniwald in Neu-Tempelhof realisieren. Dort hapert es im Augenblick noch an Fragen des Denkmalschutzes.

Die Pflanzaktion startet am Samstag, 16.11.24, um 11 Uhr im Moabiter Stadtgarten, Siemensstraße 27 (U- und S-Bahnhof Westhafen oder S-Bahnhof Beusselstraße).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • ÄÄh- gut Holz!(?)



    Schöne Idee!



    Ich habe, ganz ohne schicken Namen, vor etwa 15 Jahren einen Hausgarten umgebaut.



    Da der Baumbestand sich mittlerweile im 6 bis 10 m Bereich befindet, kann man schon von einem kleinen Wald sprechen.



    Ich habe schon ein wenig eingegriffen, damit sich nicht nur wenige Solitärbäume durchsetzen, sondern die angestrebte Vielfalt erhalten bleibt. Angesichts der hohen Vogelpopulation, dass Igel, Hase, Fuchs und Dachs vorbeikommen, würde ich das Projekt als erfolgreich bezeichnen.



    Im Sommer bietet das Laubdach einen spürbaren Temperaturunterschied.



    Das hat mittlerweile auch der Nachbar gemerkt...



    Leider habe ich darüber hinaus die Erfahrung gemacht, dass Projekte im öffentlichen Raum oft vom Bauhof zerstört werden.



    Hinzu kommt natürlich, dass BürgerInnen Natur als "natürliche" Müllanlagestelle betrachten.



    Schön ist, mit Kindern solche Projekte zu beginnen, die dann in die Aufgabe und den Erfolg hineinwachsen.